: Mit Tatütata zum Test
Nach dem Corona-Ausbruch in Göttingen soll notfalls die Polizei Kontaktpersonen zum Coronatest bringen. In 13 Schulen gelten besondere Auflagen. In einem Flüchtlingsheim im Landkreis Gifhorn hat sich ein zweiter Corona-Hotspot gebildet
Von Reimar Paul
Im Bioladen im Göttinger Ostviertel gibt es Dienstagmittag kaum ein anderes Thema: Eigentlich sollten in Niedersachsen ab Dienstag weitere Klassen in kleinen Gruppen wieder in der Schule unterrichtet werden. Beim Obstkaufen fragen sich besorgte Eltern, ob sie ihre Kinder wirklich wieder losschicken. Denn der Corona-Ausbruch in der Uni-Stadt mit bislang mindestens 68 neu infizierten Personen wirkt sich auch auf den Unterrichtsbetrieb aus. Für 13 Schulen hat die Verwaltung verschärfte Regeln verfügt. Acht dieser Schulen befinden sich in Göttingen, die übrigen im Gebiet des Landkreises Göttingen.
Zu den Verschärfungen zählt unter anderem die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes auf dem Schulgelände und in den Gebäuden. Die Vorgabe gelte für zunächst 14 Tage, sagt eine Stadtsprecherin. Ausgenommen von der Vorgabe seien lediglich Klassenräume. Sollten ein Schüler oder eine Schülerin positiv auf das Coronavirus getestet werden, muss die ganze Klasse einschließlich der Lehrer/innen in Quarantäne.
Die vielen neuen Infektionen stehen offensichtlich im Zusammenhang mit mehreren privaten Familienfeiern am vorvergangenen Wochenende (taz berichtete). Im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten hat das Göttinger Gesundheitsamt inzwischen 203 „Kontaktpersonen ersten Grades“ identifiziert, darunter 57 Kinder und Jugendliche. Alle erhielten eine Quarantäneverfügung und die Aufforderung, sich testen zu lassen. Insgesamt sollen etwa 300 Personen getestet werden.
Bis Montagabend ließen insgesamt rund 130 Frauen, Männer, Jugendliche und Kinder einen Abstrich bei sich machen. Weitere Tests erfolgten am Dienstag. Über deren Ergebnisse und weitere Erkenntnisse wollte der Krisenstab am Abend (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe) in einer Pressekonferenz informieren. Eine der neu infizierten Personen wurde gestern noch im Krankenhaus behandelt.
Mehrere Personen, die Stadt spricht von einer „mittleren zweistelligen Zahl“, kamen der Aufforderung zum Testen zunächst nicht nach – so sollen am Pfingstsamstag nur 15 von rund 90 Angemeldeten zum Test erschienen sein. Auch am Sonntag und Montag kamen nicht alle dazu Aufgeforderten in das an der Universitätsklinik eingerichtete Testzentrum. Sollte es bei der Weigerung bleiben, werde ihnen unter Androhung eines Bußgeldes eine schriftliche Anordnung zugestellt, so die Verwaltungssprecherin. Notfalls soll die Maßnahme mit polizeilicher Unterstützung durchgesetzt werden.
Der Krisenstab des Landes Niedersachsen drohte am Dienstag mit Blick auf Göttingen auch möglichen Quarantäne-Brechern mit Zwangsmaßnahmen. Wer sich nicht an eine Quarantäne-Auflage halte, begehe eine Straftat und könne vom Gericht in eine geschlossene Einrichtung überstellt werden, so Claudia Schröder vom Krisenstab.
Wie der NDR am Dienstag berichtete, soll ein unter Corona-Quarantäne stehender Mann, der mehrfach gegen Auflagen verstoßen und sich unter anderem in Göttingen aufgehalten hat, zwar in Verbindung mit dem Infektionsgeschehen stehen, er sei aber nicht der „Patient null“. Der Mann war am Freitagnachmittag vom Ordnungsamt und der Polizei aus einer Wohnung abgeholt und zu einem Gespräch mit einem Richter gebracht worden. Inzwischen befinde er sich unter Hausarrest in einer stadteigenen Wohnung.
Unterdessen hat sich in Südniedersachsen ein zweiter Corona-Hotspot gebildet. In einer Flüchtlingsunterkunft in Ehra-Lessien im Kreis Gifhorn wurden acht Bewohner positiv auf das Virus getestet. Alle rund 160 dort lebenden Flüchtlinge stehen unter Quarantäne. Seit Samstag gilt für die Unterkunft ein Besuchsverbot, die Bewohner werden nach einem Medienbericht vom Deutschen Roten Kreuz und dem Technischen Hilfswerk versorgt. Am Dienstagabend sollten die Ergebnisse weiterer Coronatests veröffentlicht werden.
Niedersachsens Flüchtlingsrat bekräftigte aus diesem Anlass seine Forderung nach Schließung von Sammellagern. Die Landesregierung müsse die allgemeinen Grundsätze zur Coronavermeidung auch für die Unterbringung von Geflüchteten anordnen, sagte der Geschäftsführer des Rates, Kai Weber. Weber zeigte sich „entsetzt darüber, dass über die gesamte Einrichtung in Ehra-Lessien eine Quarantäne verhängt werden musste“. Ein solcher Schritt ließe sich durch eine intelligentere Organisation der Aufnahme und Unterbringung etwa in getrennten Trakten vermeiden. Verdachts- und Infektionsfälle müssten von den übrigen Bewohnern getrennt werden.
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