Diskriminierung in Deutschland: Verlernen wir Rassismus!
Als Schwarze Frau und weißer Mann sind wir von Rassismus in Deutschland unterschiedlich betroffen. Doch es geht uns alle an.
D ie Bilder aus den USA lassen uns nicht los: ein Knie im Nacken des Schwarzen George Floyd, „I can’t breathe“. Demonstranten, die knien, Polizisten, die knien, aus Solidarität mit dem Opfer. Polizisten in voller Montur, brennende Häuser, ein US-Präsident, der die aufgepeitschte Stimmung anheizt und Militärpolizei gegen friedlich Demonstrierende einsetzt. Es ist ein schmerzhafter Teufelskreis, in dem die USA gefangen zu sein scheinen, in einer 400-jährigen Geschichte von Rassismus und Ungleichheit.
Aber es wäre falsch, diese dramatischen Entwicklungen als ein reines US-Phänomen zu betrachten. So spezifisch sie in ihrer Ausprägung sind, werfen sie doch ein Licht auf ein Grundproblem unserer Gesellschaft: Rassismus. Er ist weltweit in seinen Dimensionen sehr unterschiedlich, und wir können von Glück reden, dass wir solche Auswüchse von Polizeigewalt in Deutschland nicht haben. Aber Rassismus ist eben auch ein deutsches Problem.
Wir schreiben diesen Text gemeinsam: eine Schwarze, die hier in Deutschland aufgewachsen ist und zeit ihres Lebens Rassismus erfahren hat. Und ein Weißer, der hier in Deutschland aufgewachsen ist und nicht die Diffamierung, die Angriffe ertragen muss. Den es aber genauso und ganz anders angeht. Rassismus ist ein strukturelles Problem einer Mehrheitsgesellschaft, die lernen muss, sich zu hinterfragen. Rassismus ist Unrecht und Wurzel für Unfrieden.
Als weißer Mann zögert man manchmal, weil man nicht weiß: Wie soll ich über Rassismus reden, ohne ungewollt anmaßend, verletzend, verharmlosend, ausgrenzend oder vereinnahmend zu sein? Als Schwarze Frau sagt man, frag nicht immer nach Diskriminierungserfahrungen, wann wo und wer, sondern stell dir einmal das Beschämendste vor, was dir je passiert ist: verschmäht, ausgegrenzt, verprügelt, entmenschlicht worden zu sein. Das ist die Rassismuserfahrung. Vielleicht liegt da ein Anfang: im Fragen, im Zugeben von Unsicherheit, im Zuhören, im Versuch, zu verstehen.
ist gemeinsam mit Annalena Baerbock Bundesvorsitzender der Grünen. Der 50-Jährige ist gebürtiger Lübecker.
ist Ministerin für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung in Schleswig-Holstein. Zuvor war sie Vizepräsidentin des Landtags und Sprecherin der Grünen-Fraktion für Antirassismus. Die 29-Jährige wurde in Neumünster geboren, ihre Eltern flüchteten aus Mali.
Schweigen, laut sein oder trauern?
Menschen erfahren Rassismus in Deutschland jeden Tag, im Kleinen und im Großen. Von verbalen bis hin zu physischen Attacken. Das ist schmerzvoll und belastet das Vertrauen in eine Gesellschaft. Darf und soll man hier sein? Ist man akzeptiert? Schwarze Menschen berichten davon, dass sie verzweifeln. Dass sie nicht wissen, welchen Weg sie wählen sollen: Schweigen, weil einem sowieso nicht geglaubt wird? Laut sein, aber in Kauf nehmen, dass für jede Erfahrung ein Gegenargument formuliert wir? Trauern, obwohl die Solidarisierung von einigen nicht verstanden wird? Und wenn man als Schwarzer Mensch hört, „Seid doch froh, hier zu sein! In den USA werden Schwarze erschossen, hier nicht“, dann steht man da und denkt: Ah, man soll dankbar sein, dass man hier nicht erschossen wird? Man muss schon stark sein, um da nicht zynisch zu werden.
Das, worum es geht, ist eigentlich das Selbstverständlichste der Welt: Schwarze Menschen wollen den gleichen Respekt und die gleiche Behandlung erfahren wie weiße Menschen. Punkt. Aber die Wirklichkeit beweist täglich, dass es alles andere als selbstverständlich ist. Rassismus ist strukturell, und er wird definiert durch das Denken und Handeln der Mehrheitsgesellschaft. Alle sind gefordert, sich damit auseinanderzusetzen, was wir an Rassismus in uns tragen. Hierbei geht es nicht um einen Vorwurf, sondern um kluge Prävention. Wir alle wachsen auf in einer Welt, in der wir über Jahrhunderte Rassismus verinnerlicht haben. Es ist Zeit, dass wir Rassismus verlernen. Allesamt.
Ein starkes Zeichen dafür wäre, den Begriff „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu streichen. Er manifestiert eine Unterteilung von Menschen in Kategorien, die dem Anspruch und Geist unseres Grundgesetzes, „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“, widersprechen. Es gibt eben keine „Rassen“. Es gibt Menschen.
Gerade staatliche Institutionen müssen für Rassismus sensibilisiert werden; das beginnt schon in der Aus- und Fortbildung. Bei der Polizei sollte es Schulungen geben, Beschwerdestellen sollten eingerichtet, die Stelle eines unabhängigen Polizeibeauftragten sollte geschaffen werden. Es kommt darauf an, alle Fälle von Polizeigewalt aufzuklären.
Dabei spielen die vielen Polizistinnen und Polizisten, die einen großartigen Job machen, eine wichtige Rolle: Kommt es zu Übergriffen, können sie sich vertrauensvoll an den oder die Polizeibeauftragte wenden. Das würde die Polizei, die als Hüterin von Rechtsstaat und Demokratie unentbehrlich ist, stärken. Das Vertrauen in staatliche Institutionen ist der Grundstoff für eine funktionierende Demokratie. In der Zivilgesellschaft ist eine dauerhafte Stärkung und Förderung von Organisationen und Initiativen, die sich gegen Rassismus einsetzen, dringend nötig. Das sollte über ein Demokratiefördergesetz verankert werden.
Rassismus entstand aus dem Glauben heraus, Menschen einteilen und sie dann versklaven und malträtieren zu können. Eine jahrhundertelange Geschichte, die im unmittelbaren Zusammenhang mit Deutschland steht. Wir müssen uns mit unserer kolonialen Vergangenheit auseinandersetzen, deren antischwarze Rassismen bis heute wirken. Wer nicht aufarbeitet, und zwar so, dass es zum Allgemeinwissen gehört, der wird das Problem nicht im Keim ersticken können.
Den Kampf um gleichen Respekt und Gleichbehandlung von Schwarzen Menschen können wir nur gemeinsam führen. Es braucht in der Auseinandersetzung um Rassismus die Mehrheitsgesellschaft. Wie sollen Minderheiten für ihre Gleichbehandlung allein kämpfen, und vor allem: wieso? Schwarze Menschen und Menschen mit Migrationsgeschichte sind seit Jahrhunderten Teil dieser Gesellschaft. Sie haben ihren Beitrag dazu geleistet, dass Deutschland heute so ist, wie es ist. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, dafür zu sorgen, dass jeder Mensch in dieser Gesellschaft leben kann, ohne Rassismus zu erfahren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin