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Machtkampf in SPD-FraktionDas Stühlerücken nach dem Knall

Nach dem Abgang von Johannes Kahrs wirkt der rechte SPD-Flügel angeschlagen. Fraktionschef Rolf Mützenich ordnet die Machtverhältnisse neu.

Abgang aus Frust: Johannes Kahrs hat hingeschmissen Foto: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Berlin taz | Seinen letzten großen Auftritt hatte Johannes Kahrs in der SPD-Fraktionssitzung am Dienstagnachmittag. Der Partei-Rechte wollte unbedingt Wehrbeauftragter werden. Doch dieses Vorhaben war gescheitert. Die Union traute dem stets zackig auftretenden und immer polarisierenden Chef des Seeheimer Kreises, des rechten SPD-Flügels, offenbar das für das Amt nötige diplomatische Geschick nicht recht zu.

Nun sollte die SPD-Fraktion die Berliner Abgeordnete Eva Högl nominieren. Reserveoffizier Kahrs meldete sich in der Debatte knapp zu Wort und sagte, dass die Seeheimer „immer der Führung folgen“ und er daher seine Konkurrentin Högl wählen werde.

Doch schon ein paar Minuten später lief die Meldung von Kahrs Komplettrückzug aus der Politik über die Nachrichtenagenturen. Der 56-Jährige legt ab sofort alle politischen Ämter nieder, inklusive seines Bundestagsmandats. Ein Abgang mit Knalleffekt. Kahrs, hyperaktiv in sozialen Netzwerken, legte seinen Twitter- und Face­book-Account still – eine Art Selbstauslöschung als öffentliche Person. SPD-Mann Carsten Schneider versuchte es am Mittwoch mit Humor. „Der linke Flügel, der sich oft über Kahrs aufgeregt hat, vermisst ihn jetzt schon“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion.

Doch die Geschichte hat noch mehr Ebenen. Der bisherige Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels wollte den Job gern weitere fünf Jahre machen. Doch er biss damit bei Fraktionschef Mützenich auf Granit. Bartels ist im Bundestag allgemein anerkannt, forderte aber auch öfter eine höheren Verteidigungsetat. Der SPD-Linke und Außenpolitikexperte Mützenich setzt indes mehr auf Diplomatie als auf Militär. Allerdings entspricht der Wechsel von Bartels zu Högl keinem klaren Rechts-links-Schema: Högl, profilierte Innenpolitikerin, gehört wie Bartels zur Mitte der SPD.

Ein harter Konkurrenzkampf droht

Scharfe Kritik an dem Aus für Bartels kommt weniger aus der SPD denn von Medien wie FAZ und Welt. Aber auch der frühere Grünen-Abgeordnete und Militärexperte Winfried Nachtwei hält das Aus für Bartels für „fachlich in keiner Weise begründbar“. Högl fehle es, so seine Kritik, an Erfahrung mit der Bundeswehr.

Die SPD-Fraktionsspitze indes versteht die ganze Aufregung nicht. Man habe „eine Abwägungsentscheidung“ zwischen Kahrs, Bartels und Högl getroffen. Und, so Schneider: „Es war Zeit für einen Neubeginn.“ Ungewöhnlich ist der Wechsel nicht. Nur einer von zwölf Wehrbeauftragten machte den Job länger als fünf Jahre.

Zudem erspart Högls neuer Job der SPD ein paar unschöne personelle Entscheidungen. Högl war bereits als Justizministerin im Gespräch – und scheiterte daran, dass mit Giffey bereits eine Berlinerin SPD-Ministerin geworden war. Für 2021 könnten Michael Müller, derzeit Regierender Bürgermeister, und SPD-Vizechef Kevin Kühnert in den Bundestag drängen.

Weil die Aussichten auf Mandate für die SPD derzeit äußerst trübe sind, droht ein harter Konkurrenzkampf, der nun ein wenig entschärft ist. Carsten Schneider betont zwar, dass solche Überlegungen bei Mützenichs Entscheidung „null Komma null“ eine Rolle spielten – doch der Vorteil liegt auf der Hand.

Einen Klatsch-Aspekt gibt es auch noch

Högl soll am Donnerstag im Bundestag zur neuen Wehrbeauftragten gewählt werden. Sie braucht die Kanzlermehrheit von 351 Stimmen. Alles andere als diese Mehrheit wäre ein Debakel für Mützenich.

Es gibt auch noch einen Klatsch-Aspekt der Geschichte. Die Journalistin Susanne Gaschke, die mal kurz SPD-Oberbürgermeisterin von Kiel war, ist mit Bartels verheiratet. Zu Gaschkes Geschäftsmodell gehört es, vernichtende Texte über die SPD zu publizieren. Das dürfte nicht unbedingt ein Pluspunkt für Bartels gewesen sein. Gaschke ist gestern aus der SPD ausgetreten.

Also: Nur personelles Gerangel, Anti- und Sympathien, wie es sie überall gibt? Das größere Bild zeigt etwas anderes. Der rechte Flügel der SPD ist geschwächt. Ersatz für Kahrs, den robusten Strippenzieher, ist nicht in Sicht. Und Fraktionschef Mützenich, der eher zufällig nach Andrea Nahles’ Abgang an die Spitze kam, zieht nun Linien. Am Wochenende hatte er in einem viel beachteten Interview US-Atomwaffen in Deutschland als Sicherheitsrisiko bezeichnet und gefordert, dass „Deutschland deren Stationierung zukünftig ausschließt“. Kurzum: Deutschland soll Atomwaffen verbannen.

Das war eine scharfe Antwort auf den Plan von CDU-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die neue teure US-Jets anschaffen will, die Atomwaffen tragen können. Gefährlich naiv, polterte die CDU. Doch auch in der SPD rumpelte es. SPD-Außenminister Heiko Maas sagte, dass Atomwaffen nur als Teil einer gemeinsamen Abrüstung abgezogen würden – also auf absehbare Zeit nicht. Im Grunde hat Mützenich aber nur das SPD-Grundsatzprogramm wiederholt: „Wir treten ein für den Abzug sämtlicher Atomsprengköpfe, die auf deutschem Boden lagern.“

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19 Kommentare

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  • Abgesehen von der einen inhaltlichen rechts-links Koordinate sehe ich in der SPD noch einen ganz anderen Konflikt: Charismatische, erfolgreiche, kompetente, beim Wähler beliebte Politiker werden in der Partei misstrauisch beäugt. Erfolg macht verdächtig. Die sägt man vorsichtshalber ab, und verschafft stattdessen verdienten Parteisoldaten die Posten, egal wie unbeliebt oder unbekannt.

    • @Descartes:

      Johannes Kahrs hatte einen von 20 Wahlkreisen, in denen die SPD eigentlich nicht verlieren kann. Und mindestens in Hamburg hatte er viele Fans und war für viele ein Hass-Objekt. Anders als Hans-Ulrich Klose oder Herbert Wehner war er nur für einige ein Zugpferd.

    • @Descartes:

      OK..."Charismatische, erfolgreiche, kompetente"

      Bitte einen, Einen! egal welche Partei!

      Das letzte Kriterium sortiert eh 99,9% erst mal aus

  • SPD Fraktionschef Mützenich bestärkt mit der „Causa Kahrs“ SPD-Grundsatzprogramm, ohne auf entsprechenden Bundestagbeschluss 2010 als Reaktion auf Obamas Prager Rede 2009 zu verweisen, alle Atomwaffen von deutschem Boden der USA, Nato sind abzuziehen:„Wir treten ein für den Abzug sämtlicher Atomsprengköpfe, die auf deutschem Boden.

    Johannes Kahrs ist einer von jenen furchtlosen, andere meinen, furchtbaren SPD Parteisoldat Charaktermasken*nnen, die sich nach einer verlorenen Abstimmungswahl als öffentliche Person demonstrativ ins eigene Schwert stürzen, um danach weich in hochdotierte Lobby Jobs zu fallen. Bei ihm wird es vermutlich ein Politikberater Job in der Wehrtechnik- , Rüstungsindustrie, Thyssen, Rheinmetall, Heckler&Koch? sein als Schwert und Schild deutscher Außenpolitik aus einem Guss.

    1998 hat Kahrs als Netzwerker in diesem Jahr verstorben vorherigen SPD-MdB Hamburg-Mitte Freimut Duve (1936-2020) abgelöst, weil er dem mit anderen Genossen*nnen vorhielt, er reise viel in der Welt herum, vernachlässige sträflich die Ortsverein Stallpflege.

    Duve hatte wiederum dem bewährt klassenkämpferischen Sozialexperten SPD Granden Eugen Glombig 1980 den SPD Wahlkreis Hamburg-Mitte als gewiefter Netzwerker, Herausgeber der Rowohlt Reihe „aktuell“ mit 68er, „AkW Nein Danke“ Grünen Stimmen in der SPD abgerungen

  • Kahrs war immer unfähig irgendeine verantwortungsvolle Position einzunehmen. In Hamburg konnte er nur als Abgeordneter mit seiner sonderbaren Art sich halten. Sein Politikmodell basiert auf Polarisierung und Angriff. Das passt(e) zu diesem Amt nicht und das hat garantiert nicht nur mit der CDU/CSU zu tun, wenn Högl diese Position einnehmen muss. Politik machen Parteien nicht Medien, wenn die SPD so entscheidet, dann steckt da ein tieferer Sinn hinter. Kahrs hätte früher zurücktreten können, wenn es wirklich nur um diesen Sachverhalt geht. Der wird nach meiner Auffassung auch andere Gründe haben. Es ist schon eher erstaunlich, dass jemand, der so austeilt, von selber geht? Wenn er wirklich von alleine geht? Wenn da nicht noch andere Dinge eine Rolle spielen.

  • noch eine Partei die sich von Ihrem rechten Flügel befreit. Sehr schön. Kann man nur hoffen das das diesmal nicht nur auf dem Papier so ist!

  • Für die große gesellschaftliche Transformation, die jetzt ansteht, brauchen wir dringend Rot Rot Grün. In Berlin tut sich schon so viel Positives, das feiere ich. Es wäre so großartig, wenn Deutschland ab Ende 2021 in Europa vorangeht, das 21. Jahrhundert einzuläuten. Insofern Glückwunsch, wenn die SPD zu ihren Grundsätzen zurück findet. Atomwaffen und der Rüstungsindustrie eine klare Absage erteilen! Ich würde dafür wieder SPD wählen, lange nicht mehr gemacht.

  • Eva Högl brauchte einen Posten, damit ihr Platz für Michael Müller frei wird, dem wiederum Gipfel folgen könnte. Mützenichs Lavieren hatte nicht das geringste mit irgendwelchen verteidigungspolitischen, persönlichen oder gar moralischen Ansprüchen zu tun.

    • @Suryo:

      Und die Sicherheit der Soldaten interessiert ihn auch nicht...

  • danke klemens

  • Wenn Mützenich gemeinsam mit Esken und Borjans die SPD weiter so auf Linkskurs trimmt, die Seeheimer und Sozialliberalen nacheinander über die parteiinterne Klinhüge springen lässt, macht er nicht die Sozialdemokratie reif für ein rot-rotes Bündnis; er macht seine Truppe überflüssig. Wenn ich eine rein linke Politik wählen möchte, wähle ich die Linken - und nicht die Pseudo-Linken.

    • 9G
      92489 (Profil gelöscht)
      @Markus Wendt:

      Sie wissen, dass man in einer Demokratie Mehrheiten braucht, um Entscheidungen treffen zu dürfen?

  • Mit der Entscheidung für Högl hat die SPD wohl die letzten Wähler bei den jetzigen und ehemaligen Soldaten und Soldatinnen, und deren Angehörigen und Freunden, bei den Zivilangestellten der Bw und deren Angehörigen und Freunden, und auch bei den Beschäftgten in der Rüstungsindustrie und deren.. verloren. toll gemacht, die SPD braucht ja anscheinend keine Wähler bei den Arbeitern und Angestellten. Weiter so, das 5% Ziel kommt näher.

    • @Gerald Müller:

      Wählen die von Ihnen angesprochenen Menschen nicht ohnehin nur Grüne oder CDU bzw. AfD?

  • Nur wenn die Seeheimer nicht mehr die Richtung der SPD bestimmen, wird sich die SPD erholen können. Dazu gehört auch, dass Gegner des eigenen Parteiprogramms wie Maas, die konsequent die Linie der Transatlantiker vertreten, ebenfalls in Zukunft keinen Einfluss mehr haben dürfen. Das wird noch dauern, bis sich die SPD wieder zur sozialdemokratischen Partei entwickelt. Es wäre sicherlich nicht unmöglich, endlich eine Alternative für grün-schwarz zu werden. Und zwar eine soziale Alternative.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @Rolf B.:

      Okay dann gewinnt die SPD 8% von den Linken dazu verliert aber Wähler an die Union, selbst wenn nicht mit 25% kommen die auch nicht weiter, und das ist nur wenn sie die gesamte Linkspartei aufsaugt.



      Oder glauben sie da gibt es Millionen Nicht-Wähler die dann plötzlich SPD wählen?

    • @Rolf B.:

      Also eigentlich alles, was die Linkspartei auch aktuell vertritt und die ist ja wahnsinnig erfolgreich.

    • 6G
      64984 (Profil gelöscht)
      @Rolf B.:

      Absolut korrekt