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Corona und häusliche GewaltTipps gegen Aggressionen

Er ist so geladen, aber er will nicht ausrasten. Was tun? Das Bundesforum Männer hat ein „Survival-Kit für Männer unter Druck“ ins Netz gestellt.

Kann Stress abbauen: Musik auf die Ohren Foto: imago

Berlin taz | Schon die zweite Woche am Schreibtisch im Homeoffice, eine Zoom-Konferenz nach der anderen, im Nebenzimmer schreien sich die Kinder an. Die Frau will wissen, wann er Feierabend macht. Mann ey, das wisse er doch auch nicht, keift er seine Frau an und macht eine Bewegung, als wolle er ihr eine runterhauen. Es sei eben alles anders in Zeiten von Corona. Dabei sitzt er schon seit 7 Uhr morgens am Schreibtisch, die letzte Mail wird er sicher erst gegen 21 Uhr schreiben. Und am Wochenende sollte er auch zur Verfügung stehen – für alle Fälle. Da können einem schon mal die Sicherungen durchbrennen.

Die Szene ist zwar fiktiv, aber sie steht symbolhaft für das, was gerade in nicht wenigen Wohnungen passiert: Familien hocken aufeinander, gehen sich auf die Nerven, viele Eltern müssen trotz der Alltagseinschränkungen arbeiten. Im Homeoffice können die Grenzen von Job, Privatleben und Haushaltsaufgaben schnell verschwimmen, mitunter bis zur Unkenntlichkeit – für Frauen wie Männer. Das stresst und sorgt für Frust, Überlastung, Unzufriedenheit. Und für Aggressionen. Mit denen viele Männer schwerer umgehen können als Frauen, manche rasten daher häufiger aus.

„Da ist einer schon mal kurz vor Rot“, drückt Dag Schölper es aus, Geschäftsführer des Bundesforum Männer, einem Interessenverband für Jungen, Männer und Väter. Das Bundesforum ist das (männliche) Pendant zum Deutschen Frauenrat, einem Dachverband für 59 Frauenorganisationen und -vereine in Deutschland.

Jetzt hat das Bundesforum ein „Survival-Kit für Männer unter Druck“ herausgegeben, eine Art Bedienungsanleitung im Netz gegen Gewalt. Das Survival-Kit richtet sich vor allem an jene, die „voller Aggression sind, aber nicht ausrasten wollen“, sagt Schölper. Denn „in einer Krisensituation steigt das Risiko, die Kontrolle zu verlieren und gewalttätig zu werden“, heißt es im Merkblatt, das man kostenlos herunterladen kann. Derzeit gibt es das Merkblatt in 18 Sprachen, darunter Englisch, Serbokroatisch, Tigrinya, Niederländisch, Italienisch.

Hilfe für Männer, die nicht ausrasten wollen

Das Angebot, das in Zusammenarbeit mit Antigewalt- und gleichstellungsorientierten Männergruppen in der Schweiz und Österreich entstanden ist, ist ein wichtiger Teil der Antigewaltarbeit. In diesen Wochen nehmen häusliche und Partnerschaftsgewalt zu, vor allem durch beengtes und dauerhaftes Zusammensein, insbesondere in kleinen Wohnungen. Mancherorts steigt die Gewaltrate derzeit um 100 Prozent, so wie im Polizeibezirk Essen.

Ausgangsbeschränkungen, geschlossene Schulen und Kitas, Homeoffice, wachsende Arbeits- und damit Perspektivlosigkeit seien der „perfekte Nährboden“ für häusliche Gewalt, hatte Marlène Schiappa, französische Staatssekretärin für Geschlechtergleichstellung, bereits vor den massiven Einschränkungen im öffentlichen Leben in Frankreich gewarnt. Von Partnerschaftsgewalt sind vor allem Frauen betroffen, jede vierte Frau in Deutschland hat mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt vom aktuellen oder Expartner erfahren.

Musik hören und lesen als Tipp

Jetzt wird es für die Opfer noch schwerer als sonst, sich zu wehren und die Gewaltspirale zu verlassen oder zu verringern. Marija Pejcinovic Buric, Generalsekretärin des Europarats, zufolge können Frauen jetzt weder eine Beratungsstelle aufsuchen noch in ein Frauenhaus fliehen. Frauenhäuser und Beratungsstellen in Deutschland haben ihr Angebot der Situation angepasst und leisten jetzt vor allem telefonische Hilfe und sind per Mail ansprechbar, teilten die Bundeskoordinierung der Frauenhäuser und -beratungsstellen mit.

Und wie kann das Survival-Kit unter Druck stehenden Männern helfen? In den zehn von Psychologen und Gewaltexperten entworfenen Ratschlägen heißt es unter anderem: „Höre Musik. Treib Sport. Tausch dich mit Freunden aus.“ Oder: „Achte auf deine Grenzen: Sag Stopp, wenn du dich bedrängt, beengt, genervt fühlst.“ Können solche Tipps tatsächlich Gewalt verhindern? Können sie Frauen schützen und Männer vor kriminellen Handlungen bewahren? „Wir machen uns da nichts vor“, sagt Schölper vom Bundesforum Männer: „Das Angebot richtet sich vor allem an Männer, die sonst nicht gewalttätig, aber mit der aktuellen Situation völlig überfordert sind.“

Männer also, die gewöhnlich Dauerpräsenz im Büro zeigen und mit familiärer Opulenz nicht umgehen können. Die nicht wissen, in welchen Küchenschrank zu Hause die Teller gehören und dass man Jeans nicht zusammen mit weißen Unterhosen in die Waschmaschine schmeißt. Kurz: Die das (für sie neue) Leben zu Hause über Maßen stresst. Schölper sagt: „Männer, die Gewalt als Macht- und Kontrollverhalten definieren und gar nicht darüber nachdenken, dass sie ihrer Partnerin Unrecht tun, wenn sie sie schlagen, erreichen wir vermutlich nicht.“

Das Bundesforum setzt aber darauf, dass das Survivel-Kit – neben den „bewussten Männern“ – auch von Nachbarn oder Mitarbeitenden von Pflegediensten wahrgenommen und empfohlen wird, wenn sie in einem Haushalt Übergriffe vermuten.

Zu wenig Programme für Männer als Täter

Die öffentliche Sensibilität gegenüber häuslicher und Partnerschaftsgewalt hat durchaus zugenommen – und mit ihr die Zahl der Präventionsangebote und Projekte der Arbeit mit Tätern. In der Europäischen Union gibt es rund 200 Täterprogramme, in Deutschland findet man Beratungs- und Anlaufstellen für Gewalttäter vor allem in Großstädten wie Berlin, München, Hamburg, Düsseldorf.

Einige Männer gehen freiwillig zu Antigewalttrainings, das sind die sogenannten „Selbstmelder“, jene, die sich jetzt durch das Survival-Kit angesprochen fühlen könnten. Andere schicken Polizei und Jugendämter, als verpflichtende Auflage, weil sie bereits gewalttätig waren. Verweigern sie das Antigewalttraining, dürfen sie möglicherweise eine Zeitlang ihre Kinder nicht sehen.

Manche dieser Männern rufen bei Gerhard Hafner in der Männerberatungsstelle gegen Gewalt der Volkssolidarität in Berlin an. Und sagen häufig nur einen Satz ins Telefon: „Ich möchte einen Termin.“ Mitunter sei gar nicht sicher, sagt Hafner, ob die Beratungsstelle die richtige Anlaufstelle für ihr Problem sei: „Aber Männer tun sich schwerer damit, am Telefon über sich, ihre Bedürfnisse und Notlagen zu reden.“ Eher strebten sie eine persönliche Beratung an.

Weil das gerade nicht ginge, sei das Survival-Kit „wichtig und sinnvoll“, sagt Hafner. Das Ganze hat aber einen echten Haken: Wem die Ratschläge nicht weiterhelfen, kann keine bundesweite Hotline für Männer anrufen – so wie das Frauen beim Hilfetelefon machen können. Regional bieten die Opferschutzorganisation wie der Weiße Ring Telefonberatung an, andererorts helfen die Kirchen und einige wenige Männerberatungsstellen.

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11 Kommentare

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  • Bitte unterstützt doch nicht die folgenden Mythen zur häuslichen Gewalt



    - Druck vom Arbeitgeber sei der Auslöser



    - Täter würden "die Kontrolle verlieren"

    Insbesondere der zweite Punkt. Es ist kein Kontrolle-Verlieren, wenn sich ein Täter dazu entscheidet, einem anderen Menschen Gewalt anzutun. Er verliert maximal die Hemmungen, insbesondere, da ggf der Partner nicht mehr so oft nach draußen geht und andere Verletzungen nicht mitbekommen können. Und weil der Partner weniger Möglichleiten hat, bei einer gewaltbereiten Phase des Täters ihm aus dem Weg zu gehen oder unbemerkt Hilfe zu rufen.



    Aber die Entscheidung, dass es okay sei seine Familienmitglieder zu schlagen oder ähnliches kommt ausschließlich von ihm und nicht von irgendeiner Art Bestie in seinem Unterbewusstsein.

    Ich empfehle dazu das (leider nur englischsprachige) Buch "Why did he do that?" von Lundy Bancroft, der dort unter anderem solche Mythen korrigiert. Und das im Jahr 2002 oder so. Warum fliegen die immer noch in der Welt herum???

  • Erschütternd, dass es offenbar so viele Männer gibt, die als tickende Aggressions-Heinzis einzustufen sind. Das überrascht (mich) dann doch, in einem angeblich sooo zivilisiertem Land, und wo doch #MeToo angeblich sooo übertrieben war….

    Ach, Männer … fühlen lernen … … sich selbst wieder fühlen lernen … … na dann, viel Glück – besonders für die potenziell betroffenen Frauen und Kinder.

    • @Ariane:

      Erfrischend süffisanter Kommentar. Mit derselben Süffisanz weise ich auf die aktuelle Kriminalstatistik zur partnerschaftlichen Gewalt hin, die man hier herunterladen kann:

      www.bka.de/DE/Aktu...tsgewalt_node.html

      Interessant ist die Tabelle 1.1 auf Seite 26 und dort die Spalte "eingetragene Lebensgemeinschaft"



      Da die nur gleichgeschlechtlichen Paaren offenstand, lässt sich daran gut die Gewaltbereitschaft erkennen, wenn beide Partner etwa dieselbe physische Stärke haben und ....

      *trommelwirbel*



      Auf 157 männliche Opfer kommen 267 weibliche. Also auch 157 männliche Täter vs. 267 weibliche.

      Zugegeben, die Zahl der Tatverdächtigen ist insgesamt eher klein, aber die Tendenz ist eindeutig zu erkennen.



      Und nein, es gibt nicht wesentlich mehr eingetragene Lebenspartnerschaften zwischen Frauen als zwischen Männern. Das Verhältnis ist ziemlich ausgeglichen.

      • @swordeli:

        Erschütternd bleibt S. 28, 3. Spalte, "W" … …



        Danke für den Link.

        • @Ariane:

          Was aber gerne vergessen wird, dass die Statistik auch beleget, dass über 30 Millionen Männer in Deutschland ihren PartnerInnen keine Gewalt antun ...



          Diese werden aber mit unter Generalverdacht gestellt.

          • @Gastnutzer 42:

            Das dürfte den verprügelten Frauen relativ wumpe sein…



            Und bitte nicht vergessen, dass die gesamte "Männerschaft" in dieser Problematik mit ihrem Kumpel-Verhalten und dem Nicht-Ansprechen dieser Gewalt-(Täter) einen erheblichen Beitrag zur unaussprechlichen "Normalität" solcher Gewaltexzesse leistet.



            · … ·



            Und dass ERWARTET wird, dass in dieser Corona-Zeit die "häusliche Gewalt" ansteigen wird, erschüttert mich noch fast am meisten – so erwartbar und unveränderlich scheint das zu sein. Da fehlen mir die Worte.



            · … ·



            Wer Gewalt zulässt, stärkt sie bzw. die Täter noch.



            Also, bitte nichts mit "ich aber doch nicht"!



            Geht nicht, geht gar nicht.



            · … ·



            Dass hier schon wieder relativiert wird, spricht Bände.



            Verantwortung für die Gesellschaft oder gar das "andere Geschlecht" – außerhalb der eigenen Blase? Ne, nä?!



            · … ·



            Gerade von Männern, die nicht prügeln oder morden müsste/sollte/dürfte schnelle und einsichtige (!!) Unterstützung für Frauen und ihre erlebten Gewaltsituationen kommen, am besten vorher, bevor eine Frau geschlagen oder gar ermordet wird.



            Aber sind halt "nur" Frauen – "Hauptsache mir kann nichts vorgeworfen werden" reicht eben nicht – ob's "euch" Männern gefällt oder nicht.

            • @Ariane:

              Volle Unterstützung zu Ihrem Kommentar.

              "Aber das sind nur die anderen und da sind Männer, die nicht gewaltätig sind!"-Aussagen bringen niemandem was. Was soll man darauf antworten, Gratulation, dass derjenige basic Umgangsformen drauf hat?



              Häusliche Gewalt darf nicht kleingeredet werden.

            • @Ariane:

              Klasse - ich habe nichts beschönigt und ich habe auch niemanden in Schutz genommen. Aber Ihr Posting nimmt alle Männer in "Sippenhaft" – es hat ein Mann geschlagen, also sind Männer mit Schuld. Irgendwas hätten die anderen Männer bestimmt anders machen können.

              Und warum ist relativieren etwas Schlechtes? Natürlich muss jedem Opfer (m/w/d) geholfen sowie Schutz und Unterstützung gewährt werden. Aber ich halte es für wichtig darauf hinzuweisen, dass ist eben nicht die Regel ist.

              Und draus, dass es nicht die Regel ist könnte man ableiten und schauen, was bei den anderen Familien/Partnerschaften anders ist. Und das könnte ich übertragen.

              Dann komme ich zu dem Schluss, dass ich die Familien stärken muss, den Familienzusammenhalt verbessern und die Fremdbetreuung zurückfahren. Aber dran hat die Gesellschaft kein Interesse.

              Die Beispiele sind da, die Studien sind da, nur der Wille zur Veränderung, der fehlt.

              • @Gastnutzer 42:

                "…nur der Wille zur Veränderung, der fehlt."

                Da sagen Sie was Wahres.



                Und auch wenn Sie mich jetzt gleich steinigen: auch das Verhalten der Nicht-Prügelnden Männer sollte sich ändern, denn wir Frauen allein KÖNNEN das gar nicht ändern. Nicht mehr – aber auch nicht weniger – ist meine Forderung. ;-)

                • @Ariane:

                  Schon dieses Denken



                  WIR Frauen - DIE Männer



                  halte ich für fragwürdig. Hier wird eine Grenze gezogen, die so nicht existiert (bzw. existieren sollte).

                  Und solange ich diese Grenze im Kopf habe, kann ich mich darauf zurückziehen - die anderen müssen was anders machen.

                  Was wünschen sie sich konkret von den nichtprügelnden Männern? Immerhin sind es ja 200 pro prügel-Mann.

                • @Ariane:

                  Noch eens:



                  Relativieren ist dann schlecht, wenn die Betroffenen aufgefordert werden, das sie Betreffende "doch nicht so wichtig und sich selbst auch nicht so wichtg zu nehmen".



                  Sachen in Relation zu setzen, ohne sich aus der Affäre ziehen zu wollen ist natürlich in Ordnung. Normal.