Nachhaltige Fischerei: Der Siegelstreit
Neue Regeln für Fischereien der Zertifizierungs-Organisation MSC gehen dem Umweltverband WWF nicht weit genug.
Unter anderem fordert MSC nun, dass Fischereien einen Fischbestand nicht gleichzeitig mit nachhaltigen und nichtnachhaltigen Methoden befischen. Ein Siegel für Fischereien, die nachweislich Shark Finning betreiben – also die Rückenflosse von Haien abschneiden, um den Körper danach wieder ins Meer zu werfen – soll es nicht mehr geben. Allerdings kann ein Unternehmen das umgehen, wenn es die Boote, auf denen so etwas passiert ist, von der Fangflotte ausschließt.
Dem WWF reicht das nicht. Der Umweltverband kritisiert, dass MSC keine Kursänderung vorgenommen und Forderungen für den Reformprozess nicht aufgenommen hat, etwa die Gewährleistung, dass Zertifizierungsauflagen auch wirklich umgesetzt werden. Die Organisation hatte beim MSC Einspruch gegen 17 vorgeschlagene Zertifizierungen erhoben. Die Einsprüche waren bisher wirkungslos. Eine Zertifizierung läuft noch, alle anderen wurden trotz der Einwände angenommen.
„Anstatt eine bedeutende Reformagenda auf den Weg zu bringen, sitzt der MSC die Situation einfach aus“, sagt WWF-Fischereiexperte Philipp Kanstinger. Der Umweltverband zieht daraus Konsequenzen. „Leider sind wir gezwungen, die Verlässlichkeit dieses Labels für eine wachsende Anzahl von Fischereien in Frage zu stellen.“ Der WWF will sich weiterhin für Verbesserungen im MSC-Programm einsetzen und gleichzeitig Einzelhändler und Verbraucher vor zertifizierten Fischereien warnen, die nach Auffassung des Verbands nicht nachhaltig sind.
MSC löst nicht alle Probleme
Christopher Zimmermann, Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei und ehrenamtliches Mitglied des Technischen Beratenden Gremiums des MSC, ist dagegen der Auffassung, Produkte mit dem MSC-Siegel könne man guten Gewissens kaufen – auch wenn es „wahnsinnig viel zu kritisieren gibt am MSC“.
Das MSC löse nicht alle Probleme, sondern wolle Fischereien, die die Schwelle zur Nachhaltigkeit überschritten haben, durch Anreize weiter verbessern. Das funktioniere, sagt er mit Blick auf die 20-jährige Geschichte des Siegels. Die MSC-Regeln seien ein Balanceakt, um die Umweltverbände nicht zu verlieren und Fischereien nicht zu verprellen. 20 Prozent des Weltfischmarktes seien zertifiziert. Bekäme nur der „Goldstandard“ ein Siegel, wären es ein bis zwei Prozent.
Das oft vorherrschende Bild vom leer gefischten zerstörten Meer sei falsch, erklärt Zimmermann. „Wenn wir die Welt ernähren wollen mit geringer Belastung für die Umwelt, dann kommen wir nicht drumherum, das Meer zu nutzen“, sagt er. Zwei Drittel der Fischbestände seien in gutem Zustand. Ein Drittel nicht. Die Ökosysteme im Meer seien anders als an Land miteinander verbunden und können sich besser ausgleichen. Während an Land viele Tierarten vom Aussterben bedroht seien, sei das im Wasser nicht der Fall.
Teilweise seien Fischbestände wegen Überfischung am „Kollabieren“ und können nicht mehr „sinnvoll wirtschaftlich genutzt werden“. Das gelte etwa für Dorsch und Seelachs. Um sich zu erholen, müsse der Fang drastisch reduziert werden. Tatsächlich vom Aussterben bedroht seien der Weiße Hai oder der Europäische Aal. Bei Letzterem sei die Nachwuchsproduktion seit den 50er Jahren um bis zu 99 Prozent zurückgegangen. Aber das liege nicht an Überfischung, sondern an anderen Umwelteinflüssen, sagt Zimmermann.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
Bundesregierung und Trump
Transatlantische Freundschaft ade
Bundestagswahl für Deutsche im Ausland
Die Wahl muss wohl nicht wiederholt werden
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße