piwik no script img

Streit im Fall Matiullah JabarkhilTödliche Schüsse

Vor zwei Jahren erschoss ein Polizist den Afghanen Matiullah Jabarkhil – aus Notwehr, heißt es. Noch immer kämpfen Unterstützer:innen um Aufklärung.

Vor dieser Bäckerei hatte Matiullah Jabarkhil angeblich mit Steinen geworfen, ehe die Polizei ihn erschoss Foto: dpa

Berlin taz | 12 Schüsse feuerte der Polizeibeamte auf Matiullah Jabarkhil ab, zwei davon waren tödlich. Der 19-Jährige Afghane, der unweit des Tatorts in einer Unterkunft für Geflüchtete lebte, starb noch vor Ort. Genau zwei Jahre ist dieser Vorfall im hessischen Fulda nun her. Die offenen Fragen aber sind noch lange nicht beantwortet.

Das gegen den Polizisten eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde im Januar 2019 eingestellt, im März wieder aufgenommen und im August zum zweiten Mal eingestellt. Die tödlichen Schüsse seien „durch Notwehr gerechtfertigt“, hieß es in einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Fulda.

Jabarkhil habe den Auslieferungsfahrer einer Bäckerei sowie einen Streifenbeamten mit einem faustgroßen Stein verletzt und sei anschließend mit dem Teleskopschlagstock des Polizisten geflohen. Bei der Verfolgung durch den Beamten seien Schüsse abgegeben worden, die den Afghanen verfehlten. Als der junge Mann den Beamten mit dem Schlagstock angegriffen habe, habe dieser erneut geschossen und Jabarkhil tödlich verwundet.

Beschwerde gegen Einstellung

Die Gruppe Afghan Refugees Movement zweifelt an der Darstellung der Staatsanwaltschaft. „Wir fordern eine unabhängige Aufklärung“, sagt Sprecherin Sarmina Stuman. „Matiullah hatte weder Schusswaffe noch Messer. Er war nur 1,70m groß. In den frühen Morgenstunden war niemand anderes gefährdet. Warum hat man nicht Verstärkung gerufen?“

Stuman ist in Kontakt mit Jabarkhils Angehörigen in Afghanistan, deren Anwältin Beschwerde gegen die Verfahrenseinstellung eingereicht hat. Dass der beschuldigte Polizeibeamte nach acht Tagen, also noch vor Abschluss der Ermittlungen, wieder im Dienst war, zeugt für Stuman von institutionellem Rassismus.

Warum konnten die vier bis fünf anwesenden Polizeibeamten den jungen Mann nicht lebend festnehmen? Diese Frage lässt auch Abdulkerim Demir, den Vorsitzenden des Ausländerbeirats in Fulda, nicht los. Der Polizeieinsatz sei unangemessen eskaliert, hatte er bereits kurz nach dem Vorfall kritisiert und dafür massiven Gegenwind erfahren. Und das nicht nur von AfD und den Identitären, sondern auch von der CDU: Fuldas Oberbürgermeister Heiko Wingenfeld und Landrat Bernd Woide (beide CDU) wandten sich an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), um Demirs Tätigkeit als Leiter von Integrationskursen überprüfen zu lassen.

Die beiden Politiker zweifelten öffentlich an Demirs Bekenntnis zu Rechtsstaat und Grundgesetz. Man erwarte, dass dieser „Vertrauen in unsere Institutionen fördert – im Besonderen auch in die Polizei und die Justiz“, heißt es in einer Stellungnahme. Der Vorsitzende des Ausländerbeirats hält dennoch an seiner Kritik fest: „Hätte ich kein Vertrauen in das Grundgesetz, dann hätte ich den Mund gehalten“, sagt er auf taz-Anfrage. „Aber zum Glück herrscht in Deutschland Demokratie. Und das Grundgesetz gibt mir das Recht, den Staat zu kritisieren.“

„Es wird uns schwer gemacht“

Über 250 Hassnachrichten habe er seit seiner öffentlichen Kritik am Polizeieinsatz erhalten, sagt Demir, darunter zahlreiche Morddrohungen. Die Staatsanwaltschaft habe die Ermittlungen jedoch immer wieder eingestellt.

Nach der Gedenkveranstaltung für Matiullah Jabarkhil vor einem Jahr hat die Polizei Fulda vier Teilnehmer:innen wegen Beleidigung, Verleumdung und übler Nachrede angezeigt, darunter auch Stuman als Anmelderin der Demonstration. „Es wird uns auf jeden Fall so schwer wie möglich gemacht“, sagt Stuman. „Ich habe das Gefühl, dass der Rechtsstaat gegen uns verwendet wird, um alles zu unterdrücken.“

Auch die Autor*innen eines Gastbeitrags auf Belltower News haben Anzeigen bekommen, „unter anderem wegen übler Nachrede“, wie sie sagen. Die Redaktion von Belltower News erklärt in einem Vermerkt unter dem Text, dass dort ursprünglich gestanden habe, Jabarkhilsei sei durch zwölf Schüsse gestorben.

In diesem Jahr wurde ein angemeldeter Trauermarsch, bestehend aus zwei Personen, von der Stadt Fulda mit Verweis auf die Corona-Verordnung verboten. Das diesjährige Gedenken an Matiullah Jabarkhil findet deshalb online statt. Für die Anwaltskosten und die Finanzierung eines unabhängigen, rechtsmedizinischen Gutachtens bittet das Afghan Refugees Movement um Spenden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Im Artikel heißt es: "Dass der beschuldigte Polizeibeamte nach acht Tagen, also noch vor Abschluss der Ermittlungen, wieder im Dienst war, zeugt für Stuman von institutionellem Rassismus."

    Dass ein Beamter, gegen den strafrechtlich ermittelt wird, nicht vom Dienst suspendiert wird, zeugt für mich eher von der Anwendung der rechtsstaatlichen Unschuldsvermutung. Diese verbietet es zwar nicht schlechthin, einen Beamten, gegen den ein Ermittlungsverfahren läuft, vom Dienst zu suspendieren. Aber es gibt erst recht keinen Automatismus, dass ein Polizist, gegen den wegen tödlicher Schüsse ermittelt wird, allein deswegen bis zum Abschluss der Ermittlungen nicht mehr eingesetzt werden darf - und das gilt unabhängig davon, ob der Polizist einen Deutschen, einen Afghanen oder wen auch immer erschossen hat.

  • Da snd sie, die Gefährder von Demokratie und Rechtsstaat. Bei der AfD (das wussten wir schon), und -- wer hätte das gedacht? bei der CDU. Und bei der Polizei?