: Zu viel, zu schnell, zu früh
Der Bremer Pharmakologe Bernd Mühlbauer kritisiert den Druck auf die Forschung bei der Bekämpfung der Coronapandemie. „Viele Studien überfliege ich nur noch“, sagt der Wissenschaftler inzwischen
Die EU-Kommission hat für 63 Millionen Euro das Medikament Remdesivir gekauft.
Etwa 30.000 Patient*innen sollen damit behandelt werden können. Es ist das erste in der EU zugelassene Medikament gegen Covid-19.
Vor zu viel Druck auf die medizinische Forschung im Kampf gegen das Covid-19-Virus hat der Bremer Pharmakologe Bernd Mühlbauer gewarnt. „Die Zulassung von Remdesivir hat gezeigt, wie groß der Druck ist und wie schnell gerade alles gehen muss. Im Normalfall wäre das Medikament niemals in einem solchen Rekordtempo zugelassen worden“, sagte der Medikamenten-Experte dem Bremer Kurier am Sonntag. Mühlbauer ist Leiter des Instituts für Pharmakologie am Klinikum Bremen Mitte und beteiligt an einer WHO-Studie, die untersucht, welche Medikamente Coronapatienten helfen.
Drei von vier Präparaten, die zunächst für die Studie getestet worden seien, hätten keinen signifikanten therapeutischen Wert gehabt, aber Risiken wie eine Erhöhung von Leber- und Nierenwerten. Das ursprünglich gegen das Ebola-Virus entwickelte Remdesivir sei als einziges Mittel in der Studie verblieben, obwohl seine Wirkung bei Covid-19-Patient*innen ebenfalls kaum geklärt sei: „Das Medikament verkürzt die Aufenthaltsdauer der Coronapatienten im Krankenhaus um vier Tage im Durchschnitt. Es ist aber nicht bewiesen, dass durch das Medikament tatsächlich mehr Coronapatienten überleben“, betonte Mühlbauer.
Doch bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung interessiere die Forscher genau das. Dass Remdesivir dennoch frühzeitig eine Zulassung durch die EU erhalten habe, sei auch auf eine vorangegangene Freigabe des Medikaments in den USA zurückzuführen: „Hier kam der Druck vor allem von der Öffentlichkeit. Plötzlich stand die Frage im Raum: Wenn die US-Amerikaner das Mittel bekommen, wieso wird es den Europäern vorenthalten?“, sagte Mühlbauer.
Zudem kritisierte der Mediziner, dass viele Studien zu Corona vorschnell veröffentlicht würden. In der Geschichte der Wissenschaft sei wahrscheinlich noch nie so viel in einem so kurzen Zeitraum zu einem Thema veröffentlicht worden. „Leider fällt darunter auch sehr viel Unfertiges und manchmal sogar grob Falsches. Viele Studien überfliege ich nur noch.“ (dpa)
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