: Syriens Staatsterror beschäftigt die Justiz
Von Dominic Johnson
Der Folterprozess in Koblenz ist weltweit der erste Prozess gegen mutmaßliche Vertreter des syrischen Assad-Regimes wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, aber mit Sicherheit nicht der letzte. Zwar fällt der Internationale Strafgerichtshof aus, weil Syrien kein Mitglied ist, und ein Verweis durch den UN-Sicherheitsrat am russischen Veto scheitert.
Die in Den Haag und Washington basierte Dokumentationsinitiative Syria Justice and Accountability Centre (SJAC) listet in ihrem Jahresbericht 2020 jedoch 92 laufende oder abgeschlossene Prozesse, Ermittlungsverfahren oder Strafanzeigen weltweit gegen Syrer wegen Kriegsverbrechen auf, vom IS-Kämpfer bis zum Geheimdienstchef. 18 davon mit 42 Betroffenen laufen in Deutschland, von diesen sind 25 Vertreter des Regimes. Neben dem Folterprozess in Koblenz gibt es Strafanzeigen gegen sieben leitende Mitarbeiter des syrischen Verteidigungsministeriums, sechs des Militärgeheimdienstes und zehn der Staatssicherheit. Dazu kommt eine Gruppenanzeige im Zusammenhang mit Telefonüberwachung gegen syrische Militärgeheimdienstler und die deutsche Telekomfirma Utimaco.
Am 19. Juni 2020 nahmen BKA-Beamte in Hessen den syrischen Arzt Alaa M. fest, dem vorgeworfen wird, 2011 in einem Gefängnis des syrischen Militärgeheimdienstes in Homs einen Häftling zu Tode gefoltert zu haben. Er war 2015 nach Deutschland gekommen und hatte danach im Raum Kassel unter anderem als Orthopäde gearbeitet. Er wartet jetzt in Untersuchungshaft auf seinen Prozess.
Solche Prozesse bilden immer nur Einzelteile eines vieltausendteiligen Puzzles. Nach UN-Angaben sind seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien 2011 über 100.000 Menschen in Gewahrsam verschwunden, zumeist auf Regierungsseite.
Eine Beleuchtung des gesamten Horrors könnte demnächst beim Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag erfolgen. Die Regierung der Niederlande bezichtigte am 18. September Syriens Regierung der Verletzung der UN-Antifolterkonvention. Gemäß der Konvention führt eine solche Beschwerde – die jeder Konventionsstaat erheben kann – zu Gesprächen, auf deren Scheitern eine Schlichtung folgen kann, deren Misserfolg in einen Prozess beim IGH münden würde. Es ist ein bislang selten angewandtes Prozedere im internationalen Recht. Doch 2019 brachte auf diese Weise Gambia den Staat Myanmar vor den IGH – wegen Bruchs der UN-Völkermordkonvention gegenüber der Rohingya-Minderheit.
Ein diplomatisch ähnlich heikler Schritt Deutschlands steht noch bevor. Am 6. Oktober reichten drei Menschenrechtsgruppen in Karlsruhe Strafanzeige gegen Syriens Regierung wegen des Einsatzes von Chemiewaffen gegen die Zivilbevölkerung in Ostghouta bei Damaskus 2013 und in Chan Scheichun 2017 ein. Sollte der Generalbundesanwalt dies an sich ziehen, wäre die juristische Aufarbeitung des Syrienkonflikts endgültig in Deutschland angekommen, weit über einzelne Folterer hinaus.
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