Neuer Lockdown in Israel: Alles dicht über die Feiertage
Als erstes Land weltweit verhängt Israel zum zweiten Mal einen strikten Corona-Lockdown. Im Land stößt das auf Kritik – auch innerhalb der Regierung.
Nachdem die Zahl der täglichen Neuinfektionen mit dem Coronavirus in der vergangenen Woche gleich mehrfach die 4.000er-Marke geknackt hatte, hat die israelische Regierung am Sonntag wenige Minuten vor Netanjahus Abreise entschieden, erneut einen strengen Lockdown über das Land zu verhängen. Er beginnt am kommenden Freitag um 14 Uhr – wenige Stunden vor Beginn des jüdischen Neujahrsfestes Rosh HaShana – und endet voraussichtlich mit Ende des Festes Simchat Tora drei Wochen später.
Israelis dürfen sich in dieser Zeit nur noch in einem 500-Meter-Radius rund ums Haus frei bewegen, dürfen aber weiterhin zur Arbeit fahren. Versammlungen in Innenräumen sind auf zehn Personen beschränkt; an der freien Luft dürfen zwanzig Personen zusammenkommen. Die Schulen schließen erneut und allein Unternehmen, die keinerlei Kund*innenverkehr haben, dürfen geöffnet bleiben. Auch der Eintritt zu Synagogen und anderen Gotteshäusern soll stark eingeschränkt oder ganz untersagt werden.
Die Maßnahmen sind höchst umstritten, wird doch Netanjahus Coronapolitik von vielen als Grund für den Anstieg der Neuinfektionen gesehen. Dementsprechend hagelt es aus der Opposition nun Kritik: Oppositionsführer Yair Lapid von der Partei Yesh Atid sagte: „Netanjahu kann einfach nicht zugeben, dass er versagt hat, und sich bei der israelischen Öffentlichkeit entschuldigen.“
Der Vorsitzende der ultraorthodoxen Partei Vereinigtes Tora-Judentum, Yaakov Litzman, war bereits am Sonntagmittag aus Protest gegen den geplanten Lockdown von seinem Posten als Wohnungsbauminister zurückgetreten.
Ultraorthodoxe fühlen sich diskriminiert
Viele der ultraorthodoxen Juden und Jüdinnen in Israel fühlen sich in der Coronakrise diskriminiert. Ultraorthodox geprägte Städte und Stadtteile gehören nach wie vor zu den Hotspots des Virus. Dennoch haben viele Strenggläubige das Gefühl, dass für Synagogen härtere Auflagen gelten als beispielsweise für die Protestbewegung gegen Netanjahu. Seit Monaten gehen Demonstrierende gegen die Coronapolitik der Regierung sowie gegen den wegen Korruption angeklagten Ministerpräsidenten auf die Straße und fordern Netanjahus Rücktritt.
Vertreter*innen der Protestbewegung kündigten am Sonntag an, dass sie ihre regelmäßigen Demonstrationen vor Netanjahus Amtssitz in Jerusalem nicht einstellen werden – auch nicht, wenn die Demonstrationen während des Lockdowns verboten werden sollten. Bei den Protesten hat es laut der Vorsitzenden des parlamentarischen Corona-Ausschusses, Yifat Shasha Biton, bislang allerdings keine einzige Ansteckung gegeben.
Widerstand gegen den neuen Lockdown kommt auch von Restaurantbesitzer*innen und Geschäftsinhaber*innen. Vergangene Woche hatten einige von ihnen angekündigt, ihre Geschäfte und Restaurants trotz Lockdowns zu öffnen, sollte ihnen nicht im Voraus eine Entschädigung garantiert werden. „Die Regierung wird auf starken Widerstand und Ungehorsam von Gastronomen und Selbständigen stoßen, die um ihr Leben kämpfen“, sagte Tomer Mor, der Vorsitzende der Initiative „Restaurantbetreiber sind stark zusammen“.
Der israelische Fernsehsender Channel 12 berichtete unter Berufung auf das Finanzministerium, der durch den dreiwöchigen Lockdown verursachte ökonomische Schaden werde sich auf umgerechnet mindestens 4 Milliarden Euro belaufen. Israel ist bereits durch die strikten Maßnahmen während der ersten Welle ökonomisch schwer angeschlagen.
Corona in den palästinensischen Gebieten
Auch im Gazastreifen und im Westjordanland steigen derweil die täglichen Neuinfektionen. Am Donnerstag wurde im Westjordanland erstmals die 1.000er-Marke überstiegen. Ein Vorstoß der palästinensischen Gesundheitsministerin Mai al-Kaila, einen erneuten Lockdown zu verhängen, war zuvor von der Autonomiebehörde aus Angst vor Protesten abgewiesen worden.
„Kein Mensch hält sich hier noch an die Regeln“, erzählt die Lehrerin Samia Hattab* am Telefon, die in Ramallah lebt und ihren Namen aus beruflichen Gründen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Und es gibt so gut wie keine Informationen darüber, was passiert. Nur die Zahlen werden veröffentlicht.“
Im Gazastreifen wurden im September bislang durchschnittlich 112 Neuinfektionen pro Tag gemeldet. Eine nächtliche Ausgangssperre, die Ende August verhängt worden war, wurde am Samstag für einige Bezirke noch ausgeweitet.
* Name geändert
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen