: RückkehraufRaten
Kommende Woche läuft der Tourismus überall im Norden wieder an. Doch die zahlenden Gäste, die kommen sollen, sind gleichzeitig potenzielle Krankheitsüberträger. Beschreibung eines Spagats 43–45
Von Alexander Diehl
Sicher: Es hat einen anderen Hintergrund. Aber man konnte sich schon erinnert fühlen an die Sache mit der sprichwörtlichen Stadtluft, die doch frei macht, angeblich. Denn die Stadt Hamburg, ein Stadtstaat, um genau zu sein: Sie blieb ja offen, trotz aller von der Pandemie bewirkten Unsicherheit und trotz vieler Nüsse, die in kürzester Zeit geknackt werden wollten. Jederzeit konnte etwa einpendeln, wer das musste, auch ein Hamburger Krankenhaus hätten Menschen von anderswo aufsuchen können.
Ja, auch die aus Schleswig-Holstein. Das ist wichtig, denn das nördliche Nachbarland hatte auf die Krise ja so ganz anders reagiert: Zeitweise musste, wer die grundsätzlich ja unsichtbare Landesgrenze überschritt, damit rechnen, dass ihn die Polizei aufgriff und zurückschickte. Gastfreundschaft und Solidarität? Für einige Wochen waren sie eine Einbahnstraße.
„Wieso dürfen die eigentlich noch zu uns?“ Doch: Solche Fragen wurden auch auf Hamburger Straßen gestellt, wenn eines der einschlägigen Autokennzeichen gesichtet wurde, SE, zum Beispiel, PI oder OD, Autos also, deren Insass*innen im Speckgürtel ihre Steuern zahlen. Nein, Hamburger*innen sind nicht automatisch bessere Menschen, nennen keine belastbare Ethik ihr Eigen, stehen auch nicht zuverlässig über rachsüchtigem Reflex. Und der Tourismus, dem die Stadt von Jahr zu Jahr mehr Verantwortung aufbürdet für Wirtschaftsvolumen und Steuereinnahmen: Er erlebte auch in der Freien und Hansestadt eine Vollbremsung.
Aber: Bei der ersten Belastung wieder zu trennen, wo sonst so zuverlässig das Gemeinsame beschworen wird? Bei schönem Wetter irgendwelche Regionen über Grenzen hinweg konstruieren, Kooperation hier und gemeinsame Zuständigkeit da – aber nur bis zur ersten Bewährungsprobe? In unsicherer Lage keine besseren Ideen zu haben, als alle Ressourcen – Ob sie wirklich immer so knapp waren? Es ist doch nicht das ganze Land bloß diese Handvoll Inseln! – für die eigenen Landeskinder vorzuhalten? Wegzuschicken, wer keins ist? Schleswig-Holstein, das war ganz schön kurzsichtig.
Denn nun sollen sie ja alle wiederkommen, als wäre nichts gewesen; gut: nicht alle auf einmal und auch noch nicht sofort. Aber „weitreichende Lockerungen“ gibt es ab Montag, wenn auch nur mit Auflagen bei Hygiene, Abstand und Kontakt. Insgeheim aber wird die Beherbergungs- und Bespaßungsindustrie an den Küsten wohl darauf hoffen, auf mittlere Sicht, im Sommer dann, ganz gehörig etwas abzubekommen vom Kuchen, der dieses Jahr heißt: Urlaub in Deutschland. Denn das ist doch nur vernünftig: Statt das schöne Geld, sagen wir: nach Spanien zu tragen oder Griechenland, gehört es doch bei den lieben Nachbar*innen im Norden ausgegeben, das müssen doch auch die Hamburger*innen einsehen – wir sitzen doch im selben Boot und gehören zueinander, nicht?
Jedenfalls bis zum nächsten unvorhergesehenen Ereignis.
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