Fotografieausstellung in Bielefeld: Farbgewaltige Emanzipationen
Das Kunstforum Hermann Stenner widmet Josef Schulz eine Einzelausstellung: „Spectrum. Architektur. Landschaft. Fotografie“.
Haben große Lehrer auch große Schüler? Für den Fotografen Bernd Becher (1931–2007), 1976 der erste Professor am neuen Lehrstuhl für Photographie der Kunstakademie Düsseldorf und gemeinsam mit seiner Frau Hilla Becher (1924–2015) dort über 20 Jahre lang die Lehre vertretend, trifft sogar zu, dass eine eindrucksvolle Zahl höchst erfolgreicher Fotokünstler:innen seiner Klasse entsprang.
Im Jahr 2000 übernahm, vielleicht wenig originell, mit Thomas Ruff ein ehemaliger Student den Lehrstuhl, mit dem 2008 berufenen Konzeptkünstler Christopher Williams, Absolvent des legendären California Institute of the Arts aus Los Angeles, wurde einer möglichen künstlerisch inzüchtigen Kontinuität begegnet.
Nicht nur im US-amerikanischen Kunstbetrieb ist seit Ende der neunziger Jahre „Struffsky“ (in Anlehnung an das Trio der wohl renommiertesten Becher-Schüler Thomas Struth, Thomas Ruff und Andreas Gursky) das Synonym für eine zu gigantischen Formaten auflaufende, farbgewaltige Fotokunst im Geiste der Düsseldorfer Schule. Mit Candida Höfer, Tata Ronkholz, Axel Hütte, Jörg Sasse oder dem Kölner Boris Becker ließe sich die Liste bekannter Becher-Schüler:innen beliebig erweitern.
Sie lässt aber auch vermuten, wie schwierig es wohl für jede:n Einzelne:n gewesen sein muss, im Erwartungsdruck zu bestehen sowie in der internen Konkurrenz der Fotoklasse einen eigenständigen Zugang im Medium zu finden. Besonders für Studierende der späten Jahre erreichten diese Fragen existenzielle Dimension, denn die bereits avancierteren Kolleg:innen hatten nun ihre „Marken“ besetzt, waren unerbittlich im Veto.
Bechers Meisterschüler Josef Schulz
So schildert es jedenfalls Josef Schulz, 1966 geboren, der ab 1993 in Düsseldorf studierte und 2002 als Meisterschüler abschloss. Ihm widmet das Kunstforum Hermann Stenner in Bielefeld derzeit eine üppige Einzelausstellung mit rund 50, erwartungsgemäß großformatigen und farbintensiven Arbeiten, die systematisch mit seinem frühen Werkkomplex „Formen“, ab 2001, beginnt, durch nachfolgende Reihen streift, um mit einer für die Ausstellung erstellten Reprise, der „Form #25“, zu enden.
Bis 17. Januar, Kunstforum Hermann Stenner, Bielefeld. Öffnungszeiten: Mi. – Fr. 14 – 18 Uhr; Sa., So. und an Feiertagen 11 – 18 Uhr
Josef Schulz räumt auch ein wenig auf mit dem Mythos Becher-Schule, zumindest was eine direkte Prägung durch den Herrn Professor betrifft. Denn dieser, so erzählt Schulz, war kaum präsent, noch seltener äußerte er sich zu den künstlerischen Versuchen seiner Studierenden, er ließ sie einfach machen.
Ein „brummender Haufen“ sei aber der harte Kern aus zehn bis fünfzehn Studierenden gewesen, der sich rund um die Dunkelkammer traf und bemüht war, die dokumentarische Grunddisposition der Becher’schen Fotografie zu durchbrechen, wenn nicht zu überwinden. Schulz drehte gewissermaßen den Spieß um: Aus einer abbildenden Qualität der Fotografie wurde eine bildgebende, den Techniken digitaler Postproduktion gedankt.
Und so verläuft sein Arbeitsprozess bis heute in etwa gleich: Ein Motiv, Schulz sagt „Objekt“, wird mit der analogen Plattenkamera auf Negativmaterial aufgenommen, ein großformatiges, farbiges Positiv dann digitalisiert und aufwendig bearbeitet.
Allerweltsbauten in ihrer ganzen Einfalt
Schulz interessieren Masse, Fläche, Schatten, Farbe. Wie ein Bildhauer hat er etwa in seiner Serie „Sachliches“ Industriebauten aus ihrem Kontext isoliert und zu autonomen Körpern werden lassen. Diese Allerweltsbauten sind nun ihrer ganzen Einfalt präsent, ihre gesteigerte Farbigkeit – rot-blau, grau-magenta, schwarz – wird zum Titel gebenden und irritierenden Faktor zwischen monochromem Betonboden, synthetischem Rasengrün und milchigem Himmel.
Ähnlich rigoros verfuhr Schulz in seiner Serie „Terraform“ ab 2007 mit pittoresken Landschaftssituationen. Sie liefern ihm keinen Anlass mehr für romantische Sichten, im Gegenteil: Von Mensch, Tier oder Bebauung bereinigt, erblickt man nackte, schroffe Felsformationen oder eine digital aufgeforstete Halbinsel im Vierwaldstättersee, deren Baumbestand bis hinein in den Wasserspiegel reicht.
In all diesen Kompositionen mag man eine Zivilisationskritik vermuten, sie wird durch den Hang zum pathetisch Formalen jedoch nicht ostentativ gestützt. Aber Josef Schulz kann auch anders: Für seine Serie „Übergang“ porträtierte er ab 2005 aufgelassene Kleinarchitekturen ehemaliger Grenzsicherungen im innereuropäischen Schengenraum. Mag sein, dass für den gebürtigen Polen Schulz Staatsgrenzen brutalere Beschränkungen bedeuteten als für Westeuropäer:innen.
Narrative Qualität des Fotografischen
Wie Bilder biografischer Betroffenheit schält Schulz die skurrilen Baurelikte präzis durchgezeichnet heraus, während er den landschaftlichen Kontext abmildert – unschöne Erinnerungen, die bitte verblassen mögen. Mit derart narrativer Qualität des Fotografischen näherte sich Schulz nach der globalen Finanzmarktkrise auch suburbanen Situationen in nicht gerade prosperierenden Weiten der USA.
Für die Serie „Poststructure“ ab 2010 wählte er den Kunstgriff der American Night – ein Blaufilter verleiht dem leicht unterbelichteten Bild den Effekt geheimnisvollen Mondlichts – und findet so beklemmende Bilder für eine Kultur ökonomischen, sozialen und politischen Niedergangs.
Wie stets dem Namensgeber des Kunstforums, Hermann Stenner (1891–1914), verpflichtet, erzählt eine Kabinettausstellung vom künstlerischen Emanzipationsprozess des expressionistisch orientierten Meisterschülers im Jahr 1912. Neben alten Meistern im Louvre entdeckte Stenner in Paris das städtische Leben, er sah Industrielandschaften in der Eifel und fand zu fraktal kantigem Kubismus – ein Gegenpart zur natürlichen Kompositorik seines Lehrmeisters Adolf Hölzel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!