„Land des Honigs“ auf DVD: Fifty-fifty ist ein Gleichgewicht
Globalisierungsdrama auf kleinstem Raum: Der Dokumentarfilm „Land des Honigs“ über die letzte Wildimkerin Nordmazedoniens ist auf DVD erschienen.
Auf dem Papier klingt die Sache womöglich etwas schrullig: ein Film über den Alltag einer Frau, die in einer fast menschenleeren Region nach alter Tradition Honig gewinnt, mit ihrer bettlägerigen Mutter in einer primitiven Hütte lebt und irgendwann Gesellschaft von Nomaden bekommt, die ihre ganz eigenen Vorstellungen von Landwirtschaft und Imkerei haben. Muss man sich das anschauen?
Nun, immerhin hat „Land des Honigs“, so der Titel dieses Dokumentarfilms von Ljubomir Stefanov und Tamara Kotevska, rund 30 Preise gewonnen, darunter allein drei beim renommierten Sundance-Festival, und war bei der Oscarverleihung dieses Jahr nominiert als bester Dokumentar- und als bester internationaler Film.
Die Begeisterung, die der Film hervorgerufen hat, ist dabei bloß im Ansatz schriftlich zu vermitteln. Seine vielen Auszeichnungen hat er jedenfalls zu Recht erhalten. Und: Er ist schrullig. Das ist eine seiner Stärken. Rund 400 Stunden Material, über drei Jahre hinweg gedreht, verdichteten die Filmemacher zu 86 Minuten. Nachdem er im November in den Kinos angelaufen war, kann man ihn jetzt auf DVD oder Video-on-Demand nachsehen.
Empfohlener externer Inhalt
Trailer Land des Honigs
Hatidze Muratova ist die Protagonistin des Films. Sie ist zugleich sein Star. Die Mittfünfzigerin mit durchfurchtem Gesicht, stets ein Kopftuch tragend, beherrscht die Leinwand von der ersten Szene an. Etwa wenn man sie mit der größten Selbstverständlichkeit einen schmalen Grat an einem steilen Abhang entlanggehen sieht, um hinter einer Steinplatte ihre Bienenvölker zu inspizieren. Sie singt dazu, greift mit bloßen Händen eine Wabe heraus, schneidet ein Stück ab, probiert.
Bienen bauen ihre Waben selbst
Diese Waben, die von der Kamera immer wieder in appetitanregenden Großaufnahmen erkundet werden, sind nicht diese Gebilde mit Holzrahmen, die man nebeneinander in Kästen hängt. Vielmehr sind es von den Bienen komplett selbst gebaute Strukturen, die Hatidze weitgehend sich selbst überlässt.
Wenn es so weit ist, nimmt sie sich die Hälfte des Honigs, der Rest ist für die Bienen. „Wildimkerin“ nennt man ihren Beruf. Hatidze ist die letzte ihrer Art in Nordmazedonien. Sie und ihre 85-jährigen Mutter wohnen zusammen in einem Raum, Strom und fließendes Wasser gibt es allem Anschein nach nicht. Wärme spendet im Winter ein Ofen.
Wenn Hatidze geerntet hat, fährt sie mit ihren Honiggläsern nach Skopje, um sie auf dem Markt zu verkaufen. Zu den Händlern hat sie, wie die Bilder vermitteln, einen guten Draht. Fast irritiert die Geschäftigkeit der Stadtaufnahmen. Denn viele Szenen in „Land des Honigs“ zeigen bevorzugt Hatidze in karger Landschaft, ihr Gesicht bei der Arbeit, beim Essen, beim Sitzen mit ihrer Mutter. Eine Frau, die einem in ihrer Lebensweise fremd bleibt und die doch mit ihrer Geschichte und ihrer scheinbar unbekümmerten Art berührt.
Nomaden siedeln sich an in der Nachbarschaft
Dynamik entfaltet der Film, als Nomaden sich neben Hatidze auf einem verlassenen Hof ansiedeln. Mit einem Wohnwagen, sieben Kindern und 150 Rindern. Sie sprechen Türkisch, Hatidzes Sprache, was sie freut, auch die Gesellschaft. Hussein, der Vater, interessiert sich vor allem für Hatidzes Imkerei.
„Land des Honigs“. Regie: Ljubomir Stefanov, Tamara Kotevska. Nordmazedonien 2019. Die DVD ist ab rund 15 Euro im Handel erhältlich
Als er selbst beginnt, Bienenstöcke aufzustellen und im großen Stil Völker einzusammeln, warnt Hatidze ihn, er solle nicht zu viel und nicht zu früh ernten. Sonst würden seine Bienen die ihren angreifen. Da Hussein eine Art „Investor“ im Hintergrund hat, ein Verwandter oder Bekannter, der möglichst viel aus der Imkerei herausschlagen will, hört er nicht auf den Rat.
„Land des Honigs“ wird mit seinen schlichten, dankenswerterweise nicht von stimmungsinduzierender Musik unterlegten Bildern und der auf ein Minimum an handelnden Personen beschränkten Geschichte so unversehens zu einer weit größeren Erzählung.
Ökologisches Gleichgewicht
Einer über die Frage nach der Möglichkeit eines ökologischen Gleichgewichts – Hatidze kann ihrer schonenden Methode ja unter anderem deshalb nachgehen, weil sie außer ihrer Mutter und sich selbst sonst niemanden versorgen muss.
Das Vorgehen des Großfamilienvaters Hussein macht ihn andererseits zum Repräsentanten von Profitmaximierung ohne Rücksicht auf ökologische Folgen. Oder soziale: Für Hatidze, deren Bienen irgendwann tot unter ihren Waben liegen, wird Husseins Wirtschaften zunehmend existenzbedrohend. Die Schrulligkeit ist spätestens dann zur Nebensache geworden.
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