piwik no script img

Aufklärung im Fall Oury JallohDie unendliche Blockade

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Die Angst der Behörden, was im Fall Oury Jalloh noch zur Sprache kommen könnte, legt den Schluss nahe: Es muss schlimm sein.

In einer dieser Arrestzellen im Polizeirevier Dessau verbrannte 2005 Oury Jalloh Foto: Eckehard Schulz/imago

E s ist eine unendliche Geschichte. Wer Buch darüber führen will, mit wie vielen Volten Polizei und Justiz in Sachsen-Anhalt Aufklärung im Fall Oury Jalloh erschwert haben, hat viel zu tun.

Seit dem Tag des Brandes, bei dem vor über 15 Jahren der gefesselte Sierra Leoner im Keller des Dessauer Polizeireviers verbrannte, reiht sich Merkwürdigkeit an Merkwürdigkeit. Jetzt ist eine weitere hinzugekommen: Die beiden Juristen, die im Auftrag des Parlaments von Sachsen-Anhalt den Fall aufarbeiten sollen, werden in ihrer Arbeit blockiert – und zwar vom CDU-geführten Justizministerium in Magdeburg.

Das will partout unterbinden, dass die beiden ohne Aufsicht vertrauliche Gespräche mit den beteiligten StaatsanwältInnen führen können. Angeblich sei eine solche Befragung verfassungswidrig, beschied ein frisch ins Amt gekommener Staatssekretär. Nur die Landesregierung selbst müsse dem Parlament Rede und Antwort stehen, nicht aber ihre Beamten. Es ist eine höchst überraschende Feststellung. Denn als die beiden Sachverständigen eingesetzt wurden, war das Justizministerium beteiligt – und hatte keine Einwände.

Das Ministerium weist deshalb erhobene Vorwürfe zurück: Es sei gar nicht gegen eine Befragung – nur solle die eben im Rechtsausschuss stattfinden. Ein solches Setting ist aber etwas völlig anderes als ein freies, vertrauliches Gespräch ohne Anwesenheit der Vorgesetzten. Richtigerweise lehnen die beiden Sachverständigen dies ab.

Was soll nicht an die Öffentlichkeit kommen?

Man kann nur mutmaßen, was das Magdeburger Justizministerium befürchtet, was bei einer unkontrollierten Befragung der Ankläger zur Sprache kommen würde. Der naheliegendste Schluss ist leider: Es muss so schlimm sein, dass man lieber das fatale Bild in Kauf nimmt, das jetzt entsteht. Denn was soll von der Kehrtwende des Justizministeriums anderes zu halten sein als: Es sollen weiter Dinge unter der Decke gehalten werden?

Dass die mitregierenden Grünen und die SPD nun protestieren, ist richtig – aber sie tragen Mitschuld an der Situation. Denn hätten sie den von der Linken-Opposition geforderten Untersuchungsausschuss eingesetzt und sich nicht aus Rücksicht auf die CDU auf das deutliche schwächere Instrument „externer Berater“ eingelassen, wäre die Aufklärung heute wohl deutlich weiter. So aber verfestigt sich der Eindruck, dass in Dessau Dinge geschehen sind, von denen die Öffentlichkeit auf keinen Fall erfahren soll. Dabei könnte der Schaden gar nicht größer werden als der, der durch die nicht endende Folge von Verdunklungsversuchen entstanden ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Dies ist nicht der einzige Fall, der mich hoch zynisch werden lässt, wenn jemand behauptet, Deutschland sei ein funktionierender Rechtsstaat.

  • Man sollte auch mal das interessante Phänomen untersuchen, warum Menschen, die sich zuvor niemals selber verletzten, innerhalb von Polizeigebäuden, oft auch schon innerhalb von Polizeifahrzeugen, völlig unmotiviert und ganz plötzlich zu extremen selbstschädigenden Handlungen übergehen, wie das Schlagen des eigenen Kopes gegen Fenster / gegen eine Betonwand, oder mit auf dem Rücken gefesselten Händen Treppen herunterspringen.

    • 0G
      01349 (Profil gelöscht)
      @Wagenbär:

      Wer weiß schon, was in einem Polizeihasser vorgeht...

      (das war jetzt sarkastisch)

  • und dann sagt unser Innenminister, es gäbe kein strukturelles Problem in unserem Land.....

  • Hätten wir ein funktionierendes Justizsystem würde sich der Generalbundesanwalt einschalten und die Ermittlungen an sich ziehen.

    • @Christoph Buck:

      Ich behaupte sogar: Hätten wir ein funktionierendes Justizsystem, hätte es den "Fall Jalloh" gar nicht erst gegeben. Allerspätestens nach dem zweiten (!) Todesfall auf eben jener Dienststelle in Dessau, hätte es Ermittlungen, Suspendierungen (Freistellungen) und (Disziplinar-)Verfahren geben müssen. Jaja, gab es natürlich..wurden nur eingestellt oder eben anders beurteilt... Verdunkelung, Straftatvereitelung, Unterlassene Hilfeleistung.. das sind schon arge Verdachtsmomente gg Beamten (im Amt), die sich nicht mal auf diejenigen beziehen, die ggf direkt den Tod zu verantworten haben.



      Es ist mir nach wie vor unbegreiflich, wir reden hier von Polizisten (!) im Dienst (!) auf einem Polizeirevier (!). Anhand der Gutachten ist belegt, dass Jalloh vor seinem Tod schwer misshandelt wurde und aufgrund der Schwere der Verletzungen gar nicht fähig gewesen wäre den Brand auszulösen, zumal an Händen und Füßen gefesselt. Auch wurde in (allen!) Brandgutachten angenommen, dass zumindest eine geringe Menge Brandbeschleuniger verwendet wurde, an dem vermeintlichen Feuerzeug (das mitnichten die notwendige Hitze zum entzünden aufbringt) wurde weder DNA noch Fingerabdrücke von Jalloh festgestellt...



      Ab wann oder inwiefern sich die Bundesanwaltschaft nach dem dritten Todesfall hätte einschalten müssen, kann ich nicht beurteilen. Für mich hat der Fall Dessau allerdings das Potential das Ansehen der dt Behörden (Polizei und Justiz gleichermaßen) nachhaltig zu schädigen. Wäre das nicht ein berechtigter Grund, das Verfahren an sich zu ziehen?



      Und ja, ich bediene mich hier eines typischen dt Mantras, wenn nicht gar dem dt Mantra: Das nicht sein kann, was nicht sein darf.