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Neuer Studiengang für Betriebsrät*innenIn Teilhabe investieren

Ab Januar gibt es an der Uni Bremen einen deutschlandweit einmaligen Masterstudiengang für Personal- und Betriebsrät*innen.

Der Studiengang „Arbeit-Beratung-Organisation“ ist als berufsbegleitende Weiterbildung konzipiert Foto: Wikimedia

Bremen taz | Anfang nächsten Jahres beginnt an der Uni Bremen ein neuer Masterstudiengang: „Arbeit-Beratung-Organisation. Prozesse partizipativ gestalten“ heißt die berufsbegleitende Weiterbildung für betriebliche Interessenvertreter*innen wie Betriebs-, Personalrät*innen, Gleichstellungs- oder Schwerbehindertenbeauftragte. „Deutschlandweit einmalig“ sei dieser, heißt es in der Mitteilung der Universität.

Träger des Studiengangs sind das Zentrum für Arbeit und Politik (ZAP) der Uni Bremen, die Akademie für Weiterbildung und die Arbeitnehmerkammer Bremen. In drei Themenblöcken, die auch einzeln absolvierbar sind, so erklärt Programmleiterin Simone Hocke vom ZAP, würden verschiedene Kompetenzen gefördert werden. „Betriebsräte beraten viel, meist aber aus dem Bauch heraus.“

Der erste Teil „Arbeitsbezogene Beratung“ soll daher zur Professionalisierung dienen. „Es geht um die Selbstreflexion der eigenen Rolle“, sagt Hocke, um die Vermittlung von Methoden in der Einzel- und Gruppenberatung. Und um die Unterscheidung: „Wann sind Betriebsräte eigentlich in der Position, für die Mitarbeitenden etwas zu regeln – und wann braucht es vielmehr die Unterstützung dieser beim Einstehen für ihre Interessen?“

Außerdem werde in einem weiteren Block vermittelt, was unter guter Arbeit verstanden wird. Expert*innen der Arbeitnehmerkammer seien eng involviert. Zuletzt geht es um „Partizipative Personal- und Organisationsentwicklung“. Betriebsrät*innen, so Hocke, bräuchten Kenntnisse über Veränderungsprozesse im Betrieb, über Organisationsmodelle, über die Beteiligung von Mitarbeitenden – „um strategisch mitzuarbeiten, und nicht nur Feuerwehr zu sein“.

Betriebsräte beraten viel, aber meist aus dem Bauch heraus

Simone Hocke, Uni Bremen

Einige Unternehmen förderten dies bereits, sagt Hocke, „andere haben Interesse daran, dass Betriebsräte lieber nicht zu schlau werden“. Am Ende sei es jedoch immer besser, jemanden zu haben, der Chancen und Risiken abschätzen kann. „Sonst neigt man eher dazu, zu allem erst einmal nein zu sagen.“

Lehrende kommen aus der Wirtschaftspsychologie, Betriebswirtschaftslehre, Soziologie und Politikwissenschaft. „So interdisziplinär ist auch die Arbeit von Betriebsräten“, sagt Hocke. Und ihre Aufgaben würden aufgrund der Veränderungen in der Arbeitswelt komplexer werden. Digitalisierung, demografischer Wandel, Fachkräftemangel und neue Organisationsformen: „Die Tendenz geht stärker zur Arbeitnehmerbeteiligung, daher nehmen Betriebsräte immer mehr eine moderierende Rolle ein.“ Für diese Rolle benötige es entsprechende Fortbildungen.

Neben den strukturellen Veränderungen der Arbeitswelt gehe es schlicht auch um Mitbestimmung, sagt Annette Düring, Geschäftsführerin des DGB Bremen-Elbe-Weser. „Darum kämpfen Betriebsräte jeden Tag.“ Deswegen sei es so wichtig, einen Raum zu schaffen, in dem diese gesellschaftliche und arbeitsrechtliche Fragen diskutieren können. „Betriebsräte sind das Scharnier zwischen Unternehmen und Beschäftigten“, sagt Düring. Es gehe darum, die Arbeitswelt gemeinsam zu gestalten.

„Gut ausgebildete Betriebsräte sind in der Lage, auf Augenhöhe mit Arbeitgebern gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten zu gestalten“, sagt auch Stefanie Laßmann, die Referentin im Bereich Mitbestimmung von Ver.di Deutschland.

Nach dem „schweren Ringen“ mit der Uni um die Schaffung dieses Studiengangs – der Sparkurs hatte sich auch hier bemerkbar gemacht – sei es nun „wunderbar“, so Düring, „dass Betriebsräte endlich Creditpoints für die Fortbildungen bekommen“. Denn das Problem sei, so Hocke, dass Betriebsrät*innen zwar jahrelang dafür freigestellt werden – wenn sie dann aber nicht wiedergewählt werden oder etwas anderes machen möchten, „haben sie kaum Nachweise über Kompetenzen“.

Die Notwendigkeit dafür belege eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung, sagt Laßmann: „Betriebs- und Personalräte haben einen Bedarf von Anerkennung ihrer in der Zeit der Ausübung des Betriebsratsmandates erworbenen Kompetenzen und des Wissens.“ Die Studie sei Grundlage für die Entwicklung des Studiengangs gewesen.

Demografischer Wandel fordert Betriebsräte heraus

Die Anerkennung der Kompetenzen diene nicht nur der individuellen Erwerbsbiografie, sondern auch dem Generationenwechsel, so Laßmann. „In den Räten findet ein demografischer Wandel statt“, sagt auch Hocke. „Viele sind relativ alt und steigen in den nächsten Jahren aus.“ Die Motivation junger Menschen für Betriebsratsarbeit hänge davon ab, wie attraktiv diese im Vergleich zu einer betrieblichen Karriere ist. Wenn man keine Anreize schaffe, „wird es in den nächsten Jahren schwierig, Kandidaten zu finden“, sagt Hocke.

Während der Block „Arbeitsbezogene Beratung“ inzwischen zum zweiten Mal startet, beginnt der gesamte Studiengang im Januar. Bewerbungsschluss ist der 31. Oktober. Inklusive Abschlussarbeit dauert der Studiengang vier Jahre; 18 Tage sind pro Jahr vor Ort oder aktuell online zu absolvieren.

Der Betrieb sei als Lernort zwar durch Praxisprojekte zeitlich einkalkuliert, sagt Hocke, viel der Arbeit falle jedoch in die Freizeit. Die Kosten – 19.200 Euro für den gesamten Master, 5.600 Euro für ein einzelnes Zertifikat – trage in der Regel der Arbeitgeber. Problematisch: „Die Unternehmen investieren zurzeit nicht.“ Dabei sei es gerade in der jetzigen Krise wichtig.

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1 Kommentar

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  • Das find eich komplett -mit Verlaub Oberscheisse!

    Betriebsrat ist ein zeitlich befristetes Ehrenamt auf demokratischer Grundlage.



    Qualifikation ist sicher nötig - aber die bekommen Betriebsräte natürlich ( bezahlt und als Arbeitszeit!) .

    Wir brauchen ganz sicher keine Pseudoqualifikation auf diese demokratischen Ämter.



    Denn Absolventen dieses Studiengangs erwarten natürlich auch dass sie ganz oben auf die Listenplätze kommen.



    Und dann haben wir Berufsbetriebsräte - und wie es dann läuft sehen wir ja seit Langem bei den Berufspolitikern.

    Und BTW: Wie wollen sie soetwas in der Vita verpacken ?



    Als Arbeitgeber würde ich so jemanden erst gar nicht einstellen.



    Da hole ich mir ja selbst Pest und Colrea ins Haus [aus Arbeitgebensicht]