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Panne beim VerfassungsschutzDen Falschen ausspioniert

Die Vizepräsidentin des niedersächsischen Verfassungsschutzes muss nach einer Verwechselung gehen. Es ist nicht der erste Fehler dieser Art.

Niedersachsens Verfassungsschutz-Chef Bernhard Witthaut räumte Fehler ein, ohne Details zu nennen Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Hannover taz | Am Wochenende sickerte durch, dass der niedersächsische Verfassungsschutz offenbar einen unbescholtenen Bürger überwacht hat – weil er ihn mit einem Rechtsradikalen verwechselt hat. Der Mann soll über einen längeren Zeitraum abgehört worden sein, berichtete zuerst der NDR. Schuld war offenbar eine fehlerhafte Datenübermittlung durch eine andere Behörde.

Die Angaben zu dem Fall sind allerdings wie immer bei dieser Behörde dürftig und werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten. Unklar bleibt beispielsweise, ob es um eine Namensverwechselung ging, wie lange der Betreffende belauscht wurde und warum der Fehler erst so spät auffiel.

Er könne und wolle sich zu Details nicht äußern, teilte Verfassungsschutzpräsident Bernhard Witthaut mit. Man sei dabei, den Fall intern aufzuarbeiten, die vorgeschriebenen Arbeitsabläufe würden in allen Abteilungen überprüft. Er selbst sei auch erst Wochen später informiert worden und habe dann umgehend das parlamentarische Kontrollgremium in einer Sondersitzung unterrichtet. Für diese Verzögerung wird die Vize-Präsidentin Martina Schaffer verantwortlich gemacht, die nun gehen musste.

Diese Art von Fehler hat beim niedersächsischen Verfassungsschutz Tradition und die letzten Personalwechsel an der Spitze der Behörde haben daran nicht viel geändert.

Eine Auswahl von Einzelfällen

2019: Die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt gegen einen Verfassungsschutzmitarbeiter wegen des Besitzes von Kinderpornografie und der Erpressung von Vorgesetzten.

2018: Aktivisten enttarnen einen 24-Jährigen, der zwei Jahre lang die Basisdemokratische Linke in Göttingen ausspionierte und sich auch in studentische Gremien wählen lies. Die Information über den Spitzel stammte aus Unterlagen, die der Verfassungsschutz selbst in einem anderen Verfahren an das Verwaltungsgericht gegeben hatte. In der Folge trat Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger zurück.

2017: Ein Untersuchungsbericht zur jugendlichen Attentäterin Safia S. enthüllt gravierende Versäumnisse von Polizei und Verfassungsschutz. Unter anderem

2011 bis 2013: Häppchenweise wird bekannt, dass der Verfassungsschutz offenbar unrechtmäßig Menschen überwacht - darunter einen Radiojournalisten aus Göttingen, Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpcke, aber auch Mitarbeiter von Landtags- und Bundestagsabgeordneten. Innenminister Boris Pistorius (SPD) setzt eine Task Force ein, der auch die jetzt entlassenen Martina Schaffer angehört. Am Ende müssen 1937 Datensätze als nicht gesetzeskonform gelöscht werden. Die Betroffenen werden darüber nicht informiert.

„Das ist nur ein weiterer Vorfall in einer ganzen Serie von Pannen beim niedersächsischen Verfassungsschutz. Es reicht daher nicht aus, immer nur von bedauerlichen Fehlern einzelner Mitarbeiter zu sprechen“, ätzt folgerichtig Stefan Birkner (FDP) für die Opposition. „Es ist die politische Verantwortung von Minister Pistorius, die Strukturen systematisch zu verbessern. Das ist ihm offensichtlich in der Vergangenheit nicht gelungen und auch jetzt taucht er wieder lieber ab, als zu handeln.“

Eine peinliche Namensverwechselung hatte es 2013 schon einmal gegeben. Damals informierte der Verfassungsschutz den Sportjournalisten Ronny Blaschke, er sei unrechtmäßig beobachtet worden. Später stellte sich dann heraus, dass man ihn mit Ronald Blaschke, dem Mitarbeiter der Linken-Politikerin Katja Kipping, verwechselt hatte.

Diese peinliche Posse war allerdings nur ein Ausläufer einer viel größeren Affäre. Unter der CDU-FDP-Regierung und ihrem Innenminister Uwe Schünemann (CDU) waren gleich reihenweise Journalist:innen ausspioniert worden, die über die rechte Szene oder auch über Atommüllproteste berichteten – und deshalb des Linksextremismus verdächtigt wurden. Darunter auch taz-Autorin Andrea Röpcke.

Nach dem Regierungswechsel zu Rot-Grün versuchte der gegenwärtige Innenminister Boris Pistorius (SPD) einen Neuanfang. Mit Maren Brandenburger berief er die erste Frau in das Amt der Verfassungsschutzpräsidentin. Brandenburger hatte dem Verfassungsschutz zuvor zehn Jahre als Pressesprecherin gedient. Im Gegensatz zu ihren Vorgängern war sie Politologin, keine Juristin und kam nicht aus dem Polizeiapparat. Sie sollte für mehr Transparenz sorgen und den Fokus stärker auf Rechtsextremismus und Islamismus richten.

Fünf Jahre hielt sie sich auf dem Schleudersitz, ihre Vorgänger waren bereits nach drei beziehungsweise zwei Jahren weggelobt worden. 2018 stolperte Brandenburger dann über die sogenannte V-Mann-Affäre. Damals enttarnte die Behörde versehentlich selbst einen V-Mann in der linken Szene Göttingens. Man hatte bei einem Auskunftsersuchen die Unterlagen für das Gericht nicht sorgfältig genug geschwärzt.

Brandenburger soll damals freiwillig die Verantwortung übernommen haben und auf einen schlechter bezahlten Posten im Sozialministerium gewechselt sein. Allerdings hatte sich zu diesem Zeitpunkt auch das politische Klima in Niedersachsen geändert: Die Große Koalition regierte seit 2017.

Auch die jetzt geschasste Martina Schaffer, schon damals unter Brandenburger Vize-Präsidentin, stand 2018 vorübergehend mit auf der Abschussliste, blieb dann aber doch im Amt.

Rücktrittsforderungen gegen sie hatte es auch 2017 schon einmal gegeben: Damals wurde klar, dass sie die Beobachtung von Safia S. hatte einstellen lassen – jener 15-jährigen Salafistin, die kurze Zeit später im Hauptbahnhof in Hannover einen Polizisten niederstach. Im Vergleich dazu wirkt der aktuelle Fall eher wie eine Petitesse – was den Verdacht verstärkt, es könnte sich um ein politisches Bauernopfer handeln.

Es reicht nicht aus, immer nur von bedauerlichen Fehlern einzelner Mitarbeitern zu sprechen.

Stefan Birkner (FDP) glaubt nicht an einen Einzelfall

Die Grünen nutzten die Gelegenheit ihre alte Forderung nach einer stärkeren parlamentarischen Kontrolle und einer aktiven Innenrevision für den Verfassungsschutz zu erneuern. „Gerade bei Grundrechtseingriffen braucht es immer ein Mehr-Augen-Prinzip. Ob das hier eingehalten worden ist, ist zumindest fraglich“, sagte Helge Limburg, parlamentarischer Geschäftsführer und Sprecher für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes der Grünen im Landtag.

Auch mit den Betroffenen müsse man anders umgehen, forderte er – denkbar wäre zum Beispiel ein Schmerzensgeld. „Mit einer einfachen Entschuldigung ist es nicht getan“, sagt Limburg.

Allerdings ist im aktuellen Fall nicht einmal klar, ob der Betroffene überhaupt von der Verwechslung erfährt und somit Ansprüche erheben kann. Medienberichte zufolge will der Verfassungsschutz die Daten lieber einfach so löschen – weil er sonst Rückschlüsse auf aktuelle Einsätze fürchtet.

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2 Kommentare

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  • Immerhin überwachen sie noch welche, also aktiv waren sie.

    Diese Behörde ist nach meine Auffassung ein Problem. Zu groß ist der Wunsch, den Staat über möglichst viele gefährliche Leute aufklären zu wollen. Wenn's dann wirklich knallt, haben die nix mitbekommen, siehe NSU oder waren vor Ort, dementieren das, wie etwa in Kassel.

  • In Niedersachsen ist offensichtlich der Rechtsweg gegen eine rechtswidrig handelnde Behörde gar nicht vorgesehen bzw. obliegt mehr so dem Ermessen der Behörde selbst. Wie anders soll man das hier sonst zusammenfassen?