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Mutmaßlicher Bilanzbetrug bei WirecardSkandal muss Konsequenzen haben

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Bei Wirecard sind Milliarden verschwunden. Das war nur möglich, weil alle Aufsichtsorgane versagt haben.

Hinter die Fassade schauen? Wirecard-Zentrale bei München Foto: LakoPress/imago

E s ist ein beispielloser Finanzskandal: Beim DAX-Unternehmen Wirecard fehlen mindestens 1,9 Milliarden Euro – und dieser Bilanzbetrug war nur möglich, weil alle Aufsichtsorgane versagt haben. Die Prüfgesellschaft Ernst & Young wollte offenbar bequem ihre Honorare kassieren, und die staatliche Finanzaufsicht Bafin gab sich kritiklos dem Glauben hin, dass in Deutschland ein führender Finanztech-Dienstleister entsteht, der im zukunftsträchtigen Onlinegeschäft global mithalten kann.

Dieser Traum ist nun zerstoben. Niemand weiß, wie groß die Verluste bei Wirecard am Ende sein werden. Aber es ist extrem unwahrscheinlich, dass sich das Unternehmen noch gegen seine Konkurrenten durchsetzen kann. Schließlich ist Wirecard nicht die einzige Firma, die Onlinehändler beim Zahlungsverkehr mit ihren Kunden unterstützt. Andere Anbieter wie Worldline oder Adyen sind längst größer und müssen nicht mit dem vernichtenden Ruf leben, eine Zockerbude von Bilanzfälschern zu sein.

An Hinweisen hat es wahrlich nicht gefehlt. Schon seit mehr als einem Jahrzehnt halten sich die Gerüchte, dass es bei Wirecard nicht mit rechten Dingen zugeht. Trotzdem haben Ernst & Young sowie die Bafin fest geschlafen.

Den Schaden haben aber nicht die Prüfer von Ernst & Young, denn sie haften nur mit maximal 4 Millionen Euro. Auf den Milliardenverlusten bleiben die Banken und die Aktionäre sitzen, die darauf vertraut haben, dass die Wirecard-Aktivitäten von den Wirtschaftsprüfern und der Bafin sorgsam kontrolliert werden.

Dieser Skandal muss Konsequenzen haben – vorneweg bei den Wirtschaftsprüfern. Bisher herrscht dort ein globales Oligopol von vier Großkanzleien, die fast alle lukrativen Prüfaufträge an sich ziehen und die auch schon in der Finanzkrise 2008 krachend versagt haben.

Die Wut auf die Prüfkonzerne ist so groß, dass es zu ungewöhnlichen Allianzen kommt: Im EU-Parlament fordern Grüne und Liberale gemeinsam, dass das korrupte Geschäftsmodell der Prüfgesellschaften reformiert wird.

Aber auch die Bafin muss sich wandeln. Zu den irren Windungen der Wirecard-Affäre gehört nämlich, dass die Bafin zwei Journalisten der Financial Times bei der Münchner Staatsanwaltschaft angezeigt hat, weil diese schon früh über einen möglichen Bilanzbetrug bei Wirecard berichtet hatten. Auf diese abwegige Idee muss man erst mal kommen. Die Bafin hat nicht wie eine Kontrollbehörde agiert – sondern wie ein staatlicher Lobbyist für die heimischen Finanzkonzerne. Das darf sich niemals wiederholen.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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5 Kommentare

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  • DIe BAFIN-Anzeige gegen FT-Journalisten zwingt ja die BAFIN gegenüber der Staatsanwaltschaft ihre angeblich gute Kontrolle zu dokumentieren, um eine Strafanzeige zu rechtfertigen. Durch das Platzen der Wirecard-Blase hat sich die BAFIN aber selbst bis auf die Knochen blamiert. Das Totalversagen muss personelle Konsequenzen auf allen Ebenen haben: Bei den DirektorInnenposten gibt es evtl. nächste Woche wahrscheinlich oder bald Vakanzen - Welche erlauchte und geneigte LeserIn hätte denn Lust, schon mal die Bewerbung fertig zu machen?.....

  • äusserst seltsamerweise wurde da die echtheit von dokumenten bestritten.

    skadale, wo firmen direkt millarden zahlen sollen, so auch der vw dieselskandal, und zwar an leute die auch nur durch die reine rendite-profit-geldgier motviert sind, sind nichts für schnelle parteinahme.

  • Irgendwie cool gemacht. Den großen Gatsby und drauf geschissen. Hut ab.

  • "Die Bafin hat nicht wie eine Kontrollbehörde agiert – sondern wie ein staatlicher Lobbyist für die heimischen Finanzkonzerne. Das darf sich niemals wiederholen."

    Ahem. Wäre mal was ganz neues, dass die Lobbies die Kontrollbehörden unterwandern.

  • Den Hinweis auf Anzeigen der Bafin gegen Financial Times findet sich z.B. im Manager Magazin und beim Spiegel:



    " Spiegel: Bafin wirft FT-Journalisten Absprachen mit Spekulanten vor



    Wie nun der "Spiegel" berichtet, soll die Bafin Anzeigen gegen "rund ein Dutzend Personen" erstattet haben. Laut dem Bericht verdächtigt die Bafin "FT"-Journalisten, "mit mehreren Fonds beziehungsweise einzelnen Investoren gemeinsame Sache gemacht zu haben". "



    www.manager-magazi...ist-a-1263186.html