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Debütroman von Stefanie SargnagelDrogen nehmen und rumhängen

Der erste Roman der Stefanie Sargnagel handelt von einer sorgsam verschwendeten Jugend. Zugleich geht es um Solidarität unter Outsidern – und Talente.

Abhängen vorm „Flex“ in Wien. Etwas, das Stefanie Sargnagel gut kennt Foto: laif

Um Talente geht es immer wieder in diesem urkomischen und zugleich urtragischen Roman, der von einer sorgsam verschwendeten Jugend handelt. Stefanie Sargnagel hat ihn geschrieben, es ist der erste „richtige“ Roman der Wiener Autorin und Zeichnerin. „Dicht“ heißt er, weil er viel vom Dichtsein und vom Dichten während des Dichtseins handelt.

Ein Talent, so viel weiß man, hat Stefanie Sargnagel dafür, ihr Publikum und ihre Leser in pointierten Sätzen zum Lachen zu bringen. Sie wurde mit ihren Facebook-Posts berühmt, die mehrfach auch als Buch erschienen sind (unter anderem „Statusmeldungen“, 2017).

Die schnelle Pointe zwischendurch blitzt auch jetzt immer wieder auf. Im Roman sind es kurze Einschübe, die für Lacher sorgen, wenn sie etwa schreibt: „Ich fühlte mich mädchenhafter als je zuvor, auch wenn ich mich gendermäßig sonst eher den Landstreichern zurechnete.“

Oder wenn sie kurze Alltagsszenen beschreibt, etwa beim Bierkaufen: „Der Mann an der Kasse fragte: ‚Ein so ein schönes Mädchen trinkt so viel Bier?‘ Ich sagte: ‚Nein, das trinke ich.‘“ Über die gesellschaftlichen Vorstellungen von Talent machen sie und ihre Freunde sich nur lustig. So attestiert Freund Michi dem Sargnagel-Alter-Ego die größte Begabung in einem nicht allzu lukrativen Tätigkeitsbereich: „Das Kiffen. Du bist sehr talentiert dar­in.“

Stefanie Sargnagel stellt ihre Figuren aber ganz sicher nicht aus. Sich selbst schont die Autorin am allerwenigsten

Sargnagel, die bürgerlich Stefanie Sprengnagel heißt und in Wien Kunst studiert hat, erzählt in „Dicht“ von ihrer Teena­ger­zeit. Der Roman handelt davon, wie sie in ihrer Schule mehr oder weniger rausgeekelt wird, weil sie zu schwierig ist – und schließlich abbricht.

Urlaub vor den Anforderungen des Lebens

Er erzählt von ihrem losen Freundeskreis aus Freaks, Outsidern, Hippies und Weirdos, die zusammen Drogen nehmen und rumhängen, er erzählt von stupiden Jobs, blöden Anmachen, von Geschlechtsverkehr oder der Anbahnung von Geschlechtsverkehr. Wer aber das Buch nur in die Kategorie lustige bis heftige Jugenderinnerungen steckt, der irrt. Das wird mit zunehmendem Verlauf der Handlung immer deutlicher.

Der heimliche Protagonist ist Michi, in dessen Wohnung sich immer alle treffen. Michi hat sich mit HIV infiziert, die Prota­go­nistin lernt ihn im Beisl kennen, wo er von einigen „Aids Michl“ genannt wird. Michi polarisiert und provoziert mit seiner „besoffenen Verrücktheit“, aber er ist intelligent, er hat ein Talent für gewitzte Wortspiele, und er liebt Georg Kreisler, dessen Musik sie in seiner Wohnung hören. Michi nimmt sich im Leben das, was er braucht: Er schnorrt und klaut hier und da und mogelt sich in Veranstaltungen hinein, die er besuchen möchte.

Den Freundeskreis eint, dass fast alle ihre Probleme haben, mit dem normalen Leben zurechtzukommen. Manchmal treffen sie sich in der Psychia­trie Baumgartner Höhe, wo Michi ab und zu weilt, „auf Urlaub vor den Anforderungen des Lebens“.

Natürlich haben die skurrilen Typen, mit denen die Protagonistin zu tun hat, ihren Unterhaltungswert. Sargnagel berichtet über den „blonden Herbert“, der einmal durchdreht, sich mit Milch überschüttet und sagt, er sei „ein Kälbchen“.

Sie schreibt über den „schwarzen Herbert“, der auf Kaffee immer komische Sachen macht. Und über Gino, der auf Absinth in seine „Wolfsphase“ hineingerät: „Er setzte sich auf den Boden, ging in die Hocke und knurrte wie ein Wolf. […] Wir waren das gewohnt.“

Sargnagel stellt ihre Figuren aber ganz sicher nicht aus. Sie schont sich selbst am allerwenigsten, ihr Talent zur Selbstironie ist da förderlich. Sie macht sich darüber lustig, dass sie zu einem Hippiemädchen aus dem Bilderbuch wird, sie persifliert die eigene Naivität, wenn sie über ein von der Firma Nestlé gesponsertes Laufevent in der Schule schreibt, an dem sich die Protagonistin „aus Gründen der Kapitalismuskritik“ weigert, teilzunehmen.

Äußerst unterhaltsam ist es, wie sie ihre diversen Drogenerfahrungen schildert, wenn sie zum Beispiel Ec­stasy („Wie lieb sie alle waren. Wie schön, dass wir uns alle hatten. So besondere Menschen. […],Ich hab euch alle so gern'“), LSD („Mein Bewusstsein war ein Pudding“) und Pilze ausprobiert („Sie würden mich so finden: Hippiemädchen erwürgt sich im Psilocybin-Rausch versehentlich mit Ethnokette selbst“).

Das Buch

Stefanie Sargnagel: „Dicht. Aufzeichnungen einer Tagediebin“. Rowohlt Verlag, Hamburg 2020, 256 Seiten, 20 Euro

Dies alles ist abgründig und typisch österreichisch. „Dicht“ ist nah dran an der Wiener Melange aus Wapplern und Ungustln (eines der neuen Wörter, die ich gelernt habe), aus Punks, Hippiemädchen und Zecken. Sargnagel porträtiert das Wiener Nachtleben und den Underground, der berühmte Flex-Club etwa ist als Treffpunkt ein wiederkehrendes Element.

Neben all dem verrückten Zeug ist der Roman auch eine Kritik an einem Schulsystem, in dem so manche Lehrkraft agiert wie in den 1950er Jahren. Er ist eine Erzählung von Solidarität und tiefer Freundschaft – so ergibt das Herz auf dem Cover, das aussieht wie mit Microsoft Paint gezeichnet, auch Sinn.

Nicht zuletzt ist er eine Ode an Outsider wie Michi, eine Hommage an die Unerschrockenheit der Jugend sowieso. Erfreulich ist die direkte, kein Blatt vor den Mund nehmende Sprache. Eine Sprache, die den Sound der Straße aufnimmt und die sich keine Beschränkungen auferlegt, um dem politisch korrekten linken Zeitgeist zu gefallen.

„Dicht“ endet nicht zufällig mit der Lebensphase Anfang der Zwanziger, als sich der Freundeskreis langsam zu zerstreuen scheint. Stefanie Sargnagel will zur Akademie der Bildenden Künste, sie schmeißt Zeichnungen und bekritzelte Zettel in eine Billa-Plastiktüte, schreibt „Kunst“ darauf und reicht den Beutel als Bewerbung ein, eine ganze Tüte voller Talent. Sie wird genommen.

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