Kampf für neue Verkehrspolitik: Zu viel Autofahrer-Perspektive

Ein Hamburger Vater bittet die Polizei, gefährliche Situationen auf dem Schulweg zu entschärfen. Weil nichts passiert, wendet er sich an die Politik.

Ein Mann mit Schutzweste steht mit seinem Fahrrad auf einem Radweg

Fordert eine konkrete Wende in der Verkehrspolitik: Tilo Schmidtsdorff Foto: Miguel Ferraz

Hamburg taz | Tilo Schmidtsdorff kann es nicht mehr mit ansehen, dass der Schulweg seiner Kinder zugeparkt wird, dass ihnen Autos an Fußgängerüberwegen die Sicht verstellen und dass die Polizei sie dann auch noch ermahnt, Helme und Sicherheitswesten zu tragen. „Wie viele Sicherheitswesten und Fahrradhelme soll man als Fußgänger denn tragen, um vor einem auf dem Gehweg fahrenden Auto geschützt zu sein?“, fragt er.

Schmidtsdorff betreibt einen Verkehrsblog. Er hat drei Kinder, möchte mit seiner Familie ohne Auto leben, und dürfte vielen Hamburgerinnen und Hamburgern, die Umfragen zufolge den Autoverkehr zurückdrängen wollen, aus der Seele sprechen.

Mit Blick auf die irgendwann nach dem Ende der Corona-Krise anstehenden Koalitionsverhandlungen von SPD und Grünen verlangt er, ans Eingemachte zu gehen: Die Straßenverkehrsbehörden müssten ihre Prioritäten neu setzen, fordert er – weg vom Auto, hin zum Fuß- und Radverkehr. Dazu müsse das Personal umdenken, die Planungsbasis müsse verbessert und die Zuständigkeiten verändert werden.

Hier liegt Schmidtsdorff auf einer Linie mit dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC), der kürzlich eine „starke, grün geführte Behörde zur Neugestaltung des Verkehrs“ gefordert hatte. Das zielt darauf, die entsprechenden Abteilungen aus der Innenbehörde und der Polizei herauszulösen und stattdessen der Verkehrsbehörde zuzuschlagen.

Es geht um strukturelle Änderungen

Politisch wäre das brisant, aber es wäre eine Möglichkeit, das verkehrspolitische Umdenken auch strukturell anzulegen. Das tut aus Schmidtsdorffs Sicht bitter not, denn die Empfehlung, Sicherheitswesten zu tragen, hält er für symptomatisch: Trotz aller Beteuerungen, sich für die schwächsten VerkehrsteilnehmerInnen einzusetzen, gehe die Polizei nicht konsequent gegen die Auswüchse des Autoverkehrs vor. Sie betrachte den Verkehr nach wie vor in erster Linie aus der Autofahrer-Perspektive.

Weil seine direkten Kontakte mit der Polizei vor Ort zu nichts geführt haben, hat Schmidtsdorff die entsprechende Korrespondenz jetzt an die Bürgerschaft, an Innensenator Andy Grote (SPD) sowie die Polizeiführung geschickt. Unterfüttert hat er sie mit 14 Eingaben zu konkreten Problemfällen an die Regionalausschüsse Barmbek-Uhlenhorst-Hohenfelde-Dulsberg sowie Eppendorf-Winterhude.

Dabei geht es Schmidtsdorff im ersten Schritt nur darum, dass die Polizei der Straßenverkehrsordnung Geltung verschafft, also ihre Aufgabe erfüllt: Sie soll FalschparkerInnen abschleppen, verhindern, dass Leute mit ihren Autos über den Gehweg fahren, dass sie noch in der Fußgängerfurt stehen, wenn die Fußgängerampel längst Grün zeigt, und dass Radwege im Nichts enden.

Er erwarte von der Straßenverkehrsbehörde, dass sie „sich aktiv für sichere Fuß- und Radwege, insbesondere für Kinder und Menschen mit Einschränkungen einsetzt, indem sie dem Kfz-Verkehr eindeutige Grenzen aufzeigt“, schreibt Schmidtsdorff. Dass das nicht geschehe, sei ihm unverständlich.

Im vergangenen Jahr habe die Polizei „erhebliche Kräfte darauf verwendet, Schulkinder zu kontrollieren, um für Verkehrssicherheit zu sorgen“. Gleichzeitig wurde ihm bedeutet, es sei illusorisch, die von ihm gemeldeten Regelverstöße durch Überwachung von der Polizei zu verhindern. „Zusammengenommen klingt das für mich nach Kapitulation“, schreibt Schmidtsdorff.

Hartes Brot für Lokalpolitiker

In seinen Eingaben nennt er auch viele Probleme in der Infrastruktur: fehlende Radverkehrsanlagen, gefährliche Fußgängerüberquerungen, „minderwertige“ Verkehrsführung. Beim Versuch, solche Zustände zu ändern, tun sich die PolitikerInnen lokaler Ebene bisher schwer.

Timo Kranz, Fraktionschef der Grünen im Bezirk Nord, kann als Beispiel von der Veloroute 4 erzählen, einer Art Ausfallstraße für RadlerInnen, die in Langenhorn über die Straße Hohe Liedt und Neuberger Weg verlaufen soll. Eigentlich sei das eine Bezirksstraße, aber eine, der die Verkehrsbehörde „übergeordnete Bedeutung“ zumesse.

Es komme für die Behörde daher nicht in Frage, dem Fahrradverkehr Vorrang vor dem Auto einzuräumen. Und auch Tempo 30 sei nicht möglich, habe die Polizei beschieden – schließlich handele es sich nicht um einen Unfallschwerpunkt. „Das Ergebnis: Die RadfahrerInnen müssen auf einer Veloroute im Mischverkehr bei Tempo 50 fahren“, sagt Kranz. Wem das zu stressig sei, der dürfe großzügigerweise auf dem Gehsteig fahren – und das auf einer Hauptachse für den Fahrradverkehr.

Für Kranz und Schmidtsdorff zeigt sich an solchen Beispielen, wohin es führt, dass das Thema Verkehr unter verschiedenen Behörden aufgeteilt ist. „Man hat keine einheitliche Idee, wie man den Straßenverkehr gestalten will“, kritisiert der Grüne Kranz.

Schmidtsdorff hat in einem Video die Struktur aufgedröselt: Auf der einen Seite stehen die Verkehrsbehörde und die Bezirke, die sich um Straßenbau und Straßenplanung kümmern. Auf der andere Seite steht die Innenbehörde mit ihrer Grundsatzabteilung und der Verkehrsdirektion – bis hinunter zu den örtlichen Polizeikommissariaten.

Hamburger Sonderweg

„Das ist in Hamburg einzigartig“, sagt Samina Mir vom Vorstand des Hamburger ADFC. Das gibt es in keinem anderen Bundesland, dass die gleiche Behörde, die die Straßenverkehrsordnung auslege, auch für deren Einhaltung zuständig sei.

Dabei kollidierten die politisch-planerischen Ziele bisweilen mit der tradierten Sichtweise der Polizei. Dieser gehe es um die Leistungsfähigkeit einer Straße, sagt Schmidtsdorff – „und die wird am Autodurchsatz gemessen“. Als Fußgänger, Fahrradfahrer und Vater fühle er sich dabei missachtet. „Ich will mich frei bewegen können ohne Auto“, sagt Schmidtsdorff.

Jens Deye vom ADFC fordert, wenigstens die Grundsatzabteilung für den Verkehr, die etwa für die Umsetzung von Bundes- in Landesrecht zuständig ist, von der Innen- in die Verkehrsbehörde zu verlagern. Das könnte eine Verkehrspolitik aus einem Guss fördern und der Verkehrswende Schwung geben.

Und die PolizistInnen, die mit dem Verkehr befasst seien, sollten zumindest besonders qualifiziert werden. „Sie brauchen eine Ausbildung als Sicherheitsauditor“, findet Deye. Ziel müsse eine felhlerverzeihende Infrastruktur sein.

Der Verkehrsaktivist Schmidtsdorff findet, es könnten auch private Anbieter mit Sicherheitsaudits, etwa rund um Schulen, beauftragt werden. Dabei würde die Verkehrsinfrastruktur und -lage in der Nachbarschaft systematisch auf mögliche Konflikte zwischen unterschiedlichen VerkehrsteilnehmerInnen und Gefahrstellen hin analysiert.

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