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Protest gegen EU-Milliardenpaket1. Corona, 2. Wirtschaft, 3. Klima

Umweltverbände kritisieren die Beschlüsse des EU-Gipfels scharf. Mit dem Rettungspaket könne Europa bis 2050 nicht klimaneutral werden.

Klima nicht im Blick: Rutte, Michel, von der Leyen und Macron (v. l.) beim EU-Gipfel Foto: ap

Einen Durchbruch hat die Europäische Union bei ihrem jüngsten Gipfel geschafft. Dank gemeinsamer Schulden können von Corona besonders betroffene Staaten wie Italien hunderte Milliarden Euro nicht zurückzuzahlender Zuschüsse erhalten. Aber gibt es auch einen Durchbruch in der Klimapolitik?

Während Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) die Ergebnisse vorsichtig positiv wertete, überwiegt bei den Umweltverbänden die Kritik. „Für zukünftige Generationen ist das ein schlechter Deal“, sagte Kai Niebert, Chef des Dachverbands Deutscher Naturschutzring (DNR). Und WWF-Vorstand Christoph Heinrich bemängelte, es stehe zu wenig Geld zur Verfügung, um die angestrebte Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen.

Vier Tage brauchten die Regierungschef*innen, um ein Paket mit über 1.800 Milliarden Euro zu packen. Darin enthalten sind die EU-Haushalte der nächsten sieben Jahre mit rund 1,074 Billionen und das Programm zur Überwindung der Coronakrise mit 750 Milliarden Euro. Dabei geht es vor allem darum, die von der Pandemie schwer getroffene Wirtschaft wieder anzukurbeln. Klimaschutz kommt auch vor, spielt aber keine zentrale Rolle.

Im Ratsbeschluss heißt es, dass 30 Prozent der insgesamt 1,8 Billionen Euro für „Klimaschutzmaßnahmen“ ausgegeben werden müssen, die dem „Ziel einer klimaneutralen EU bis 2050“ dienen. Um das sicherzustellen und zu überprüfen, will die EU eine „wirksame Methode“ entwickeln, die allerdings nicht näher beschrieben wird.

Mittel für Kohleregionen

Zusätzlich wird ein neuer „Fonds für gerechten Übergang“ eingerichtet, dessen Mittel Kohleregionen vor allem in Bulgarien, Deutschland, Griechenland und Polen helfen sollen, nach dem Ausstieg aus den fossilen Energien neue Arbeitsplätze zu schaffen. 17,5 Milliarden Euro stehen dafür zur Verfügung.

Schließlich plant die EU, neue Geldquellen zu erschließen, die auch dem Klimaschutz zugutekommen können. Dazu gehören ein „Grenzausgleichssystem“, um kohlendioxidintensive Importprodukte zu besteuern, die Einbeziehung des Luft- und Seeverkehrs in den Emissionshandel und eine Abgabe auf nicht recycelte Kunststoffabfälle.

Die Umweltverbände kritisieren vor allem den Umfang der Mittel für den Klimaschutz. „30 Prozent der geplanten EU-Ausgaben an die Klimaneutralität zu binden, reicht bei weitem nicht aus“, sagte WWF-Sprecher Julian Philipp. „Will die EU bis 2050 klimaneutral sein und das 1,5-Grad-Ziel einhalten, muss sie mindestens 40 Prozent dafür einsetzen.“

Diese Zahl ist allerdings eher gegriffen als gerechnet. „Die Forderung ist als Größenordnung zu verstehen, um die Umsetzung eines höheren EU-Klimaziels bis 2030 sicherzustellen“, sagte Philipp. Umweltministerin Schulze dagegen betonte, dass immerhin mehr Geld als bisher vorhanden sei: „Die Klimaquote im EU-Haushalt wird von derzeit 20 auf 30 Prozent erhöht.“

Ampel für Nachhaltigkeit

Das freilich ist erst mal nur eine Absichtserklärung. Fraglich erscheint, ob die Milliarden später auch wirklich dem Klimaschutz dienen. Zweifel scheint da auch das Umweltministerium zu hegen. „Die Bekenntnisse zu Klima- und Umweltschutz sind wichtig und nötig, aber auch die konkrete Verteilung der Mittel muss dazu passen“, mahnte Schulze.

WWF-Sprecher Philipp wird konkreter: Er bemängelte, die Klima-Milliarden seien nicht ausdrücklich an das neue Bewertungssystem der EU-Taxonomie gebunden. Diese Einstuftung für Investitionen funktioniert wie eine Art Ampel für Nachhaltigkeit. Dass das EU-eigene Klassifikationssystem im Ratsbeschluss nicht angesprochen wird, mag dem Widerstand von Ländern wie Polen geschuldet sein.

Beim Fonds für gerechten Übergang ist den Umweltverbänden ein Dorn im Auge, dass der Ansatz von 17,5 Milliarden Euro weit unter der ursprünglich genannten Größenordnung blieb. Im Green-Deal-Beschluss der Kommission vom Januar 2020 war noch von „30 bis 50 Milliarden Euro“ die Rede.

Hoffen auf EU-Parlament

„Kanzlerin Merkel und die übrigen Staats- und Regierungschefs haben an den falschen Ecken gespart. Das EU-Parlament muss die Schwachstellen nun soweit es geht ausbügeln“, sagt Germanwatch-Klimaexpertin Audrey Mathieu. Dafür sollen die Verhandlungen Ende September beendet sein. Das Bundeswirtschaftsministerium erklärt das Glas des „Just Transition Fonds“ hingegen für halb voll: Bisher habe es schließlich gar keinen Übergangstopf gegeben.

Eine Lücke tut sich im aktuellen Beschluss außerdem an einer entscheidenden Stelle auf. Noch konnten sich die Re­gie­rungs­che­f*in­nen nicht dazu durchringen, das Reduktionsziel für Treibhausgase von derzeit minus 40 Prozent im Vergleich zu 1990 auf bis zu 55 Prozent bis 2030 zu erhöhen.

Die Umweltverbände fordern sogar, der Ausstoß klimaschädlicher Gase müsse in 10 Jahren um 65 Prozent gesunken sein. In ihrer Erklärung vom vergangenen Wochenende betonen die Regierungen lediglich, dass sie das neue Klimaziel für 2030 noch in diesem Jahr festlegen wollen.

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5 Kommentare

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  • Die Zeile unter der Titelzeile enthält das Jahr



    2050: Klimaneutralität bis 2050.

    Herr Koch, ich dachte, das wäre in der Klimaschutzbewegung mittlerweile Konsens, daß das Zieljahr 2050 etwa 20 Jahre zu spät ist!?

  • Der 'Wiederaufbau' (nach dem Flächenbombardement Europas und bis auf die Grundmauern zerstörten Industrien) der europäischen Wirtschaft erfolgt mit dem Energiemix, den wir heute haben. Danke, Hinweis wurde zur Kenntnis genommen, und ignoriert! Der CO2 Rucksack von der zusätzlichen E-Mobilfabrik bis zur Stahlerzeugung für die zusätzlichen Wasserstoff-Demonstrationsanlagen. Wie vor: Ignoriert!

    Die Milliarden, die in die F o r s c h u n g für 'klimaneutrale' Alternativen fließen, belegen nur eines: es gibt diese Alternativen heute noch nicht! ABER wir sind überzeugt, dass wir mit ihnen in den nächsten zehn Jahren unsere CO2 Einsparziele erreichen! Sagt Pippi Langstrumpf!

    Im Ernst: Habt ihr aus den vergangenen fünfzig Jahren nichts gelernt? Weder politisch noch ökonomisch? Wird überhaupt kein Blick darauf verschwendet, was der IST-Zustand ist? Dass es zeitliche Abläufe gibt, um die Gelder überhaupt verteilen zu können, Anlagen oder Forschungseinrichtungen auf-, aus- oder umzubauen, entsprechende administrative Rahmenbedingungen zu schaffen sind, bis hin zur Erarbeitung von Planfeststellungsverfahren, Ausschreibungen und Baubeginn...?

    Okay, im Wumms-Paket steht ja, dass das Planungsrecht beschleunigt werden soll. IST es aber noch nicht. Und wird es so einfach akzeptiert, dass vermutlich die Bürgerbeteiligung und die Einspruchsrechte ausgehebelt werden?

    Bitte, hört auf, nur auf die Milliarden zu schauen! Sie werden in den kommenden zehn Jahren wenig bis gar nichts zur CO2 Reduktion beitragen

  • Das vergangene Jahrhundert war geprägt vom Zerfall der europäischen Kolonialreiche.



    Die entscheidende Frage in diesem wird die Beantwortung der ökologischen Frage, die Verteilung, Nutzung und Nichtnutzung der den Menschen zur Verfügung stehenden Ressourcen.

  • Ehrlich gesagt, wenn ich in eine Kneipe gehe und Leuten vor dem Spielautomaten zusehe, erlebe ich dieselben Handlungsanreize und Entscheidungsmuster. Wo bekomme ich ein paar Groschen her, muß doch einwerfen. Hey Moment, jetzt hat sich wieder etwas gelohnt, kann ich noch mehr haben. Wenn jedesmal das gleiche herauskommt, "für zukünftige Generationen ist das ein schlechter Deal", fragen wir uns, was diese Leute im hier und jetzt verloren haben.

    • @Picard:

      Wenn ich so drüber nachdenke, wie es zu Corona überhaupt gekommen ist, möchte ich mal wieder final verzweifeln über die Förderkriterien der EU. Welch ein gigantischer (Selbst-)Betrug!

      Hätte Corona wirklich Priorität 1, würden vernünftige Menschen spätestens jetzt ihre bisherige Prioritätenliste extrem kritisch überprüfen und anschließend schleunigst korrigieren. Die Privilegierung dessen, was verharmlosend „die Wirtschaft“ genannt und pauschal an Nr. 2 der Liste gesetzt wird, gegenüber einem Umwelt- und Artenschutz, der offenbar noch immer höchsten nice-to-habe-Priorität besitzt, hat uns den ganzen sündhaft teuren Ärger schließlich erst eingetragen.

      Aber klar, eine Verlagerung der Prioritäten würde Konflikte aufwerfen. Gefährliche Konflikte. Manch einen Irren hat die Menschheit schon zu stark werden lassen mit ihrer verkehrter Proiritätensetzung. Ja, unsere Alphatiere haben definitiv ein Sucht-Problem. Und wir mit ihnen, sonst hätten wir sie schon geschasst und uns selber gerettet.