piwik no script img

„Eine gigantische Fehlplanung“

Der Stadthistoriker Michael Bienert über die Geschichte des Karstadt-Hauses am Hermannplatz

Leon Buchholz

Michael Bienert, 55, Stadthistoriker und Berlinologe,.Er arbeitet als unabhängiger Stadtführer, Autor und Publizist.

Interview Jonas Wahmkow

taz: Herr Bienert, wie kamen Sie dazu, sich mit dem Karstadt-Gebäude zu beschäftigen?

Michael Bienert: Das Gebäude war bis zu seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg eine Landmarke in Berlin. Es hat auch Spuren in der Literatur hinterlassen. Ich bin dazu gekommen, als ich mit Feuilletons aus den 20er Jahren beschäftigt habe. Es ist ein Ort, dessen Wahrnehmungsgeschichte man sehr gut aus der Literatur konstruieren kann.

Es gibt ja derzeit viele Kon­troversen um die Neubaupläne, wie waren denn damals die Reaktionen auf den Bau?

Durchaus gespalten. Das Gebäude wurde sehr stark als Ausdruck dessen wahrgenommen, was Berlin damals sein wollte: Es gab diesen Slogan „Großstadt, Weltstadt, Karstadt“, der das verdeutlicht. Berlin sollte nicht nur Millionenstadt sein, sondern auch wie eine Weltstadt aussehen. Das war stark gekoppelt mit der Vorstellung von amerikanischen Städten – nur dass es dann völlig grotesk aussah. Joseph Roth nannte solche Gebäude „misslungene Originale“. Die propagandistische Bedeutung der Architektur war so durchschaubar, dass sie schnell Kritiker auf den Plan rief: Siegfried Kracauer zum Beispiel erkannte darin eine neue Form von Repräsentationsarchitektur, die mit dem Leben der Stadt sehr wenig zu tun hatte. Sie wurde kritisiert als eine ideologische Architektur, die eher etwas verdeckt als sichtbar macht.

Was war Neukölln damals für ein Bezirk? Was hatte die Gegend für einen Charakter?

Neukölln gehörte seit seiner Entstehung zur Kaiserzeit zu den ärmeren Bezirken von Berlin, es war ein Arbeiterbezirk. Schon von daher war die Situierung eines solchen Gebäudes ein krasser Kontrast zu der Mietskasernen-Bebauung drumherum. Da wurde der Gegensatz zwischen dieser kommerziellen Repräsentationsarchitektur und der proletarischen Umgebung nochmal sehr viel intensiver wahrgenommen, als wenn man so was an den Potsdamer Platz gestellt hätte.

Das sind ja große Parallelen zu heute. Warum hat Karstadt seinen Flagshipstore damals ausgerechnet am Hermannplatz gebaut?

Große Warenhäuser sind immer an Verkehrsknotenpunkten gebaut worden. Die Wahl des Standortes hing eng mit der U-Bahn-Planung zusammen. Im Grunde war der Ausbau des Hermannplatzes zu einem Verkehrsknotenpunkt mitsamt dem U-Bahn-Bau eine Public-Private-Partnership. Es war das erste Warenhaus, das eine direkte Verbindung zur U-Bahn hatte.

Der Bau war auch eine riesige Investition. Wie ging das für Karstadt damals aus?

Das Warenhaus erwies sich als gigantische Fehlplanung. Kurz nach der Eröffnung kam die Weltwirtschaftskrise. Die Immobilie fuhr riesige Verluste ein. Der Warenhauskonzern hatte sowieso Absatzschwierigkeiten, aber der größte Verlustbringer von allen Warenhäusern war dieser Flagshipstore. Die hatten sich einfach verkalkuliert. Das ist eine Lehre aus der Geschichte, die auch der heutige Investor beachten sollte. Aber ich verstehe die Neuplanung so, dass man dahin auch nicht zurück will. Eher will man einen großen Teil nicht als Warenhaus nutzen, sondern eine Nutzungsmischung finden, die das Ganze dann trägt. Das ist ganz vernünftig.

Das Haus

1929 wurde der monumentale Bau des Karstadt-Warenhauses am Hermannplatz im Art-déco-Stil vom Architekten Philipp Schaefer errichtet. Das Kaufhaus galt damals als eines der modernsten der Welt und bot über 70.000 Quadratmeter Verkaufsfläche, eine ausladende Dachterrasse und zwei imposante Türme, die auch der Orientierung für Flugzeuge dienten.

1945 kurz vor Kriegsende wurde der Bau von der SS gesprengt. Nur ein kleiner Teil an der Westseite blieb bis heute stehen.

1951 baute Alfred Busse ein neues Kaufhausgebäude in deutlich verkleinerter Form.

1976 Erweiterung der Verkaufsfläche.

2000 erfolgte die letzte Erweiterung und Modernisierung. (wah)

Wenige Jahre später erfolgte die Machtergreifung der Nazis. Wie ist es den Warenhäuser dann ergangen?

Die Nationalsozialisten haben ja immer gegen die großen Warenhäuser gehetzt, gerade gegen die, die jüdische Eigentümer hatten. Karstadt ist aber in der Nazizeit mit Staatshilfe gerettet worden, sozusagen als arischer Warenhauskonzern. Bedingung war, die jüdischen Mitarbeiter zu entlassen. Andere Warenhauskonzerne sind arisiert worden, aber Karstadt ist so über die Nazizeit gekommen bis zur Zerstörung des Hauses im Zweiten Weltkrieg.

Was ist Ihre Meinung zu dem Bauvorhaben von Signa?

Ich finde das fragwürdig. Aber eine Stadt, die in ihrer Mitte ein altes Barockschloss mit einem völlig anderem Inhalt wieder aufbaut, kann schwer gegen das Ansinnen eines Investors argumentieren, der sozusagen ein „Warenhaus-Schloss“ wiederaufbauen will.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen