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Polizei-Erhebungen in Stuttgart„Ein rassistisches Narrativ“

Nach der Stuttgarter Krawallnacht will die Polizei die Herkunft der Tatverdächtigten klären. Kriminologe Tobias Singelnstein findet das bedenklich.

Polizeipräsenz auf dem Schlossplatz in Stuttgart am 26. Juni Foto: Christoph Schmidt/dpa

BERLIN taz | In der Debatte um die Erhebung des Migrationshintergrunds von Tatverdächtigten der Stuttgarter „Krawallnacht“ erklärt der Bochumer Kriminologe Tobias Singelnstein, die dortige Polizei mache „keine gute Figur“. Zwar sei unklar, was die Behörde mit den erhobenen Informationen zu tun beabsichtige. Die Äußerungen legten aber nahe, „dass sie dem Migrationshintergrund eine Bedeutung beimisst, die er schlicht nicht hat“, sagte der Professor für Kriminologie an der Ruhr-Universität Bochum der taz.

Zuvor hatte die Meldung für Empörung gesorgt, die Stuttgarter Polizei wolle unter den meist jugendlichen deutschen Tatverdächtigen „Stammbaumforschung“ betreiben. Die Behörde weist diese Wortwahl zurück. Ein Sprecher der Stadt Stuttgart soll sich den Tonmittschnitt der Gemeinderatssitzung angehört und bestätigt haben, dass Polizeipräsident Frank Lutz den Begriff nicht gebrauchte.

„Ich habe mir erlaubt, den Ausführungen von Lutz einen Namen zu geben und das zugegebenermaßen etwas zugespitzt“, erklärte am Montagnachmittag der Stuttgarter Stadtrat Marcel Roth (Grüne), über dessen Facebookeintrag das Wort „Stammbaumforschung“ in Umlauf geraten war. Ihm gehe es aber „um die Sache und nicht um den Begriff“. Polizeipräsident Frank Lutz habe in seiner Rede „einen eindeutigen Fokus auf Nationalität und Herkunft gelegt“, so Roth. Das in der Ermittlung zu tun sei eine „Form von Rassismus“.

In einer Pressemitteilung der Polizei heißt es, Lutz habe von „bundesweiten Recherchen bei Standesämtern“ gesprochen, „da bei elf deutschen Tatverdächtigen ein Migrationshintergrund noch nicht gesichert ist“. Die Bundesregierung verteidigte das Vorgehen am Montag: Man forsche das „Phänomen“ unter allen möglichen Perspektiven aus, erklärte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums.

Selber mal gucken: OB Kuhn und Polizeipräsident Lutz am 27. Juni auf dem Schlossplatz Foto: Arnulf Hettrich/imago

„Nur als ein Detail von vielen“

Gerade bei Jugendlichen sei die Prävention besonders wichtig und das soziologische Umfeld deswegen Teil der Ermittlungen. Es mache einen Unterschied, ob jemand erst seit Kurzem im Land sei oder hier geboren und eine „starke Bindung an die Gesellschaft“ habe.

Wenn die Zuwanderungsgeschichte sich auf die Lebensumstände auswirke, könne ihre Erhebung im Jugendstrafverfahren in der Tat „zur Vervollständigung des Bildes“ sinnvoll sein, sagte Singelnstein – „als ein Detail von vielen“. Wenn aber dem Migrationshintergrund selbst eine Bedeutung zugeschrieben und dieser systematisch erhoben werde, „dann wäre das äußerst problematisch“.

In Singelnsteins Augen ist letztlich nicht der Begriff „Stammbaumforschung“ entscheidend – sondern das Handeln der Polizei. Ihm sei nicht klar, welche Schlussfolgerungen aus der Erhebung des Migrationshintergrunds gezogen werden sollen, so der Kriminologe.

Sensibler Umgang angebracht

Öffentlich entstehe durch die Äußerungen der Stuttgarter Polizei der Eindruck, Staatsangehörigkeit oder Migrationshintergrund hätten einen Einfluss auf die Straffälligkeit. „Wir wissen aus der kriminologischen Forschung, dass das nicht stimmt.“ Vielmehr komme es auf die Lebensumstände und soziale Aspekte an, vielleicht noch auf psychische Faktoren.

Akteure wie die AfD seien „sehr bemüht“, Migration und Kriminalität in Zusammenhang zu bringen. Das sei ein „klassisches rechtes und rassistisches Narrativ“. Gerade deshalb sei die Polizei „aufgefordert, in der öffentlichen Debatte sehr sensibel mit diesen Themen umzugehen – statt den Eindruck zu erwecken, es gebe solche Zusammenhänge tatsächlich“, so Singelnstein.

Welche Daten bei wem und zu welchem Zweck erhoben werden sollen, konnte die Pressestelle der Stuttgarter Polizei bis Redaktionsschluss nicht beantworten.

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