Erfolgreiche süddeutsche Trainerschule: Brüder im Geiste
Mit Paris Saint-Germain und RB Leipzig treffen im Champions-League-Halbfinale zwei der innovativsten deutschen Trainer aufeinander.
Man kennt das eigentlich nur von Klassentreffen: sich über den Werdegang von einstigen Mitstreitern wundern, die ganz nach oben streben. Am Dienstag begegnen sich im internationalen Rampenlicht, genau genommen im Estádio da Luz von Lissabon, zwei Fußballlehrer, denen die Krönung der Karriere winkt. Julian Nagelsmann, 33, und Thomas Tuchel, 46, rücken als Trainer der Champions-League-Halbfinalisten RB Leipzig und Paris Saint-Germain (21 Uhr/ Sky und DAZN) unweigerlich in den Blick.
Bei der Spurensuche gibt es einen gemeinsamen Startpunkt. Als Nagelsmann in den letzten Monaten seiner 2007 wegen einer Knieverletzung beendeten Karriere in der zweiten Mannschaft beim FC Augsburg kickte, hieß Tuchel sein Trainer. Der selbst hatte mit 24 Jahren wegen eines Knorpelschadens aufhören müssen – und entdeckte in Nagelsmann einen Bruder im Geiste. Jedenfalls schickte er ihn einst mit einer Handkamera, Bleistift und Notizblock zu einer Gegnerbeobachtung nach Gersthofen, wie es in der von Tobias Schächter und Daniel Meuren verfassten Tuchel-Biografie steht. Und es kam der Rat, sich doch als Trainer zu verdingen: So arbeitete Nagelsmann bald als Coach der B-Junioren bei den bayerischen Schwaben, während Tuchel das Nachwuchsleistungszentrum leitete.
Ein besonders inniges Verhältnis, erzählt Nagelsmann, hätten sie nicht gehabt. Dafür ticken beide wohl auch menschlich zu unterschiedlich. Aber sie galten als lernbegierige Nerds, die später mit TSG Hoffenheim beziehungsweise FSV Mainz 05 die idealen Klubs vorfanden, die ihre frühe Beförderung zum Bundesliga-Trainer trotz Unerfahrenheit nicht scheuten. Nagelsmann imponiert die Philosophie seines ersten Lehrmeisters: „Er versucht, alle Felder des Spiels zu bedienen. Er hat für alle Phasen des Spiels gute Lösungen.“
Unvergessen, wie Tuchel in seiner Mainzer Zeit sich gegen den FC Bayern vier, fünf Systeme erdachte, die er im Laufe eines Spiel durchwechselte. Karl-Heinz Rummenigge, Münchens Boss, ordnet den in Landsberg am Lech aufgewachsenen Nagelsmann wie den aus dem schwäbischen Krumbach stammenden Tuchel in die „Gilde der modernen, innovativen Trainer“ ein. Sie seien „der sichtbare Beweis, dass wir in Deutschland gute Trainer haben“.
Kopfzerbrechen wegen Mbappé
Sie haben einige Gemeinsamkeiten: ihre Detailversessenheit, ihr Ehrgeiz, ihre Rhetorik – und ihre Gereiztheit in der Niederlage. Nagelsmann hat gleich in seiner ersten Saison in Leipzig Erstaunliches erreicht. Die einseitige Fixierung auf Umschaltmomente ist Geschichte: Die Roten Bullen können auch längere Ballbesitzpassagen. Neuerdings sind die Nationalspieler Lukas Klostermann und Marcel Halstenberg wichtige Mitglieder einer Dreierkette. Auch bei ihm spielen sieben RB-Profis noch wichtige Rollen, die vor vier Jahren den Bundesliga-Aufstieg schafften. Jetzt tüftelt er für das erste von zwei deutsch-französischen Halbfinals an einer „ordentlichen Idee“, wobei ihm vor allem das Tempo eines Kylian Mbappé Kopfzerbrechen bereitet. Der sei kaum aufzuhalten. „Physisch sowieso nicht, taktisch irgendwann auch nicht mehr.“
Aber Nagelsmann hat im Gegensatz zu Tuchel fast nichts zu verlieren. Im Zusammenspiel mit Manager Markus Krösche und Vorstandschef Oliver Mintzlaff hat er das von Red Bull erschaffene Konstrukt in Rekordzeit von der Überfigur Ralf Rangnick losgelöst.
Rangnick soll übrigens vor Jahren die Fühler nach Tuchel ausgestreckt haben, um ihn für das in der zweiten Liga feststeckende Brauseprojekt zu begeistern. Doch der aus Ulmer Zeiten gut bekannte Wunschkandidat lehnte in seinem Sabbatjahr dankend ab.
Ob Paris der ideale Arbeitsplatz für den klugen Querkopf ist, dieser Beleg steht noch aus. Tuchel weiß genau, dass nationale Titel für das katarische Soft-Power-Instrument PSG nicht ausreichen. Klubchef Nasser al-Khelaifi hätte sicher den Daumen gesenkt, wenn am vergangenen Mittwoch das Viertelfinale gegen den Außenseiter Atalanta Bergamo (2:1) verloren worden wäre. Tuchels Freudentänzchen beim späten Siegtor von Eric Maxim Choupo-Moting, einem Mainzer Weggefährten, verriet, wie viel Anspannung auch auf dem PSG-Trainer lastet, der sich den vielen Eitelkeiten seiner Selbstdarsteller und Superstars, allen voran der Freiheitsliebe eines in kein Schema passenden Neymar, häufiger beugen muss, als ihm lieb ist. Wenn der ihn allerdings in sein erstes Champions-League-Finale schießt, wäre aus Trainersicht nichts dagegen einzuwenden.
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