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Hartz-IV-Bezieher:innen berichten„14 Euro mehr sind ein Witz“

Die Bundesregierung will die Hartz-IV-Sätze um ein paar Euro erhöhen. Betroffene berichten der taz, warum das Geld weiterhin nicht ausreicht.

14 Euro mehr Hartz IV ist für viele Betroffene nicht ausreichend Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Berlin taz | Am Donnerstag berät der Bundestag einen Gesetzentwurf zur Höhe der Hartz-IV-Sätze in zweiter Lesung. Dabei wird es vor allem um Zahlen gehen. Denn zum 1. Januar 2021 sollen die Sätze steigen: Es sind Zahlen, die in Deutschland ein menschenwürdiges Existenzminimum festlegen sollen. Zahlen, die über Armut und Teilhabe in dieser Gesellschaft entscheiden. Darüber, wie gut oder schlecht ein Mensch, der in eine soziale Notlage gerät, leben kann. Was denken die Betroffenen?

„Von der Gesellschaft total ausgeschlossen“

„Ich kommuniziere offen, dass ich Hartz IV beziehe. Aber es geht mir dabei richtig schlecht. Als ich gemerkt habe, dass ich jetzt mit dem Hartz-IV-Satz berechtigt bin, zur Tafel zu gehen, habe ich einen Tiefpunkt erreicht. Ich fühle mich hilflos. Wenn es nur eine Übergangszeit wäre, wäre das nicht so schlimm. Aber perspektivisch weiß ich gar nichts. Ich stehe immer unter extremem Druck, irgendwas machen zu müssen.

Im Sommer 2020 habe ich meine Ausbildung abgeschlossen. Schon da musste ich in Kurzarbeit gehen – wegen Corona. Während meiner Ausbildung habe ich aufgestockt, weil meine Ausbildungsvergütung nicht so hoch war, dass ich davon leben konnte. Nach der Ausbildung habe ich Arbeitslosengeld I bekommen, musste aber wegen der geringen Vergütung zusätzlich Hartz IV beantragen. Außerdem hatte ich keine Ahnung, auf welche bürokratischen Hürden ich treffe. Ich wusste etwa nicht, dass Jobcenter und Arbeitsagentur komplett verschiedene Behörden sind. Das war für mich oft relativ schwer, ich wusste nicht: Wem schicke ich gerade welche Information?

Durch Corona ist meine berufliche Unsicherheit sehr groß. Wann wieder Veranstaltungen stattfinden, ist unklar. Alles ist in der Schwebe. Ich will nur wieder arbeiten, aber wenn sich das nicht in den nächsten Jahren bessert, muss ich umsatteln. Sonst krieg ich das psychisch nicht mehr hin. Seit März hab ich nichts mehr zu tun, ein weiteres Jahr halte ich das nicht aus. Wenn du nicht arbeitest, bist du von der Gesellschaft total ausgeschlossen. In vielen Branchen können die Leute einfach arbeiten und kriegen nicht mit, dass es Leute gibt, bei denen das gerade nicht geht. Die stressen rum, weil sie nicht mehr in den Urlaub fahren können. Wenn das das größte Problem ist, dann haben wir wirklich kein Gesprächsthema mehr.

14 Euro mehr Hartz IV bringen nicht viel. Mir wäre es wesentlich lieber, wenn es stattdessen eine bessere Kommunikation mit den Ämtern gäbe und mehr Informationen, wie was funktioniert.“

Lara Tieme (Name geändert), 30, aus Leipzig beendete 2020 ihre Ausbildung als Veranstaltungstechnikerin

„Als würde ich mich vor dem Amt ausziehen“

„Bis März waren wir fast für das ganze Jahr ausgebucht, doch mit Corona kam der Einbruch: Meine Frau und ich können unseren Beruf als freischaffende Fotograf:innen nicht mehr ausüben. Alle Messen und Events wurden abgesagt, wir hatten keine Einnahmequellen mehr. Wir haben sofort Hartz IV beantragt, weil wir keine Rücklagen hatten. Damit können wir Zahlungen wie die Krankenversicherung sicherstellen.

Es ist komisch, vor den Ämtern so viele Informationen über sich preiszugeben – es fühlt sich an, als würde ich mich ausziehen. Wir bekommen Kindergeld und den niedrigsten Hartz-IV-Satz. Damit müssen wir klarkommen. Aber ich bin trotzdem froh, eine Absicherung zu haben.

Unser Kaufverhalten mussten wir gehörig einschränken. Es war ein Umlernen, nicht mehr die teure Milch aus dem Bioladen oder das teure Brot vom Biobäcker zu kaufen – kurz: sich auf Hartz IV einzustellen. Erst in den letzten drei Monaten haben wir angefangen, mit unseren Freun­d:in­nen über unsere Situation zu reden. Das macht verwundbar, es ist erst mal ein sozialer Abstieg. Mit den Kindern gehen wir so offen wie möglich um. Ich will ihnen nichts verheimlichen. Du kannst deinen Kindern nicht sagen: ‚Wir gehen jetzt essen, wir gehen schwimmen, wir machen einen Ausflug oder eine Reise.‘ Das fällt flach.

Die Kund:innen melden sich einfach gar nicht mehr. Und du denkst dann: ‚Haben die mich vergessen?‘ Das kratzt an der Seele.

Die Ungewissheit wächst mit jedem Tag, ich plane gar nichts mehr. Dass es weiter so bleibt und wir vielleicht irgendwann nicht mehr in diesem Haus wohnen können oder unser soziales Umfeld wegbricht. Ein stabiler familiärer Background hilft, das auszuhalten. Wenn der Hartz-IV-Satz um 14 Euro erhöht wird, ist das nicht wesentlich. Wenn wir über 50 Euro sprechen, ist das ein Einkaufskorb die Woche mehr. Aber da drunter, das ist zu wenig. Das ist eher ein falsches Signal.“

Max Senneburg (Name geändert), 47, ist Fotograf und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Berlin

„Die Armen müssen um jeden Cent betteln“

„Zwei meiner Kinder leben bei mir, eines bei der Mutter. Die Kinder kennen mich als zwei verschiedene Papas. Wenn ich arbeitslos zu Hause bin und wenn ich arbeite. Deshalb wissen sie, dass es einfacher ist, mit Geld auszukommen, wenn man Arbeit hat. Ich glaube, dass Bildung wichtig ist, um einen guten Beruf und ein auskömmliches Einkommen zu haben. Deshalb ermutige ich die drei immer, in der Schule fleißig zu sein.

Bis Dezember 2019 habe ich bei einem Bürger:innenverein in Leipzig gearbeitet. Dort habe ich Menschen darüber beraten, welche Leistungen sie beim Jobcenter in Anspruch nehmen können. Ich bin auch schon lange bei der Erwerbsloseninitiative Leipzig aktiv. Wir betreuen und beraten Leute etwa bei der Antragstellung beim Amt. Deshalb war es für mich leichter, die Prozesse zu verstehen, als ich selbst arbeitslos geworden bin. Man weiß, wie man mit den Behörden umzugehen hat. Für Menschen, die zum ersten Mal in so einer Situation sind und noch nie zuvor damit zu tun hatten, ist das viel schwieriger.

Wenn man Hartz IV bezieht, sollte man sich grundsätzlich nicht schämen. Ich ermutige alle Menschen, staatliche Hilfen in Anspruch zu nehmen. Es gibt beispielsweise viele Alleinerziehende, die nicht den Mut haben, Wohngeld zu ­beantragen. Ich finde, die Unterstützung, die es gibt, sollte man für sich und die Kinder nutzen.

Während der Coronapandemie fällt einmal mehr auf, wie die Gelder verteilt sind: Die großen Firmen und Erwerbstätigen bekommen staatliche Förderungen. Die Armen – also diejenigen, die sowieso schon wenig haben – müssen im Prinzip um jeden Cent betteln. Deshalb lässt sich die Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes sehr kurz zusammenfassen: Es ist ein Witz. Es ist lächerlich.

Alles wird teurer: Fahrkarten, Kleidung, Telefonrechnungen. Was bringen da 14 Euro? Die Politik muss ein deutlicheres Signal senden, dass sie arme Menschen unterstützen will.“

Perry Feth, 55, ist Vater von drei Kindern und arbeitete in einem Leipziger Bürgerverein

Die Details des Gesetzentwurfs:

Der Gesetzentwurf von Bundessozialminister Hubertus Heil sieht vor: Allein lebende Personen sollen ab nächstem Jahr 446 Euro im Monat bekommen – das sind 14 Euro mehr als bisher. Das muss reichen für Lebensmittel, Strom, neue Winterschuhe oder auch mal einen Kinobesuch – auch wenn kulturelle Teilhabe in der Coronazeit weit entfernt erscheint.

Am stärksten steigt der Satz für Teenager zwischen 14 und 17 Jahren: Sie sollen künftig 373 Euro pro Monat, das sind 45 Euro mehr, bekommen. Der Satz für Kinder bis zu 5 Jahren steigt um 33 Euro auf 283 Euro, 6- bis 13-Jährige profitieren hingegen kaum: Sie sollen 309 Euro bekommen – genau 1 Euro mehr als jetzt. Das Bundessozialministerium erklärte, dass diese Altersgruppe bei der letzten Neuberechnung für das Jahr 2017 „weit überproportional profitiert“ habe. Dennoch: Die Logik der Zahlen ist trotz klarer Berechnungsmethoden nicht zwingend nachvollziehbar.

Die Regelsätze werden einerseits jährlich an die Entwicklung der Nettolöhne und an die Preisentwicklung „regelbedarfsrelevanter“ Güter angepasst. Zudem ist der Gesetzgeber dazu verpflichtet, die Regelsätze alle fünf Jahre neu zu ermitteln, wenn das Statistische Bundesamt die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe durchgeführt hat. Es ist eine Befragung über Einnahmen und Ausgaben aller Einkommensgruppen.

Das Bundessozialministerium orientiert sich dann zur Ermittlung der Hartz-IV-Sätze nur an den durchschnittlichen Ausgaben der Einkommensschwächsten, der ärmsten 15 bis 20 Prozent der Gesellschaft. Aus deren Ausgaben werden zudem Posten herausgerechnet, die als nicht „bedarfsrelevant“ gelten. Dazu zählen zum Beispiel: Ausgaben für alkoholische Getränke, Zigaretten, Futter für Haustiere, Flüge, Unterhaltskosten für ein Auto oder die Kosten für Zimmerpflanzen. Die Summe wird also konsequent kleingerechnet.

Das sagen Sozialverbände und Opposition:

Verbände, Gewerkschaften und Wissenschaftler:innen kritisieren schon seit Jahren diese Berechnungsmethode der Bundesregierung. Denn statistische Berechnungen müssen sich nicht mit der Lebensrealität der Menschen decken. Die sieht oftmals so aus: Hartz-IV-Emp­fän­ger:innen greifen auf das Angebot der Tafeln zurück, um überhaupt über die Runden zu kommen.

Anja Piel vom Deutschen Gewerkschaftsbund hält es für „unredlich und zynisch“, die Neuberechnungen den Ärmsten als „Erhöhung zu verkaufen“. Auch mit dem neuen Regelsatz liege das Hartz-IV-Leistungsniveau „unterhalb der offiziellen Armutsgrenze“.

Der Paritätische Gesamtverband bezeichnet die geplanten Sätze als „realitätsfern, nicht bedarfsgerecht und viel zu niedrig“ und wirft der Bundesregierung „statistische Trickserei und unverschämtes Kleinrechnen“ vor. Nach Berechnungen der Paritätischen Forschungsstelle müsste ein armutsfester Regelsatz für einen allein lebenden Erwachsenen 644 Euro betragen. Knapp 200 Euro mehr pro Monat als jetzt geplant.

Die Opposition ist sich überwiegend einig, dass die von der Bundesregierung errechneten Sätze nicht zum Leben reichen. Durch ein künstliches Kleinrechnen des Bedarfs würden die Betroffenen zu einem Leben in Armut verdonnert, kritisierte Linken-Vorsitzende Katja Kipping bei der ersten Lesung im Bundestag.

Der Grünen-Sozialpolitiker Sven Lehmann erklärte: „Eine Anhebung des Regelsatzes um 14 Euro für Erwachsene gleicht im Wesentlichen die gestiegenen Preise aus und verpufft damit.“ Beide Parteien haben deshalb noch mal neu berechnet: Die Linke möchte, dass der Regelsatz für einen alleinstehenden Erwachsenen auf 657,55 Euro erhöht wird. Die Grünen fordern 603 Euro pro Monat.

Der sozialpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Pascal Kober, will hingegen eine grundlegende Hartz-IV-Reform. „Euroweise Erhöhungen führen letztlich nicht weiter“, findet er. Die FDP fordert höhere Zuverdienstgrenzen, damit die Betroffenen mehr von ihrem selbst verdienten Geld behalten dürfen.

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit lebten in diesem Oktober 5,6 Millionen Menschen in Bedarfsgemeinschaften. Durch die Coronapandemie ist mit einer deutlichen Zunahme von Armut und Erwerbslosigkeit zu rechnen. Dies wird sich bald auch in Zahlen niederschlagen – und hinter diesen stehen Menschen, die rechnen müssen, ob sie ihre Stromrechnung oder neue Atemschutzmasken bezahlen können.

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16 Kommentare

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  • Hin selber Harz Empfänger und verdiene mir ein wenig was dazu mit meiner Selbständigkeit dies reicht aber dennoch vorne und hinten nicht... Wenn wenn ich zb. 500€ dazu verdiene darf ich davon ca. 180€ behalten der nimmt das Amt weg. So kommt mn natürlich nie aus den Harz 4 raus. Wenn das anders wäre und leider hat jedes Bundesland seine eigenen Regeln. Könnte ich gut leben und sogar mein selbständigkeit weiter ausbauen aber da von den 500€ nur 180€ bleiben die ich behalten darf. Fällt das Geld weg um das Geschäft weiter auszubauen.

    Ich finde nicht das der Harz 4 Satz zu niedrig ist aber Leute die zusätzlich noch arbeiten von den Geld was sie verdienen mehr als 60% abzunehmen und sie somit im Harz 4 zu halten ist genauso falsch den wir dürfen kein Vermögen aufbauen. Alles was zu viel ist müssen wir den Amt zurück zahlen. In Lotto mal 1000 € gewinnen nichts da 100€ Freibetrag die mn behalten darf plus 20% von 900€ macht bei einen 1000€ Gewinn = 280€ die man behalten darf. Der Rest 720€ geht ans Amt. Traurige Wahrheit. Und genauso ist es wen du zum Harz 4 Teilzeit arbeitet von dein Gehalt 100€ Freibetrag plus 20% von Rest Gehalt. Der Rest geht an Amt.

    Würde das geändert werden könnten viel mehr Leute sich was zurück legen oder sogar aus den Harz 4 raus kommen. Es würde ja schon reichen wen es so geändert werden würde das man von sein Gehalt 60-70% behalten darf das sind immer hin bei 780€ Gehalt 468€-546€ anstatt (780€ davon 100€ für ein selber und von 680€ / 20% = 136€ macht zusammen 236€) und man würde den auch sich freuen zu arbeiten weil man den endlich was von seinen geld hatte. Vllt kann man nun verstehen warum man nicht gerne arbeiten geht bei Harz 4 wen man nicht wirklich was von seinen Gehalt hat...

  • Liebe Hartzer...macht mal Eure Milchrechnung: 420 Euro - 50 Strom- 30 DSL - gottweiswas, dann kommt da knapp ein Tagessatz von 10 Euro raus.



    Also genug satt zu werden. Wenn Ihr dann noch zur Tafel geht und Esssen für 30 Euro bekommt, dann kann sich jeder auch noch einen Urlaub leisten, sei es mit einem Zelt und Hund auf einem Campingplatz.

  • taz: "Der Paritätische Gesamtverband bezeichnet die geplanten Sätze als „realitätsfern, nicht bedarfsgerecht und viel zu niedrig“ und wirft der Bundesregierung „statistische Trickserei und unverschämtes Kleinrechnen“ vor." - Das müsste spätestens nach dem Bericht vom Fernsehmagazin 'Monitor' (ARD) jedem Politiker bekannt sein, dass man die Hartz IV Regelsätze systematisch 'klein rechnet', aber es wird trotzdem seit Jahren nichts dagegen unternommen.

    taz: "Hartz-IV-Emp­fän­ger:innen greifen auf das Angebot der Tafeln zurück, um überhaupt über die Runden zu kommen." - Das ist eine Schande und ein Armutszeugnis für Deutschland, dass der Hartz IV Regelsatz vorne und hinten nicht ausreicht und das Menschen sogar zur Tafel gehen müssen um nicht zu hungern. Wahrscheinlich werden jetzt aber wieder einige sagen, dass der "Hartzer" nur zur Tafel geht um mit dem eingesparten Geld seinem "prunkvollen Hartz IV Leben" noch mehr Glanz zu geben. Von welcher "Würde" spricht man in Art. 1 GG eigentlich, wenn jeden Monat 1,6 Millionen Menschen in Deutschland schon an eine der 947 Tafeln anstehen müssen, um nicht zu hungern?

    taz: "Der sozialpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Pascal Kober, will hingegen eine grundlegende Hartz-IV-Reform." - Das Wort "sozialpolitisch" in Zusammenhang mit der FDP zu nennen ist schon sehr gewagt. Die FDP hat sich noch nie um Armut und Elend in diesem Land gekümmert.

    taz: "Durch die Coronapandemie ist mit einer deutlichen Zunahme von Armut und Erwerbslosigkeit zu rechnen. Dies wird sich bald auch in Zahlen niederschlagen – und hinter diesen stehen Menschen, die rechnen müssen, ob sie ihre Stromrechnung oder neue Atemschutzmasken bezahlen können." - So ist das eben in diesem Land. Die Reichen werden immer reicher und die Armen müssen sich entscheiden, ob sie sich eine Schutzmaske kaufen oder vielleicht doch eher ein Laib Brot.

  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    "Ich stehe immer unter extremem Druck, irgendwas machen zu müssen."

    Das ist der Sinn von Hartz IV, sonst würde es wohl BGE heißen.

    • 8G
      80576 (Profil gelöscht)
      @02854 (Profil gelöscht):

      "Extremer Druck" ist relativ und kommt auf das subjektive Empfinden an. Wenn man mit 30 die Lehre abschließt, dann frage ich mich, was da so lange gedauert hat? Mehrjährige Auszeit nach der unglaublich harten Schulzeit? Dann wäre die Konfrontation mit einem Amt schon ein Brett.

  • Natürlich haben es Veranstaltungstechniker im Moment schwer. Bei Beginn der Ausbildung war das natürlich nicht absehbar. Aber warum nicht eine andere Ausbildung beginnen? Als Veranstaltungstechniker hat man sicher mittlere Reife bzw. Abi. Gute Leute werden überall gebraucht.

    • @Der Cleo Patra:

      Eine andere Ausbildung.... also noch weitere 2-3 Jahre am Existenzminimum mit einem mickrigen Ausbildungsgehalt leben und weiter abhängig von aufstockenden Sozialleistungen sein. So kann man seine Lebenszeit auch verschwenden, wenn man eigentlich nur seinem gelernten Beruf nachgehen will. Ist vermutlich nicht böse gemeint, aber stößt schon sauer auf, sowas zu lesen.

  • Wird zwar am Kern vorbei gehen, aber mir ist was aufgefallen:

    "Unser Kaufverhalten mussten wir gehörig einschränken. Es war ein Umlernen, nicht mehr die teure Milch aus dem Bioladen oder das teure Brot vom Biobäcker zu kaufen – kurz: sich auf Hartz IV einzustellen."

    Irgendwie habe ich das Gefühl, Hartz IV ist ein Kalkül oder eine willkommene Möglichkeit, Dumping-Wirtschaft erfolgreich zu betreiben: Das billigste Brot um den Bauer zu dumpen, das billigste Fleisch um Massenmord an Tieren zu rechtfertigen, das billigste Obst um den Lohn im Ausland effektiv zu drücken. Damit das alles funktioniert braucht man arme Menschen. Und bloß keine Erhöhung von Sozialleistungen oder gar würdevolle.

  • Ich erwarte nicht von einem Parlament, das von hinten bis vorne gepampert wird, dass es sich um Belange der Armen wirklich kümmert. Letztens schätze in einer Talkshow ein Abgeordneter den Preis einer FFP2 Maske in einer Apotheke auf ca. 60 Euro. Normal. Weit weg von der Realität. Und 2,30 Euro für Kultur sind doch prima im Vergleich zu den Subventionen für die z.B. teuren Opernhaussitze.

  • Um in Deutschland überleben zu können, braucht man schon 1000 Euro im Monat. Da ist die Miete mit drin. Das Jobcenter rechnet auch die Miete, die es zu übernehmen bereit ist, konsequent klein: Bruttokaltmiete ca. 340-350 Euro. Versuchen Sie mal, dafür eine Wohnung zu finden. Es ist fast unmöglich. Ist Ihre bestehende Wohnung nach Meinung des Jobcenters zu groß, und sei es nur um 5 qm, zwingt man Sie, umzuziehen. Haben Sie eine Wohnung in Aussicht, die dem Jobcenter 20 Euro zu teuer ist, und wollen die Differenz selbst bezahlen, dann streckt Ihnen das Jobcenter zur Strafe für Ihre Verzichtbereitschaft die Kaution nicht vor! Und bezahlen Sie mal 1000 Euro Kaution als Hartz-4-Empfänger.

    Drei Monate nur Nudeln mit Ketchup. Oder Milchreis. Essen ist halt nicht so wichtig.

    Ist für "Hartzis" normal. Finden offenbar die meisten Mitbürger nicht weiter schlimm.

    • RS
      Ria Sauter
      @kditd:

      Ich finde das sehr schlimm.



      Das Geld ist da. Es müsste nur anders verteilt werden, aber diejenigen, die sich nicht wehren können, fallen durchs Netz.

    • @kditd:

      Es ist gut, dass Sie das mit den Wohnungen einmal ansprechen. In Deutschlands Großstädten fehlen fast zwei Millionen bezahlbare Wohnungen. Allein in Berlin fehlen 310.000 bezahlbare Wohnungen und in Hamburg 150.000 Sozialwohnungen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Stadtsoziologen der Humboldt-Universität Berlin und der Goethe-Universität Frankfurt im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Das Problem ist sicherlich auch den Jobcentern bekannt, dennoch zwingen sie Hartz IV Empfänger dazu sich billigeren Wohnraum zu suchen, den es aber gar nicht mehr gibt. Wie viele Wohnungslose und Obdachlose schon auf das "Konto" der Sozialämter und Jobcenter gehen, würde mich auch mal interessieren. Vielleicht sollte man darüber mal eine Studie machen.

    • @kditd:

      Wohnung bis 350 kalt? Kucken Sie mal hier:

      inberlinwohnen.de/suchergebnis/

      Und wer schlau war, der ist Mitglied einer Wohnungsbaugenossenschaft. Aber wie oft habe ich in den Jahren 1990 - 2010 von Freunden und Bekannten gehört, dass man ja da einen Anteil kaufen müsste, das war wohl uncool.

      Ich will damit nicht sagen, dass das Leben mit H4 problemlos möglich wäre, aber auf Grund eigener dreijähriger Erfahrung auf diesem Gebiet weiß ich, dass es möglich ist. Und Zeit zum preiswert Einkaufen und gesund Kochen hatte ich eigentlich immer.

    • @kditd:

      "Finden offenbar die meisten Mitbürger nicht weiter schlimm."

      Das glaube ich kaum. Es wird vielen eher nicht bekannt sein wie schwer das Leben als "Hartzi" ist, da sie nicht damit in Berührung kommen.

  • Teilweise recht zynisch diese Einzelfallschilderungen:



    Wie muss sich jemand fühlen, der trotz eines Jobs seinen Kindern sagen muss, das die eine oder andere Vergnügung finanziell einfach nicht drin liegt.



    Meinen Sie wirklich, das Krankenpfleger sich den teuren Bio-Laden leisten können?

    Wenn ich sämtliche Leistungen zusammen zähle, erhalten Familien insbesondere mit Kindern ein Netto Einkomen, das gut zum Leben ausreicht. Dazu gehört vermutlich kein Urlaub, das kann sich aber der DHL-Bote auch nicht jedes Jahr leisten.

    Es ist bitter, dass durch die Corona-Krise viele arbeitslos werden, und es werden vermutlich mehr. Das ist halt das Lebensrisiko, das jeder von uns zu tragen hat. Deshalb mein Tipp: Ärmel aufkrempeln, sich umsehen, wo werden Arbeitskräfte gebraucht: Triebwagenführer, Busfahrer, Pflegekräfte, Handwerker, Paketdienste etc.

    Das mögen zwar Berufe sein, die eines Fotografen o.ä. nicht würdig sind, aber es ist würdevoller, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen. Allemal besser, als sich über ein zu Wenig für Nichtarbeit zu beklagen.

  • Alles sehr traurig für die Betroffenen. Aber es gibt auch Auswege. In Pflege und Logistik werden nach wie vor dringend Menschen benötigt. Die Bahn sucht seit Jahren händeringend Bahnfahrer (Schnellausbildung möglich). Lastwagen und Busfahrer sind allerorten Mangelware. Alles Jobs mit 1600 - 2000 Netto und ohne "Altersbeschränkungen". Vil. sollte in dieser Richtung mehr informiert und auch vermittelt werden. So könnten den Betroffenen und der Gesellschaft gleichsam geholfen werden.