piwik no script img

Abschiebung nach AfghanistanPolizist schlägt, Staat schiebt ab

Ein Polizist, der zu rechten Anschlägen ermittelte, beging mutmaßlich einen rassistischen Übergriff. Das traumatisierte Opfer wird abgeschoben.

Szene einer Abschiebung nach Afghanistan Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin taz | Ein Polizist, der sich derzeit wegen eines rassistischen Angriffs vor dem Amtsgericht Tiergarten verantworten muss, war nach Antifa-Recherchen Mitglied der Ermittlungsgruppe Rex, die von 2007 bis 2016 mit Ermittlungen zur rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln betraut war. Die elfköpfige Polizeigruppe überwachte Neonazis und ihre Treffpunkte in Südneukölln und hielt auch enge Kontakte zu zivilgesellschaftlichen Bündnissen. Brandanschläge konnte sie dabei ebenso wenig verhindern wie die Morde an Burak Bektaş oder Luke Holland, ersterer immer noch unaufgeklärt.

Seit Januar steht dieser Polizeibeamte K. zusammen mit zwei vermeintlichen Mittätern vor Gericht, weil er selbst einen rassistischen Übergriff begangen haben soll. Am 5. April 2017 nach einem Spiel des 1. FC Union soll er einen damals 26-jährigen Afghanen am S-Bahnhof Karlshorst entsprechend beschimpft und zusammengeschlagen haben. Der Beamte, der an jenem Abend nicht im Dienst und deutlich alkoholisiert war, sagte beim Eintreffen der alarmierten Polizist*innen, das kein Problem vorliege, schließlich seien keine deutschen Interessen betroffen.

In mehreren Prozesstagen haben Zeug*innen den Verdacht gegen K. als Haupttäter bekräftigt. Helga Seyb, die für die Opferberatungsstelle Reach Out den seit März coronabedingt unterbrochenen Prozess beobachtet, erinnert sich an eine Zeugin, die überzeugend geschildert habe, wie sie sich zunächst mit K. unterhalten, diesen gar sympathisch gefunden habe.

Als das Opfer, das zufällig die Treppe vom Bahnsteig herunterkam, von Umstehenden beschimpft wurde, habe sie erwartet, dass K. einschreite, tatsächlich sei er aber „abgegangen“ und habe noch mehr als die anderen Täter „effektiv zugeschlagen“, so Seyb. Mehrere Zeug*innen, darunter auch Polizist*innen, bestätigten zudem die rassistischen Beleidigungen. K. solle gerufen habe: „Geh in dein Land zurück.“

Ein zerstörtes Leben

Für den Geschädigten war der Angriff nach zwei Jahren in Deutschland laut seiner Anwältin eine heftige Zäsur: Bis dahin soll er gut integriert im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes in einem Kreuzberger Kinderladen gearbeitet haben. Das geregelte Leben des jungen Mannes, der neben körperlichen psychische Schäden davontrug, sei danach durcheinandergeraten.

Unter den Folgen des Angriffs flüchtete er nach England, sei dort drogenabhängig und obdachlos geworden. Zurück in Berlin, sei er dann mit Drogen- und sonstiger Kleinkriminalität aufgefallen. Nach Angaben seiner Anwältin landete er im Krankenhaus des Maßregelvollzugs, ohne Anklage, weil ihn ein gerichtlicher Gutachter aufgrund seines psychischen Zustands für schuldunfähig erachtet.

Am 11. März, mitten zur Coronazeit, sei er dann aus dem Krankenhaus heraus im Rahmen einer bundesweiten Sammelabschiebung nach Afghanistan abgeschoben, „direkt in die Obdachlosigkeit nach Kabul“, wie seine Anwältin Jenny Fleischer sagt. Sie stehe mit ihm Kontakt, sagt aber: „Ihm geht es schlecht.“

Zu frühes Opfer

In Berlin gilt eigentlich die Weisung, dass nur Straftäter, sogenannte Gefährder und „Personen, die sich hartnäckig der Identitätsfeststellung verweigern“, nach Afghanistan abgeschoben werden. Verurteilt war der Mann jedoch nicht. Nach Informationen des Berliner Flüchtlingsrats wurde er aber als „Straftäter“ geführt; Innensenator Andreas Geisel (SPD) habe die Abschiebung genehmigt.

Dass es sich bei dem Mann zugleich um ein Opfer einer rassistischen Attacke handelte, hat die Ausländerbehörde in ihrer Zustimmungsanfrage laut Flüchtlingsrat verschwiegen. Seit Juni 2017 hat sich Berlin darauf verpflichtet, Opfer rassistischer Gewalt nicht mehr abzuschieben – das war zwei Monate nach der Tat.

Auf Anfrage rechtfertigte der Sprecher der Innenbehörde die Abschiebung: „Es gab die Prognose, dass von ihm eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter ausgeht. Im März erfolgte deshalb die Abschiebung. Es ist Aufgabe des Innensenators, die Menschen in Berlin zu schützen. Dieser Aufgabe ist er nachgekommen.“ Zudem erklärte der Sprecher, Innensenator Andreas Geisel (SPD) habe nicht gewusst, „dass der Mann 2017 Opfer einer möglichen rassistisch motivierten Straftat geworden ist“.

Für den Flüchtlingsrat ist die Abschiebung schon deshalb rechtswidrig, weil der Afghane als Nebenkläger ein Recht habe, an dem Prozess teilzunehmen und auch ein Schmerzensgeld hätte einfordern können. Sprecher Georg Classen fordert daher, dass der Abgeschobene „sofort nach Berlin zurückgeholt werden“ und zudem „ein sicheres Bleiberecht erhalten“ solle. Der Fall sei ein „Skandal für den rot-rot-grünen Senat“.

Entsprechend empört ist Bettina Jarasch, Grünen-Sprecherin für Integration und Flucht. Sie erklärte am Donnerstag: „Es darf nicht mal der Hauch eines Verdachts entstehen, dass der Staat oder die Politik Ermittlungen oder Strafverfahren behindern will.“ Das Opfer müsse „unverzüglich“ aus Afghanistan zurückgeholt werden, fordert auch sie. Zudem müsse aufgeklärt werden, warum der junge Mann überhaupt abgeschoben wurde, obwohl er Nebenkläger im Prozess ist.

Angesichts der aufgedeckten Biografie des vermeintlichen Haupttäters fordert Classen, die rechtsextreme Neuköllner Anschlagsserie und die Verbindungen von Polizei und Staatsanwaltschaft „ins rechtextreme Tätermilieu“ durch eine unabhängige Instanz untersuchen zu lassen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

20 Kommentare

 / 
  • Nein. In Deutschland gibt es kein strukturelles Rassismus. Es darf nicht geben... Amen.

  • bei uns kein zuhause gefunden...

    zuhause kein zuhause gefunden.

    wo zuhause ?

  • Übel, was dem Afghanen passiert ist.

    Aber ich würde mir nicht so schnell die Darstellung von dessen Anwältin zu eigen machen, dass der Vorfall die Zäsur war, die aus einem Muster-Geflüchteten ein straffälliges Wrack gemacht hat.

    Vielleicht war vorher schon nicht alles so rosig, wie diese es auszumalen sucht.

    • 9G
      90564 (Profil gelöscht)
      @stiller123:

      vielleicht, vielleicht aber auch nicht, auf auf, zum fröhlichen (unqualifizierten) spekulieren ;)

  • Gibt es eine Petition?

  • Überschrift wie aus der BILD.

    • @Thomas Schöffel:

      Wohl kaum. Dort wäre eher "ASYL-WAHNSINN: GERICHT WILL IRREN DROGEN-GEWALTTÄTER AUS AGHANISTAN ZURÜCKHOLEN" zu lesen.



      Falls sich nicht noch irgendwie ein "SEX-TÄTER" konstruieren lässt.

  • Polizei, dein Hezer und Schläger im Rechtsstat

    • @Smonkintrees:

      In welchem Land leben Sie in dem solche Zustände herrschen? Deutschland kann es ja wohl nicht sein.

      • @Goodfella:

        Ein bisschen übertrieben hat Smonkintrees schon, aber rosig ist es in DE auch wieder nicht.

        Die Polizei muss immer wieder den Ausputzer für geltungssüchtige Innnenressortchefs geben.



        Da werden dann auch Leute zusammenschlagen.

      • 9G
        90564 (Profil gelöscht)
        @Goodfella:

        alles immer nur cluster von einzelfällen, denn die polizei macht nie niemals nicht fehler, die polizei isz quasi unfehlbar, es gibt keine polizeigewalt, sagt auch olaf scholz und der muss es ja wissen

      • @Goodfella:

        Schon!!!

        • @Jakob Cohen:

          kommt immer auf die Perspektive an.

  • Alles Einzelfälle...

  • Angesichts solcher Berichte ist es nicht einfach, die Polizei als Freund und Helfer zu betrachten.

  • Eine sehr traurige Geschichte. Ich hoffe die Tat kann lückenlos aufgeklärt werden und der Täter bestraft. Dem jungen Flüchtling würde ich auch wünschen, dass er wieder nach Deutschland kommen kann und ein Umfeld vorfindet, in dem er seine seelischen Verletzungen verarbeiten kann.

    Was mich aber stört ist dass sowohl gegenüber Migranten als auch gegenüber der Polizei leicht ein Generalverdacht erhoben wird. Es gibt kriminelle Migranten und kriminelle Polizisten und es gibt ehrenhafte Migranten und ehrenhafte Polizisten. Obwohl es immer gut ist Problemen auf den Grund zu gehen werden leider Untersuchungen je nach politischer Ausrichtung nur in eine Richtung gefordert. Entweder sollen nur Statistiken zu Polizeigewalt veröffentlicht werden oder nur Statistiken zu Ausländerkriminalität. Aus meiner Sicht muss wer das eine fordert auch für das andere offen sein. Und wenn deutlich wird, dass jeder von uns nicht perfekt ist würden wir hoffentlich vorsichtiger mit dem Finger auf andere zu zeigen.

    • 9G
      90564 (Profil gelöscht)
      @freedomnow:

      die berufswahl ist eine aktive willensentscheidung, herkunft nicht.



      und ja, es gibt "kriminelle migrant!nnen" und "kriminelle polizist!nnen", die einen sind seit jahrzehnten regelmässig medienthema und wird von der politik ausgiebig beackert, das andere wird regelmässig von fast allen parteien relativiert und kleingeredet

    • @freedomnow:

      "Es gibt kriminelle Migranten."

      Wie können Sie so etwas behaupten?