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Bremer Enquete-Kommission KlimaschutzStrategien für 2030 gesucht

Handelskammer, Gewerkschaften, Fridays for Future – bei der zweiten Sitzung der Enquete-Kommission Klimaschutz gehört die Aufmerksamkeit den Gästen.

Vor der Messehalle erinnern Aktivist:innen an die Dringlichkeit der Klimakrise Foto: Alina Götz

Bremen taz | Es geht um Bildung, die Verkehrswende und natürlich die Schwergängigkeit der Politik. Wie viele Dimensionen die Klimakrise und ihre Bekämpfung haben, wurde einmal mehr bei der zweiten Sitzung der Bremer Enquete-Kommission Klimaschutz deutlich. Neben der – dank Corona verspäteten – Konstituierung Mitte Mai hatten am Freitag die ständigen Gäste das Wort.

18 Monate Zeit hat die Kommission, um eine Klimaschutzstrategie zur Einhaltung des Klimaziels 2030 – 80 Prozent CO2-Einsparung gegenüber 1990 – zu entwickeln. Das hatten alle Bürgerschaftsfraktionen Anfang des Jahres beschlossen; eine bindende Wirkung haben die Maßnahmen jedoch nicht.

Klaus Prietzel, Vorsitzender des BUND Bremen, hofft, dass konkrete Maßnahmen schon vor dem Ablauf der eineinhalb Jahre kommen. Er sieht die besonderen Herausforderungen im Strukturwandel, den unter anderem die Stahlwerke, die Automobilindustrie und den Flugverkehrsstandort betreffen. Entschieden werde hier jedoch auf Bundesebene, auf die Bremen einwirken müsse. Vor Ort möchte Prietzel den Ausbau der City-Solarenergie sowie die Mobilitätswende vorantreiben. „Wir brauchen eine deutliche Reduzierung des Individualverkehrs.“

Die autofreie Innenstadt sei bei der Verkehrswende der erste Schritt, sagt auch Ronny Meyer, Staatsrat der Umweltsenatorin Maike Schaefer (Grüne).

Die Wissenschaft als Problemverursacher und -löser

Auch das Wissenschaftsressort von Senatorin Claudia Schilling (SPD) ist ständiger Kommissions-Gast. Staatsrat Tim Cordßen möchte die Wissenschaft noch stärker zur Lösungsentwicklung heranziehen und berichtet vom jungen Projekt „Grüner Wasserstoff für Bremerhaven“, welches der Anfang vom „Kompetenzzentrum Wasserstoff“ in der Stadt sein soll. Aber nicht nur Chancen bietet die Forschung, sie zählt auch zu den „hohen Energieverbrauchern“, sagt Cordßen. Die Klimabilanz der Bremer Uni zu verbessern, sei ein Projekt für das ganze Jahrzehnt. „Die Uni verbraucht so viel wie eine Kleinstadt.“

Auch über die Sozial- und Wirtschaftsverträglichkeit etwaiger Maßnahmen wird diskutiert. Frank Thoss, Geschäftsführer der Handelskammer Bremen, möchte am Ende keine Maßnahmen, „die einen Wettbewerb zwischen Bremen und Niedersachsen forcieren“. So kritisiert er die kürzlich von der Bürgerschaft beschlossene Photovoltaik-Pflicht für Neubauten. „Das macht Bauen in Bremen teurer, ein Ausweichen ins Umland ist zu befürchten“, sagt Thoss. Und das bei den ohnehin schon vielen Pendler:innen, die oft mit dem klimaschädlichen Auto in die Stadt führen. „Wir brauchen vernünftig bepreisten Wohnraum in Bremen.“

Tim Voss, Referent für Wirtschaftspolitik der Arbeitnehmerkammer Bremen, betont die Relevanz der Arbeitsplatzsicherung. Angesichts des Strukturwandels sieht er eine wichtige Stellschraube in der Ausbildung, um junge Menschen mehr auf ökologisch verträglichere Berufe vorzubereiten und gleichzeitig die breite Gesellschaft bei diesem Wandel mitzunehmen. Auf die kritischen Nachfragen der Enquete-Expert:innen Jutta Günther und Benjamin Wagner vom Berg, wie durch Kommunikation die Akzeptanz für Klimaschutz in der Arbeitnehmer:innenschaft geförert werden kann, antwortet Voss lediglich: „Die Herausforderungen sind von Betrieb zu Betrieb verschieden.“

Man brauche zwar sozialpolitisch verträgliche Lösungen, gerade für einkommensschwache Menschen, sagt auch Prietzel vom BUND, mahnt aber zugleich: „Mit dem Hinweis auf die Belastung der sozial Schwachen darf man die, die es sich leisten könnten, nicht außen vor lassen.“

Ich werde 2050 nicht unbedingt erleben müssen – ihr schon.

Umweltökonom Felix Matthes

Das sieht Sönke Hofmann genau so. Für mehr Akzeptanz der teils unbequemen Lösungswege und für individuelle Verhaltensänderungen brauche es starke Investitionen in Bildung und Erziehung, sagt der NABU-Bremen-Geschäftsführer. „Flugscham und andere solcher Dinge müssen unsere Gesellschaft beschäftigen.“

Dinge, die Fridays for Future (FFF) bereits thematisieren. Die Vertreter:innen der Bremer und Bremerhavener FFF-Ortsgruppen, Frederike Oberheim und Jonas Ehlers, weisen auf die Schwere der „menschengemachten lebensbedrohlichen Klimakrise“ hin. Dann beschwert sich Oberheim, dass junge Menschen, People of Color und LGBTQI*-Personen nicht angemessen in dieser „Herrenrunde“ repräsentiert seien.

Die Kommission entlockt der Aktivistin dann doch noch konkrete Politiken, die sie für Bremen ganz oben auf der To-Do-Liste sieht: Kohleausstieg und Verkehrswende. Die Nachfrage des FDP-Abgeordneten Magnus Buhlert, ob FFF ein Null- oder sogar Negativwachstum fordere, entgegnet Oberheim: „Die planetaren Grenzen müssen das Wachstum bestimmen, nicht andersrum.“ Umweltökonom Felix Matthes hofft, dass junge Menschen weiterhin Einfluss auf die Debatte nehmen, denn: „Ich werde 2050 nicht unbedingt erleben müssen – ihr schon.“

Einfluss auf eine Debatte, die je nach Regierung zäh oder eben noch zäher ablaufen kann, wie nach dem Statement der Bremerhavener Magistratsvertretung, Stadträtin Susanne Gatti, klar wird. Die Mobilitätswende gestalte sich schwierig. Selbst ein Prüfauftrag für die Sinnhaftigkeit einer vierspurigen Straße sei schwer durchzukriegen. „Die Regierung sagt, Bremerhaven ist eine Autostadt und wird es bleiben.“ Den politischen Mut, den Gatti anspricht und den auch FFF fordert, könne man aus der Coronakrise mitnehmen, sagt Staatsrat Meyer. „Wenn Politik will, kann sie Berge versetzen.“

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