piwik no script img

Geflüchtete des Schiffs „Ocean Viking“Mit gutem Beispiel voran, bitte

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Die Zukunft der 180 Flüchtlinge ist weiter unklar. Deutschland muss seine Ratspräsidentschaft nutzen, um ein Aufnahmesystem durchzusetzen.

Die von der Ocean Viking Geretteten sind vorerst auf dem Quarantäneschiff Moby Zaza untergebracht Foto: Antonio Parrinello/reuters

B is zu 11 Tage hatten die 180 Flüchtlinge an Bord der „Ocean Viking“ gewartet, bevor sie am Montag das Rettungsschiff der deutschen NGO „SOS Méditerranée“ verlassen durften. Vorbei ist ihre Odyssee nicht: Italien gestattete ihnen vorerst nur, für mindestens zwei Wochen auf ein Quarantäneschiff zu wechseln. Wie lange sie letztlich dort bleiben müssen, weiß niemand. Malta hatte Hunderte Flüchtlinge zuletzt über einen Monat lang auf einem Quarantäneschiff festgehalten.

Eigentlich sollte es so etwas gar nicht mehr geben: dass Gerettete, oft völlig am Ende ihrer geistigen und körperlichen Kräfte, auf unbestimmte Zeit darauf warten müssen, bevor sie an Land gehen und angemessen versorgt werden können. Diesem Ziel hatte sich eine Reihe von EU-Staaten im November 2019 verpflichtet – und Deutschland hatte sich in diesem Prozess einer Führungsrolle gerühmt.

Tatsächlich aber können Flüchtlinge heute froh sein, wenn sie im Mittelmeer überhaupt gerettet werden – oft kommt kein Schiff, und das hat damit zu tun, dass den NGOs ihre Arbeit immer schwerer gemacht wird. Ein wachsender Anteil der Flüchtenden wird wieder nach Libyen zurückgebracht. Und der Rest muss meist warten, wie nun die 180 Menschen auf der „Ocean Viking“.

Deutschland hat sich in dieser Frage zwar mit allerlei Initiativen hervorgetan, hat aber selber nur höchst schleppend aufgenommen, trotz umfangreicher Aufnahmeangebote durch Bundesländer und Kommunen. Und das war schon vor Ausbruch der Coronakrise so. Da ist es kein Wunder, dass andere EU-Staaten genauso schleppend und unwillig mitziehen. Und dass Italien und Malta fürchten, mit den Flüchtlingen allein gelassen zu werden.

Bis Ende des Jahres steht Deutschland nun dem EU-Rat vor. So hat es entscheidenden Einfluss darauf, ob die im vergangenen Jahr getroffenen Beschlüsse in ein funktionierendes System umgesetzt werden. Das heißt aber zuallererst: mit gutem Beispiel vorangehen und selbst eine effiziente und humanitäre Aufnahme sicherstellen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Die Frage beschäftigt die EU doch schon viel zu lange. Ein Durchbruch ist nicht absehbar.

    Weshalb sollte eine Ratspräsidentschaft irgend etwas daran ändern? Neue Argumente entstehen dadurch jedenfalls nicht.

  • Ein Aufnahmemodus in Europa würde zu einem deutlichen Anstieg der Migration nach Europa führen wie wir es auch ab Juni 2018 in Spanien gesehen haben, als die linke Regierung die Regierung Rajoy ablöste und die Blockaden reduzierte. Innerhalb kurzer Zeit kam es zu einer Verdreifachung der Migration bis die Wahlen in Andalusien zu einem Rechtsrutsch führten.



    Mit den Erfahrungen wird kaum eine Regierung einer Lockerung zustimmen ohne ein neues Konzept für eine bessere Begrenzung der Migration.

  • Vielen Dank für die bei diesem Thema in der Taz immer zuverlässige Berichterstattung.



    "Die Menschen werden wie Tiere gehalten im Namen Europas" steht auch über einem Streitgespräch zwischen Jean Ziegler und Manfred Weber in der "Zeit" vom 24. Juni, das ich empfehle.



    Der 86jährige Sozialist Jean Ziegler steht dort mit seiner Einforderung der sofortigen Rettung der Menschen, die auf Lesbos vegetieren, ganz allein und nackt da.







    Dass es trotz bekundeter Aufnahmebereitschaft sehr vieler europäischer Städte nicht vorangeht, ist ein absoluter Skandal. Da sollten sich auch die Bürgermeister dieser Städte gegen ihre korrupten, jeglicher Menschlichkeit entbehrenden Parteioberen wenden und sie öffentlich an den Pranger stellen.



    Dieses total kranke Europa braucht einen Aufstand von unten, eine Revolution. Boykottiert zuerst die korrupten Länder Mitteleuropas, die bei fairer Verteilung nicht mitmachen, inkl. rechtspopulistische Regierungen wie die der Niederlande). Oder macht Freunde und Bekannte in diesen Ländern darauf aufmerksam, was ihre Regierungen tun.



    Das Spendenkonto von pro asyl lautet - IBAN: DE70 3702 0500 5050 5050 50

    • @Ataraxia:

      Schliesse mich an. Danke für den Hinweis auf das Konto.

      *Zwei Wochen Erlebnisrlaub in Moria für Seehofer!*