Handel und Menschenrechte: Conti stellt auf Durchzug
Wie sich eine Tochter des Hannoverschen Automobilzulieferers Continental in Westsahara engagiert und in Konflikt mit dem europäischen Recht gerät.
Ein spektakulärer Fall, der Warenwert betrug 5,2 Millionen US-Dollar. Im Februar 2018 schließlich urteilte das Oberste Gericht in Südafrika, dass die Demokratische Arabische Republik Sahara, der Exilstaat der sahrauischen Urbevölkerung in den algerischen Flüchtlingslagern, rechtmäßige Eigentümerin der Phosphatfracht sei. Ein Präzedenzfall auch für die Befreiungsbewegung Frente Polisario, die von der UNO anerkannte Vertreterin des Kampfes der Sahrauis um ihr Recht auf Selbstbestimmung.
Nun hat Südafrika aufgrund seiner eigenen Geschichte der Unterdrückung und Befreiung eine besondere Beziehung zur Westsahara. So wird die Demokratische Arabische Republik Sahara von Pretoria als eigener Staat anerkannt – Deutschland dagegen tut das nicht.
Und auch deutsche Firmen nehmen es beim Thema Ressourcenabbau in dem Gebiet mit dem Völkerrecht nicht so genau. An der in Südafrika beschlagnahmten Phosphatladung zum Beispiel war auch der Hannoveraner Konzern Continental AG, beziehungsweise dessen Tochtergesellschaft Contitech AG, zumindest indirekt beteiligt. Das Phosphatgestein wurde in der Mine Bou Craa im von Marokko besetzten Teil der Westsahara abgebaut.
Beihilfe zum Rohstoffraub
Contitech hat einen Liefervertrag mit der staatlichen marokkanischen Firma OCP mit Sitz in Casablanca, der nach fünf Jahren Laufzeit gerade neu verhandelt wird. Das Unternehmen liefert Ersatzteile für das über 100 Kilometer lange Förderband, auf dem das Phosphatgestein von der Mine, betrieben von der OCP-Tochtergesellschaft Phosboucraa, in die Küstenstadt El Aaiún am Atlantik transportiert und von dort weltweit verschifft wird.
„Der Abbau des Phosphates findet in einem besetzten Gebiet und ohne Zustimmung der Polisario als einziger rechtmäßiger Vertretung der Sahrauis statt und verstößt damit gegen das Völkerrecht“, sagt Tanja Brodtmann, Vorsitzende des Bremer Vereins „Freiheit für die Westsahara“.
Bei der Westsahara handelt es sich laut der UNO um ein sogenanntes Hoheitsgebiet ohne Selbstverwaltung. Als die spanische Kolonialmacht 1975 abzog, marschierte Marokko in das Territorium ein und kontrolliert seitdem den größten Teil. Während eines Krieges mit der Frente Polisario floh ein Großteil der Sahrauis in Flüchtlingslager nach Algerien, die heute noch existieren. Ein von der UNO 1991 in Aussicht gestelltes Referendum über die Zukunft der Westsahara hat bis heute nicht stattgefunden.
Stattdessen beutet Marokko weiterhin die üppigen Bodenschätze in den besetzten Gebieten aus. Die Westsahara verfügt mit etwa 10.000 Millionen Tonnen über etwa ein Siebtel der weltweiten Vorkommen an Phosphat, das hauptsächlich für die Produktion von Düngemitteln genutzt wird. Laut der international tätigen Organisation Western Sahara Ressource Watch wurden 2019 etwa eine Millionen Tonnen Phosphat mit einem Wert von etwa 90 Millionen Dollar in der Mine Bou Craa abgebaut.
Ende März dieses Jahres hat Frente Polisario ein Protestschreiben an Hannes Friederichsen, Leiter des Geschäftsbereiches für Transportlösungen bei Contitech, verschickt. Die Befreiungsbewegung beruft sich darin auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) aus dem Dezember 2016, wonach Marokko und die Westsahara zwei getrennte Territorien sind und Marokko dort keine Souveränität besitzt, sondern nur den Status einer militärischen Besatzungsmacht nach der IV. Genfer Konvention.
Die erlaube es einer Besatzungsmacht nicht, die Bodenschätze eines besetzten Gebietes abzubauen. „Mit Ihren Aktivitäten in der Westsahara intervenieren Sie in einem Territorium, das uns gehört, und beteiligen sich an der Plünderung unserer Bodenschätze, was die zivil- und strafrechtliche Verantwortung Ihres Konzerns und seiner Führung nach sich zieht“, wird Oubi Bouchraya Bachir, Polisario-Beauftragter für Europa und die Europäische Union, in dem Schreiben recht deutlich.
Eine Antwort von Contitech-Direktor Hannes Friederichsen an die Polisario steht nach Informationen der taz nord noch aus.
Besatzungsmacht Marokko
In einer Analyse der völkerrechtlichen Aspekte des Westsahara-Konflikts sind auch die wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages 2019 zu dem Ergebnis gekommen, dass Marokko „als Besatzungsmacht anzusehen“ sei.
„Wir hoffen aufrichtig, dass Unternehmen die Schlussfolgerung des Berichts zur Kenntnis nehmen, dass Marokko die Westsahara besetzt. (…) Uns erscheint es undenkbar, dass verantwortungsbewusste Firmen mit einer Verletzung des Völkerrechts in Verbindung gebracht werden wollen“, kommentiert Tim Sauer von Western Sahara Ressource Watch.
Oubi Bouchraya Bachir, Polisario-Beauftragter für Europa, in einem Schreiben an Contitech-Direktor Hannes Friederichsen
Während sich die Führungsriege bei Contitech in der Kommunikation zur Westsahara eher bedeckt gibt, erhält man aus der Presseabteilung des Unternehmens recht zügig Antworten. „Wir weisen darauf hin, dass Continental nicht im Territorium von Westsahara tätig ist. Contitech beziehungsweise Continental sind weder ein Bergwerksbetreiber noch planen oder errichten sie ganze Anlagen oder Installationen“, schreibt Jochen Vennemann, Referent für Externe Kommunikation bei der Contitech AG.
Eine doch etwas überraschende Einschätzung der Situation, da die Förderbänder des Unternehmens ja wissentlich auch in der Mine Bou Craa in der besetzten Westsahara eingesetzt werden. Sprecher Vennemann verweist auf die Tatsache, dass der Vertragspartner und Auftraggeber OCP ja seinen Sitz in Marokko habe. Bereits 1971, also noch zu Zeiten der spanischen Kolonialherrschaft über das Gebiet der Westsahara, hatte Continental Teile des Förderbands für die Phosphatmine in Bou Craa geliefert.
Immer wieder betont das Hannoversche Unternehmen seine soziale Verantwortung. Man sei Teil der United Nations Global Compact Initiative und deren Prinzipien zu Menschenrechten, Arbeitsrecht, Umweltschutz und dem Kampf gegen Korruption, schrieb Hannes Friederichsen bereits 2017 an Western Sahara Ressource Watch. Auch Pressesprecher Vennemann bringt die Hoffnung „auf eine friedliche Lösung der Gesamtsituation zum Wohle der Menschen in der Westsahara“ zum Ausdruck.
Laut der Homepage des örtlichen Minenbetreibers Phosboucraa hat das Unternehmen dort 2.100 Mitarbeiter, darunter auch einige Hundert Sahrauis. Man bekennt sich zur lokalen Verwurzelung und sozialen Verantwortung.
Tanja Brodtmann vom Verein Freiheit für die Westsahara hält das regionale Engagement für Augenwischerei des Konzerns. „Damit legitimieren sie letztlich auch nur ihre Aktivitäten in einem besetzten Gebiet und stabilisieren den völkerrechtswidrigen Zustand“, betont die Aktivistin. Man könne nicht einzelne Sahrauis rauspicken und dann sagen, dass man etwas für die Gesamtheit der angestammten Bevölkerung tue.
„Jegliche wirtschaftliche Aktivität in dem Gebiet ohne Beteiligung der Sahrauis unterstützt und stabilisiert die Besatzung. Das Phosphat wird der Bevölkerung weggenommen“, sagt Brodtmann.
Auch Katja Keul, Grünen-Bundestagsabgeordnete aus dem niedersächsischen Nienburg, betont, dass die Westsahara nicht Marokko ist. „Handelsverträge wie die zwischen Marokko und der Europäischen Union können nicht das Völkerrecht aufheben“, erklärt die Abgeordnete, die in diesem Zusammenhang auch die Bundesregierung kritisiert.
„Man hört dort nur Floskeln über die Bestimmungen des Völkerrechts, weil man keinen Ärger mit Marokko will. Das ist ein Freibrief für die Unternehmen“. Contitech unterstütze mit seinen Aktivitäten den Bruch des Völkerrechts in der Westsahara, erklärt Keul.
Ein Zeichen der Hoffnung für die Sahrauis gibt es allerdings: Der Handel mit Phosphat aus der Westsahara ist im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2018 um nahezu die Hälfte eingebrochen. Große Unternehmen aus den USA und Kanada haben sich aus dem Geschäft zurückgezogen – ob nun aus Verantwortung für das humanitäre Völkerrecht oder aus Angst vor Prozessen und Imageverlusten, ist unbekannt.
Mehr lesen Sie in der gedruckten Wochenendausgabe der taz nord und in unserem E-Paper
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Obergrenze für Imbissbuden
Kein Döner ist illegal
Wahl in den USA
Sie wussten, was sie tun
SPD nach Ampel-Aus
Alles auf Olaf
Streitgespräch über den Osten
Was war die DDR?
CO₂-Fußabdruck von Superreichen
Immer mehr Privatjets unterwegs
Regierungskrise in Deutschland
Ampel kaputt!