Neulinge führen Fraktion: Überraschung bei Hamburger Grünen
Die Hamburger grüne Bürgerschaftsfraktion wählt zwei Neulinge als Vorsitzende und düpiert damit die etablierten Kandidaten.
Beide sind noch recht neu in der Bürgerschaft: Während die Bergedorferin Jasberg gerade erst in das Hamburger Feierabend-Parlament einzog, ist Lorenzen seit November 2018 dabei, als er für die ausscheidende Abgeordnete und heutige Altonaer Bezirksamtschefin Stefanie von Berg nachrückte.
Die Entscheidung für das Newcomer-Duo fiel in einer zum „Meinungsbild“ verniedlichten Kampfabstimmung. Gegen Jasberg und Lorenzen waren der Parteilinke Michael Gwosdz und die bisherige Fraktionsvizechefin Mareike Engels, deren Name für den Fraktionsvorsitz seit Wochen gehandelt wurde, angetreten.
Nachdem Engels und Gwosdz beim Meinungsbild mit 13 zu 19 Stimmen überraschend klar unterlagen, zogen beide ihre Kandidatur zurück. Engels unterlag anschließend noch der Wandsbeker Grünen Maryam Blumenthal bei der Wahl zur Vize-Fraktionschefin und verließ am Ende des Abends konsterniert die Fraktionssitzung. Auch Farid Müller wurde von der neu zusammengesetzten Fraktion demontiert und verlor seinen Job als Parlamentarischer Geschäftsführer an Michael Gwosdz. Eine Wahl, die Wunden aufriss und Kopfschütteln hinterließ.
Tjarks hinterlässt große Spuren
Denn auch ohne Gegenkandidatur schaffte es der neue Fraktionsvorstand nicht, die Grünen-Abgeordneten geschlossen hinter sich zu bringen. Das Duo erhielt erstaunlich wenige Ja-Stimmen: Jasberg nur 19 (57,6%), Lorenzen immerhin 21 (63,6%) von 33 abgegebenen Stimmen.
Immerhin acht grüne ParlamentarierInnen stimmten gegen Lorenzen, neun gegen Jasberg. Ein Ergebnis, dass sich wie eine Niederlage anfühlen muss. Zum Vergleich: Vorgänger Tjarks hatte im vergangenen Jahr bei seiner Wiederwahl zum Fraktionschef keine einzige Gegenstimme erhalten.
Nun aber muss das nur mit schwachem Fraktionsvotum und wenig Bürgerschaftserfahrung ausgestattete Duo die 33-köpfige Fraktion – darunter 20 NovizInnen – einen und nach außen repräsentieren. Tjarks, der zuerst mit Ex-SPD-Fraktionschef Andreas Dressel, dann mit dessen Nachfolger Dirk Kienscherf der rot-grünen Parlamentsmehrheit Profil gab und zudem mit diversen Volksinitiativen tragfähige Kompromisse aushandelte, hinterlässt große Spuren.
Ob Lorenzen und Jasberg, an der Seite des am Montag als SPD-Fraktionschef bestätigten Kienscherf, das Profil der Grünen in der Koalition stärken können, wird innerhalb der Partei von vielen bezweifelt.
Jennifer Jasberg, 37, ist Kreischefin der Grünen Bergedorf. Bei der Wahl erhielt sie ein Direktmandat in Bergedorf für die Bürgerschaft.
Dominik Lorenzen, 42, war seit 2017 Mitglied der Bezirksversammlung Eimsbüttel, bis er Ende 2018 in die Bürgerschaft nachrückte. Bei der Wahl erhielt er ein Mandat über die Landesliste.
Zumindest inhaltlich knüpft der 42-jährige Lorenzen als bisheriger wirtschafts- und hafenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion an die inhaltlichen Schwerpunkte seines Vorgängers Tjarks an. Der Niendorfer Unternehmer, der den „Rebellen“ angehörte, die 2017 die Handelskammer-Führung ablösten, will die Betriebe und auch den Schiffs- und Flugverkehr grüner machen, wirbt für den Öko-Umbau der Wirtschaft und setzte sich zuletzt – im Widerstreit zu vielen ParteigenossInnen – für Autokinos in Hamburg in Zeiten der Coronakrise ein.
Jasbergs selbstgewählte Schwerpunkte sind vor allem der Erhalt der BürgerInnenrechte, die Digitalisiserung und eine ökologische Agrarwende.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar