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Die WahrheitEs ist Zeit für ein Haus

René Hamann
Kolumne
von René Hamann

Seit Jahren ist die Instandsetzung im Gange und nicht der Rede wert. Das Haus steht da wie ein verwundeter offener Körper.

A m Morgen wachte ich mit einem neuen Buch auf. Das war merkwürdig, denn eingeschlafen war ich mit einem anderen. Irritiert sah ich mich um – es war immer noch dasselbe Zimmer, es hatte sich nichts Wesentliches verändert; links des Fensters klebte noch die Leiche der Mücke von letzter Nacht.

„Ist deine Wohnung beleidigt, wenn du sie mal verlässt?“, fragte neulich ein Freund, der mich lange nicht mehr gesehen hatte. Dabei verbringe ich gar nicht so viel Zeit zu Hause. Ich gehe schon auch raus. An guten Tagen.

Mein palästinensischer Nachbar hat zwei zerschlagene Fenster, die man vom Hinterhof aus sehen kann. Die Hausverwaltung macht da nichts. Klar ist nur, niemand hat sie mit Absicht zerschlagen, es war einfach an der Zeit. Bei mir gibt es Risse in der Decke, und ein Wärmezähler hat es nicht mehr ausgehalten, im Sommer nichts zu tun zu haben, und ist vom Heizkörper gesprungen. Das Haus wird seit zwei Jahren instand gesetzt, haha, tatsächlich wird irgendwie an dem Haus gewerkelt, mal kommt die bulgarische Brigade, um wie bekloppt herumzuhämmern, mal lässt sie sich für Wochen nicht blicken.

Rohre liegen frei, das Treppenhaus wird nur auf Aufforderung geputzt, man kennt das. Wen am Sonntag die Suppe anschaut, mit großen, traurigen Augen, der kann auf die Idee kommen, dass da finstere Absicht dahintersteckt. Aber am Ende ist es bloß Berliner Wurschtigkeit, glaube ich. Kommste heute nicht, kommste morgen.

Immerhin, die Mäusepolizei hat die Observierung eingestellt, die Mäuse haben sich verzogen. Ihr Handlungskorridor ist stetig kleiner geworden, spätestens seit auch die Wände wegen der Rohre geöffnet wurden wie Wunden. Mittlerweile gibt es Stellen im Treppenhaus, in denen man durch den Boden blicken kann. Der Boden sieht aus wie eine hart gewordene Mehrschichtencremetorte. Die Mäuse sind jetzt draußen und spielen in der Sonne, oder sie sind als Bewegung in den Untergrund gegangen oder hausen jetzt ewig im Mäusehimmel.

Immerhin, die steile Nachbarin ist wieder da. Die fluiden Gäste sind zu lange weggeblieben, AirBnB ist plötzlich kein Geschäftsmodell mehr, genauso wenig das ganzjährliche Überwintern auf den Kanaren. Ich begegne ihr im Treppenhaus, sie sieht meist verschlafen aus, vielleicht hat sie auch Mücken oder Mäuse.

Auf dem Weg zum Briefkasten denke ich an die neunziger Jahre, man wird ja auch nicht jünger. In den letzten beiden Jahrzehnten des vorherigen Jahrhunderts galt es als schick, schäbig zu wohnen. Man ging in schäbige Clubs, mit Toiletten, die man eigentlich nur mit Gummistiefeln betreten sollte, man wohnte mit Ofenheizung. Alles war kaputt, und so ist es im Grunde immer noch.

Eine Treppenhausleuchte zwinkert mir zu. Über den doppelten Boden meines Briefkastens, hinter dem all die Post verschwindet, die ich seit Monaten nicht mehr bekomme, berichte ich das nächste Mal.

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René Hamann
Redakteur Die Wahrheit
schreibt für die taz gern über Sport, Theater, Musik, Alltag, manchmal auch Politik, oft auch Literatur, und schreibt letzteres auch gern einmal selbst.
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