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Unterstützung für Selbstständige in NRWHartz IV statt Coronahilfe

NRWs Landesregierung bessert bei der Hilfe für Selbstständige nach, bleibt aber knauserig: Pro Monat gibt es nur 1.000 Euro für die Lebenshaltung.

Hilfe oder Abstieg: ein Sommer mit schlechten Aussichten für Arme Foto: Bernd Thiessen/dpa

BOCHUM taz | Als „völlig unzureichend“ kritisieren Gewerkschaften und Kulturverbände die geringfügigen Nachbesserungen Nordrhein-Westfalens bei der Corona-Soforthilfe für Soloselbständige. „Viele werden davon nicht leben können“, fürchtet Joyce Abebrese von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die freiberuflich Lehrende etwa an Volkshochschulen vertritt.

Die schwarz-gelbe Landesregierung habe nur für „März und April eine notdürftige Lösung gefunden“, kritisiert auch Christof Büttner vom Fachbereich Medien der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) als Vertreter freier Journalist*innen. Danach treibe das Kabinett von Nordrhein-Westfalens CDU-Ministerpräsident Armin Laschet „massenhaft Soloselbständige in den Bezug von Arbeitslosengeld II“ – also in Hartz IV.

Laschets Regierung hatte am Dienstag beschlossen, dass Soloselbständige wie IT-Spezialist*innen, Grafiker*innen oder Schauspieler*innen, die bis Ende April einen Antrag auf die Corona-Soforthilfe in Höhe von 9.000 Euro gestellt haben, davon 2.000 Euro für Lebenshaltungskosten verwenden dürfen. Für März und April stehen ihnen also pro Monat gerade einmal 1.000 Euro für die Miete der privaten Wohnung oder für Supermarkt-Einkäufe zur Verfügung. Der Rest der Unterstützung muss für Betriebskosten wie Büromieten oder Leasingraten benutzt werden – oder verfällt und muss drei Monate nach Erhalt zurückgezahlt werden.

Nordrhein-Westfalens FDP-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart hatte dagegen zu Beginn der Coronakrise vollmundig versprochen, die „NRW-Soforthilfe“ diene „auch dazu, das eigene Gehalt und somit den Lebensunterhalt zu finanzieren“. Von einer Beschränkung auf 1.000 Euro im Monat war nicht die Rede. Anfang April aber verschwand dieses Versprechen leise und heimlich von der Homepage des NRW-Wirtschaftsministeriums: Der Bund hatte das Land zurückgepfiffen.

Hilfe nach Windhundverfahren

Denn zwar prangt „NRW“ werbewirksam im Namen von Pinkwarts Programm – doch die Unterstützung stammt zum Großteil aus dem 50 Milliarden Euro schweren Soforthilfe-Topf der Bundesregierung. Und die sieht keinerlei Zuschüsse für Lebenshaltung vor: Die Soforthilfe sei allein für Betriebskosten gedacht, heißt es aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Wer kein Geld zum Leben habe, solle doch „erweiterte Grundsicherung“ beantragen, heißt es stattdessen aus Berlin – also Hartz IV.

In NRW trifft das ab Mai alle Soloselbständigen. Für sie gelten dann die Regelungen, die auch Menschen treffen, die länger als ein Jahr arbeitssuchend sind und deshalb in Hartz IV rutschen: Wer etwa mit eineR gutverdienenden Partner*in auch ohne Ehe zusammenlebt, wird von den Arbeitsagenturen einer „Bedarfsgemeinschaft“ zugerechnet – und erhält jenseits der Betriebskosten keinen Cent.

„Wir hatten auch schon den Extremfall, dass ein professioneller Musiker aufgefordert wurde, sein Instrument zu verkaufen und erst einmal von dem Erlös zu leben“, sagt Harald Redmer, Co-Geschäftsführer des NRW-Landesbüros Freie darstellende Künste, dass die freie Kulturszene vertritt. Unterschiedlich beurteilten die Arbeitsagenturen auch die Frage, ob von der Coronakrise getroffene Soloselbständige „dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen“ müssten – also jeden angebotenen Job annehmen müssten.

In der Kritik bleibt auch das Hilfsprogramm speziell für freie Kulturschaffende. Zwar wird das Volumen dieser Unterstützung, die das Ministerium der parteilosen NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen bereitstellt, von 5 auf 32 Millionen Euro aufgestockt. Allerdings hatte schon der Start dieses Hilfsprogramms im März im „Windhundverfahren“ bei vielen für Enttäuschung gesorgt: Einmalig bis zu 2.000 Euro erhielten nur 3.000 Antragsteller*innen, die besonders schnell waren – mehr als 13.000 gingen leer aus. „Die Kultur-Soforthilfe wurde zwar prompt und unbürokratisch ausgezahlt“, sagt Harald Redmer vom Landesbüros Freie darstellende Künste. „Völlig falsch eingeschätzt wurde aber, wie viele Künstler*innen das Geld dringend brauchen.“

„Mehr als ein Anfang“ sei Pfeiffer-Ponsgens Soforthilfe nicht, kritisiert auch der Vorsitzende des NRW-Kulturrats, Gerhart Baum. Ab Mai drohe vielen Kulturschaffenden weiter der Absturz auf die Grundsicherung, also Hartz IV, argumentiert der ehemalige FDP-Bundesinnenminister. Baum fordert stattdessen ein Stipendienprogramm von 150 Millionen für Künstler*innen, die wie etwa Theaterleute wegen der Corona-Beschränkungen nicht arbeiten können.

Wem das viel erscheint: Orientieren könnte sich die Regierung Laschet an einem Programm, das Bayern am Donnerstag vorgestellt hat: Dort will Laschets Rivale im Kampf um die Kanzlerkandidatur, CSU-Ministerpräsident Markus Söder, die Kulturbranche massiv unterstützen – mit 200 Millionen Euro.

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9 Kommentare

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  • Von Hartz IV und der GRUSI (Grundsicherung im Alter) leben zu müssen, ist seit Jahren eine bittere Realität für Millionen unverschuldet in Arbeitslosigkeit gefallene Menschen. Es besteht für die Betroffenen kein Unterschied, ob sie Opfer von Betriebspleiten, Rationalisierungen, Digitalisierung und Synergieeffekten nach Unternehmensfusionen/-übernahmen, oder durch politische Entscheidungen zur Bekämpfung einer Pandemie unverschuldet arbeitslos wurden und in die "soziale Hängematte" (CDU/CSU/FDP/SPD/BDI/BDA/...-sprech) fallen und in den erlesenen Kreis der "Sozialschmarotzer" (Gerh Schröder) aufgenommen werden.

    Der Umgang mit den Kulturschaffenden ist ebenso schäbig, wie für die entlassene Reinigungskraft, deren Arbeitsplatz outgesourced wurde, oder dem Zimmermann, der mit 55 nicht mehr auf der Firstfette herumturnen kann.

    Ein wenig schwingt in der Kritik an den monatlichen 1000 Euro für die Lebenshaltung mit, dass das nur für Künstler zu wenig sei. Nein, dass ist es nicht! Es sollte vermieden werden den Eindruck zu erwecken, dass man als Künstler "etwas besseres" sei, als ein/e ebenfalls unverschuldet in Erwerbslosigkeit gefallene/r ArbeitnehmerIn.

    Die Feinde der Kultur warten nur darauf, zusätzliche Munition einsetzen zu können. Solidarität für ein höheres Existenzminimum ist notwendig, kein Keil zwischen denen, die davon leben müssen.

    Eine Erhöhung des Existenzminimums ist angesichts der bereits in Folge der Pandemie steigen Lebensmittelpreise zwingend notwendig! Die Preise werden in den kommenden Monaten weiter steigen. Niemand scheint auf dem Schirm zu haben, dass wir vor einer Verschärfung sozialer und gesellschaftlicher Spannungen stehen!

  • Wenn man bedenkt :Jeder Abgeordnete bekommt derzeit eine zu versteuernde Diät in Höhe von 10.083 Euro pro Monat. Wir haben das größte Parlament der Welt aktuell sitzen im Deutschen Bundestag 709 Abgeordnete, obwohl per Gesetz nur 598 vorgesehen sind. Je nach Wahlergebnis können es demnächst sogar mehr als 800 Abgeordnete werden (...) Bei einer Projektion von 800 Abgeordneten lägen wir bei 597 Millionen Euro allein an „aktiven mandatsbezogenen“ Kosten,zudem müssen die Steuerzahler für die Pensionen der Abgeordneten aufkommen.



    Ein gewisses Maß an Eigenverantwortung scheint nicht für alle zu gelten.

  • Auf 1000 Euro komme ich mit Rente und aufstockender Sozialhilfe nicht.

    • @Paul Eisenhauer:

      Und von den unter 1000 eure zahlst du auch deine Miete ? Das ist einfach so tragisch.

  • 1k für Lebenshaltungskosten ist eine Sache, das hier wiederum ist der wirklicher Hammer an der Geschichte:



    "und muss drei Monate nach Erhalt zurückgezahlt werden."

    Es steht zu erwarten dass die Lage auch 3 Monate später nicht besser aussieht. Wie soll jemand in dieser Zeit nicht nur seinen Lebensunterhalt bestreiten sondern auch genügend Geld zur Seite legen können um diese "Hilfe" zurückzuzahlen? Das ist keine Hilfe, das ist ein erhobener Mittelfinger an alle Selbstständige

  • Bei allem Verständnis... eine massive Wirtschaftskrise steht vor der Tür. Da kann jeder froh sein überhaupt Unterstützung zu bekommen, solange der Staat dazu Fähig ist. Künster sind ja nicht die einzigen Bedürftigen. Darüber hinaus sollte man auch immer ein gewisses Maß an Eigenverantwortung anlegen. Viele Leute haben diesen prekären Lebensweg ja selber gewählt. Gleichzeitig gibt es immer noch massive Lücken in der Pflege, Bahn und Fernfahrer, in der Logistik, Feldarbeit, Bau... etc. Das sind auch Krisensichere Jobs. Vil. ist es auch mal wieder Zeit für einen Großteil der Menschen sich diesen Berufen zuzuwenden. Es waren sich ja alle zu fein dafür. Sonst kann die Not ja nicht all zu groß sein...

    • @Alfred Sauer:

      Hier gehts zum Einen nicht nur um Künstler (die wohlgemerkt aber ebenfalls die gleiche Daseinsberechtigung haben, wie anderen Jobs auch), sondern um Selbständige in den verschiedensten Branchen.

      Leute, die oft immer dann noch arbeiten, wenn der gemeine Angestellte schon längst Feierabend hat, die selten einen festen Urlaub einplanen können, die dafür sorgen , dass Unternehmen wesentlich flexibler agieren und Projekte oder Veranstaltungen in kurzer Zeit realisiert werden können.

      Und wie bitte - "präkere Situation selbst gewählt"?. Haste eigentlich ne Ahnung, wieviel Pflegekräfte, LKW Fahrer und Leute am Bau selbständig sind? Wieviel Leute den Schritt in die Selbständigkeit gegangen sind, weil es am Stellenmarkt lange mies aussah oder man trotz Vollzeitstelle zuzüglich ALG2 beantragen musste, um über die Runden zu kommen? Die also "Eigenverantwortung" übernommen haben, anstatt sich arbeitslos zu melden?

      Und nebenbei. Im Gegensatz zu NRW, das hier kritisiert wird, haben andere Länder überhaupt keine eigenen Hilfen, die den Lebensunterhalt berücksichtigen, zur Verfügung gestellt.

    • 0G
      02881 (Profil gelöscht)
      @Alfred Sauer:

      Also kurz gesagt "geht ihr erst mal richtig arbeiten", @ALFRED SAUER, das wollten Sie doch sagen, oder?

      • @02881 (Profil gelöscht):

        Nein ich will nur Perspektiven aufzeigen. Wenn ich von meiner Hände Arbeit nicht leben kann muss ich mich einer anderen zuwenden von der ich es kann. Als ich nach meinem Studium eine Zeit lang keine Arbeit in meinem Fach gefunden habe, habe ich für die Post am Flughafen Pakete sortiert. Nachtschicht! Ein Knochenjob aber dafür nicht 8 Stunden und ausreichend bezahlt. Danach ging es dann auch weiter. Man darf sich halt nicht zu fein sein.