40 Jahre „Löwenzahn“: „Und jetzt? Richtig. Abschalten!“
Peter Lustig begeisterte mit „Löwenzahn“ Jung und Alt. Nun wird die Sendung 40 Jahre alt – und wir erinnern uns zurück.
„Löwenzahn“ ist wie das „‚Neon‘-Phänomen“
Wenn ich das Wort „Löwenzahn“ höre, spielt sich eine Melodie in meinem Kopf ab, die des Titelsongs. Sie ruft die Erinnerung an den Onkel mit runder Brille und Schnauzer wach. Wohnen im Bauwagen war für Stadtkinder wie mich spannend. Fast jeder, der in den späten 80er Jahren geboren wurde, muss „Löwenzahn“ kennen.
Aber noch besser als ich erinnert sich meine Mutter an die Sendung mit dem „sympathischen Aussteiger“. Sie versuchte zwar, unseren Fernsehkonsum einzuschränken, aber Sonntagvormittag liefen „Die Sendung mit der Maus“ und „Löwenzahn“. Vielleicht kann man das am besten mit dem „Neon-Phänomen“ beschreiben: Ein Medium kommt besonders gut bei den Eltern seiner Zielgruppe an, wie es bei dem eingestellten Jugendmagazin der Fall war.
Irgendwann geriet „Löwenzahn“ in Vergessenheit. Vor Jahren kam das Gerücht auf, dass Herr Lustig Kinder nicht besonders mochte. In den Sendungen fehlten sie auch, ältere Menschen waren die Protagonisten. Doch es war ein Thema, mit dem ich mich nicht näher befasste. Zu Unrecht. Kinder fehlten am Filmset, weil Lustig sie nicht belasten wollte. Ob das für sie so schlimm gewesen wäre? Das Kinderradio, mit dem ich früh begonnen habe, war alles andere als das. Gerüchte hin oder her – die Melodie und Peter Lustig werden uns noch länger gut in Erinnerung bleiben. Natalie Mayroth
Ein freundlicher Alltagsanarchist, der niemandem schadet
Da ist dieser Löwenzahn, der zu einem beschwingten Lied durch den Asphalt einer durchschnittlichen Nebenstraße bricht, direkt auf der Fahrbahn zwischen den wenigen parkenden Autos. Erst ist es ein Löwenzahn, dann zwei und drei, und am Ende des Intros sind es ganz viele. An mehr von dieser guten, alten Sendung erinnere ich mich kaum, aber dieser freundliche Anarchismus des Löwenzahns, wie er die graue Ordnung stört und Farbe in die Welt bringt, hat mir schon als Kind gefallen.
Die Geburtsstunde
„Löwenzahn“ hatte bereits eine Vorgängersendung: „Pusteblume“ lief 1979. Da lebte Moderator Peter Lustig noch in einem Haus in Bayern. Ein Jahr später wurde die Idee zu „Löwenzahn“ entwickelt, Peter Lustig zog in den bekannten blauen Bauwagen und die ersten Folgen erschienen dann 1981.
Der Moderator
Peter Fritz Willi Lustig moderierte „Löwenzahn“ 25 Jahre lang. Er war Moderator und Hauptfigur, aber auch Autor und Texter der Sendung.
Bis heute hängt Lustig der Ruf an, Kinder nicht ausstehen zu können. Grundlage dafür ist ein falsch verstandenes Protokoll in der Stuttgarter Zeitung aus dem Jahr 2002. Darin sagte er, Kinder seien klebrig und mit ihnen zu drehen sei anstrengend.
Der damalige Autor des Textes, Kai Biermann, klärte nach dem Tod von Lustig über das Gerücht in einem Text auf. Lustig hasste keine Kinder, heißt es darin, seine Aussagen waren von anderen Medien aus dem Kontext gerissen worden.
Heute moderiert der Schauspieler Guido Hammesfahr als Fritz Fuchs „Löwenzahn“.
Und ein bisschen so war auch Peter Lustig selbst, ein freundlicher Alltagsanarchist, ein nerdiger Bastler, der im Wohnwagen wohnt und seine Sachen halt einfach gern vor sich selbst hin frickelt. Seine punkige Do-it-yourself-Attitüde war dabei nie aggressiv, ganz so wie der Löwenzahn aus dem Intro auch nichts kaputtgemacht hat, sondern bloß etwas bunter und schöner. Martin Rosie
Die „Löwenzahn“-CD-ROM war unsere erste Computererfahrung
Bienensummen, ein chaotischer Garten. „Hallo aus meinem Bauwagen. Auf dieser CD-ROM gibt es ne Menge zu gucken und zu tun“, sagt Peter Lustig in einem krisseligen Video. Umrahmt ist es von einer bunten Zeichnung. Es ist 1999 und meine drei Brüder und ich sind im Besitz unseres ersten PC-Spiels für den Windows-98-Computer unseres Vaters. Der steht im Keller, denn dieser Technikkram soll bloß keinen Eingang in den Alltag finden.
Mit dem pünktlichen Abschalten hatten die Eltern und Peter Lustig eine gemeinsame Linie. Die halbe Stunde Bildschirm-Zeit am Samstag wurde also mit warmen Puschen an den Füßen und einem pädagogisch wertvollen PC-Spiel verbracht. Gab es bei anderen Spielen schnelle Autos, Crashs und Highscores, erklärte uns in der Terzio-Spielereihe „Löwenzahn 1–8“ der tiefenentspannte Peter Lustig, wie wir Birken von Kastanien unterscheiden oder wovon sich ein Maulwurf ernährt.
Wollten wir endlich zu den Mini-Spielen auf den CD-ROMS gelangen, die meist ein beglückendes Jump-’n’-Run-Dauer-Mausklicken waren, mussten wir zunächst ein Erklärvideo über Igel schauen oder ein Quiz über Pilze durchklicken. Die Belohnung waren dann Spiele, in denen wir einen schmelzenden Schneemann abwerfen, Brücken konstruieren oder durch intelligentes Öffnen und Schließen von Schleusen ein Essen ausliefern sollten, bevor es kalt wurde. Ah, schade. Die halbe Stunde ist schon wieder rum. Linda Gerner
Nur für den blauen Wohnwagen schaltete ich auf Kika
Ich war nie ein Fan von Kika, dem Kinderkanal. Für meinen Geschmack liefen da Sendungen, die viel zu brav, viel zu langweilig waren. In meiner Kindheit lief deshalb Super RTL, der verbotene Kindersender. Da gab es Spongebob, einen gelben Schwamm, der in einer Ananas wohnte und Burgerbrater war; Angela Anaconda, die sich ganz eigenartig bewegte und ständig in absurde Träume flüchtete; oder Arnold, einen Jungen mit Footballschädel. Ich bezweifle, dass diese Zeichentricksendungen meinem in der Entwicklung steckenden Gehirn gut taten. Wer wollte, dass aus seinem Kind mal was Ordentliches wird, ließ es deshalb lieber Kika schauen.
Eine Ausnahme gab es aber doch, für eine Sendung zappte ich immer auf Kika: „Löwenzahn“. Peter Lustig lebte das Leben, von dem ich als Kind träumte. Im Bauwagen, mit Latzhose (ja, ich besaß nämlich auch eine), mitten in der Natur.
Wenn Lustig aus seinem Zuhause trat, war da ein wild gewachsener Garten – und ein nerviger Nachbar. Um den Nachbarn beneidete ich Lustig nicht so sehr, aber mein Eindruck war: Wer Freiheit und Natur will, muss sich eben auch mit deutschen Spießern rumschlagen. Lustig hat mir viel beigebracht: All die Dinge, für die im Lehrplan kein Platz war oder für die meine Eltern keine Zeit fanden.
Übrigens, ich habe – wie so viele wohl – nie abgeschaltet. Ich habe einfach umgeschaltet, auf Super RTL. Und so lange weitergeschaut, bis der Fernseher überhitzte und meine Mutter rief: „Mach aus. Du hast ja schon ganz viereckige Augen.“ Erica Zingher
Solche Sendungen waren noch Familienevents
Als „Pusteblume“ das erste Mal auf unserem Bildschirm flimmerte, war ich im vorgerückten Kindesalter von 17 Jahren. Mein Bruder war zwei Jahre älter und Papa und Mama noch älter. Ich weiß nicht mehr, ob wir schon die erste Sendung gesehen haben. Aber als Peter Lustig zuerst aus seinem Häuschen und später aus seinem Bauwagen zu uns ins Wohnzimmer stieg, hatten wir ihn sofort in unser Herz geschlossen.
Meine Eltern hatten einen Schrebergarten und Peter Lustig war der Gartennachbar, wie man sich ihn in einer Kleingartenkolonie nur wünschen könnte. Gutmütig, ein bisschen kauzig, ja, aber immer lächelnd und zufrieden und vor allem: kinderfreundlich.
Damals waren solche Sendungen richtige Familienevents. Nix mit Wiederholung oder im Internet gucken. Gab’s ja nicht mal als Begriff. Wer „Pusteblume“ verpasste, musste eine ganze Woche leiden. Ja, „Pusteblume“ hatte die Sendung geheißen und erst später wurde daraus „Löwenzahn“. Verstanden haben wir die Umbenennung nie. Eine Pusteblume ist was Tolles für Kinder, aber wenn daraus der Löwenzahn wächst, dann ärgert das die Kleingärtner*innen. Und jetzt? Abschalten und rausgehen, es kommt nichts mehr. Ihr seid ja noch da. Abschalten! Jürgen Vogt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video