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Forderung zu Saisonarbeitern und CoronaMehr Schutz für Erntehelfer

Kritiker verlangen, dass die Höfe ihre Aushilfen besser als bisher geplant vor Corona-Infektionen schützen. Mehrbettzimmer seien zu gefährlich.

Erntehelfer im bayerischen Sainbach Foto: Frank Hoermann/Imago

Berlin taz | Nach der teilweisen Aufhebung des Einreiseverbots für Erntehelfer fordern Gewerkschafter und linke Bauern, die ArbeiterInnen besser vor dem Coronavirus zu schützen. „Die Gefahr ist in Mehrbettzimmern viel zu groß“, sagte Harald Schaum, Vizevorsitzender der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) am Freitag der taz.

Die von den Bundesministerien für Ernährung und Inneres vereinbarte Zimmerbelegung mit halber Kapazität in den Unterkünften der Saisonkräfte könne immer noch zu hoch sein, ergänzte Georg Janßen, Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Diese Regel würde zum Beispiel 4 Spargelstecher in einem Raum erlauben, in dem bisher 8 schliefen. Bei Bürotätigkeiten dagegen empfehlen die Behörden, dass derzeit nur ein Beschäftigter in einem Zimmer sitzt.

Die Ministerien hatten sich am Donnerstag darauf geeinigt, im April und im Mai jeweils bis zu 40.000 Saisonarbeitern die Einreise zu erlauben, obwohl seit 25. März wegen der Pandemie grundsätzlich ein Einreiseverbot für Agraraushilfen etwa aus Rumänien gilt. Neben der geringeren Zimmerbelegung verlangen die Behörden nun unter anderem, dass die Menschen mit dem Flugzeug an- und abreisen. In den ersten 14 Tagen nach ihrer Ankunft müssen sie getrennt von den sonstigen Beschäftigten leben und arbeiten und dürfen das Betriebsgelände nicht verlassen. Auch danach müssen sie in getrennten Gruppen von höchstens 20 Personen arbeiten und übernachten.

IG BAU und AbL halten diese Regeln nicht nur für zu lasch. Sie bezweifeln auch, dass sie beachtet werden. „Es ist fraglich, ob die Trennung in Gruppen organisatorisch zu leisten ist“, sagte Gewerkschafter Schaum. „Ich weiß ja, wie das ist, wenn man auf dem Land arbeitet“, erläuterte Bauernvertreter Janßen. „Alle mal schnell auf den Anhänger oder in den Bus und dann fährt man zum nächsten Feld. Ob da jetzt die 1,5 Meter Mindestabstand eingehalten werden, wage ich zu bezweifeln.“

Die Branche warnte vor kleinerem Gemüseangebot

Der Deutsche Bauernverband, in dem die meisten Höfe organisiert sind, begrüßte die Einigung und beteuerte, die Betriebe würden die Vorgaben „strikt einhalten“. Laut Agrarministerium werden die nun erwarteten 80.000 ArbeiterInnen den restlichen Bedarf decken können: Rund 20.000 Arbeitskräfte waren demnach bis zum Einreisestopp eingereist. Bis Ende Mai würden etwa 100.000 Saisonarbeiter benötigt. Zudem rechnet man damit, dass für April und Mai jeweils rund 10.000 Arbeitslose, Studierende, Asylbewerber oder andere Kräfte aus dem Inland rekrutiert werden können.

Mit dem Kompromiss reagierte die Regierung auf erheblichen Druck der EU-Kommission und der Branche, der viel Geld verloren gehen würde, wenn sie ihre Felder nicht bestellen oder abernten lassen könnte. Die Unternehmen hatten gewarnt, das Angebot an Obst und Gemüse werde schrumpfen, wenn das Einreiseverbot bestehen bleibt. Spargel, Erdbeeren und Salate beispielsweise werden größtenteils von den jährlich rund 260.000 Saisonarbeitskräften vor allem aus Rumänien angebaut, die mit 9,35 Euro brutto pro Stunde meist den Branchenmindestlohn erhalten.

Die Produktion von Grundnahrungsmitteln wie Getreide und Kartoffeln hingegen ist kaum betroffen, weil diese Früchte vor allem maschinell geerntet werden. Das Innenministerium hatte das Einreiseverbot für Saisonarbeitskräfte etwa aus Rumänien und Bulgarien mit der großen Zahl Personen begründet, die kommen würden, obwohl wegen der Coronapandemie soziale Kontakte reduziert werden sollen.

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8 Kommentare

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  • Was mich irritiert:

    Wir haben aktuell eine Luftfeuchtigkeit, angesiedelt zischen sagenhaft 40-50% und dennoch breitet sich dieses Virus weiter aus...

    Was passiert, wenn sich diese Verhältnisse wieder verändern!?

    • @EU-Bauer_Klaus1618:

      "In den ersten 14 Tagen nach ihrer Ankunft müssen sie getrennt von den sonstigen Beschäftigten leben und arbeiten und dürfen das Betriebsgelände nicht verlassen." Und sämtliche Kontrollen macht Frau Klöckner persönlich?

  • um mal den Blick etwas zu weiten, die UN warnt, dass aufgrund der Krise, weltweit Versorgungsketten unterbrochen werden könnten - durch das Aussperren von Erntehelfern aber vielleicht noch davor durch protektionistische Maßnahmen, wenn wichtige Länder im Krisenmodus etwa den Export von Weizen und Reis stoppen oder die Preise erhöhen etc. so wie jetzt andere Länder den Export von Masken und Arzneimitteln einschränken

    www.theguardian.co...-shortage-un-warns

  • Es ist bemerkenswert, dass andere Wirtschaftszweige komplett dich machen müssen, aber die Bauern trotzdem ne Extrawurst gebraten bekommen.



    Und dass, obwohl Spargel und ein paar andere Feldfrüchte ohne weiteres ein Jahr verzichtbar wären...



    Einfach abenteuerlich!

  • 0G
    05158 (Profil gelöscht)

    Ich würde sagen, hier wird russisch Roulett gespielt auf dem Rücken der Erntehelfer und auch der Bevölkerung.



    Nach dem Motto Augen zu und durch. Wenn es schief geht, ist eh alles zu spät.



    Die Befürworter und Interessensabweger werden bei Schiefgehen(Sterben) namentlich nicht in Erscheinung treten.

  • taz-Zitat: “(…) IG BAU und AbL halten diese Regeln nicht nur für zu lasch. Sie bezweifeln auch, dass sie beachtet werden. (...)“



    Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass diesbezügliche unabhängige Kontrollen kaum zu leisten sind. Und Ernte- bzw. Gewinnausfälle gegen die Risiken einer mitunter tödlichen Seuche abzuwägen ist unseriös und unangebracht.

    • @Thomas Brunst:

      Die Risikoabwägung zwischen Gewinn und mitunter tödlicher Gefahr ist das Tagesgeschäft von Berufsgenossenschaften, Unfallkassen und Gesetzgeber. Warum wohl kostet eine Arbeitsstunde auf dem Bau, unter Tage, im Lager, in der Produktion in Deutschland so viel mehr als in Bangladesh, Pakistan, Indien usw.? Für den Einsatz der Erntehelfer bedeutet die Abwägung, ob bei vertretbarem persönlichen Schutz überhaupt noch mit einem positiven finanziellen Ertrag des Ernteguts zu rechnen ist. Wer würde Spargel für 18 Euro/kg oder Erdbeeren für 10 €/kg kaufen? Ist am Ende ein Totalausfall günstiger? Oder sind die Margen für die Erzeuger doch nicht so klein, sodass der Mehraufwand noch kompensiert werden kann?Was würden die angeordneten Schutzmaßnahmen nützen, wenn sich die ErntehelferInnen nach Feierabend irgendwo treffen, weil es sonst strunzlangweilig ist?

      • @Edward:

        Wenn die Unterbringung von vier Personen in einem Raum erlaubt ist, macht die Berufsgenossenschaft auch keine schärferen Vorgaben, sofern sie die Zet nach Feierabendüberhapt interessiert.



        Für die Arbeitszeit gibt es im Zweifel mehr Dokumente als unangekündigte Besche vor Ort.