: Zu, aberdoch da
Schon am 11. März legte Kultursenator Klaus Lederer die Berliner Bühnen still. Eine kleine Nachfrage, wie die Stimmung unter den Betroffenen ist
Von Esther Boldt
Die Theater waren die Ersten, die die Eindämmung des öffentlichen Lebens in Deutschland traf: Am 11. März kündigte Kultursenator Klaus Lederer die temporäre Stilllegung der Berliner Bühnen an, wenige Tage später wurde bundesweit der Spielbetrieb eingestellt – vorerst bis zum 19. April. Wie ist die Stimmung bei jenen, die sonst stets in der Öffentlichkeit stehen, die stets eine Öffentlichkeit schaffen? Wie stellen sich kleinere Theater und freie Gruppen dieser ungewöhnlichen Situation?
„Für alle Kinder- und Jugendtheater ist es eine ganz dramatische Lage, die existenzbedrohend werden kann“, stellt Philipp Harpain, Leiter des legendären Grips-Theaters, fest. Denn sie müssen einen prozentual höheren Anteil der Betriebsausgaben über Eintrittsgelder einspielen, beim Grips sind das etwa 80.000 bis 90.000 Euro im Monat. Nun fallen über 40 Vorstellungen aus. Um Kosten zu sparen, beantragte das Haus Kurzarbeit. Zugleich sollen die Freischaffenden so gut wie möglich unterstützt werden, Honorare für längerfristig geplante Projekte auch ausgezahlt werden. Denn die unzähligen Selbstständigen, die den Theaterbetrieb am Laufen halten, sind hier wie anderswo die schwächsten Glieder in der Kette.
Bis zum Ende der Spielzeit standen noch vier Premieren auf dem Spielplan, was davon realisiert werden kann, steht in den Sternen. In dieser Situation müsse man in der Lage sein, meint Harpain, „schnelle, gute Entscheidungen zu treffen. Und sich trotz allem nicht unterkriegen lassen.“ Die Zukunft des Grips erscheint gerade alles andere als gewiss. Harpain aber ist im engen Dialog mit dem Senat und zuversichtlich, dass Lösungen gefunden werden. In der Zwischenzeit weicht das Theater in die sozialen Medien aus, wo nun erzählt und gesungen wird. „Wir sind zu, aber wir sind da“, meint der Theaterleiter.
In den virtuellen Raum haben sich vorerst auch die Proben von „From Horror till Oberhausen“ verlagert, die Anfang der Woche begannen. Das Stück der Berliner Theatergruppe Fux – bestehend aus Nele Stuhler und Falk Rößler – soll Mitte Mai am Theater Oberhausen Premiere haben. Vorerst aber treffen sie Schauspieler*innen und Musiker*innen per Videochat, und stellen ihnen Aufgaben, an denen sie selbstständig weiterarbeiten können. „Normalerweise sitzen wir in den ersten zwei Wochen alle zusammen am Tisch und überlegen, worüber man auf der Bühne sprechen könnte“, erzählt Stuhler. „Jetzt versuchen wir eine Arbeitspraxis zu finden, die jede*r von zu Hause aus machen kann.“ Dabei müssen sie allerdings zweigleisig fahren: Einerseits so proben, als sei gewährleistet, dass die Premiere im Theater stattfinden kann. Und andererseits bereits Alternativen entwickeln. Hierfür denken sie über neue Formate nach, einen Film beispielsweise. Jedoch: „Natürlich ist die Gesundheit der Menschen das Wichtigste“, sagt Rößler. „Aber ich finde es wichtig, alternative Formen der Versammlung zu ermöglichen.“ Denn die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus träfen das Theater „ins Mark: weil sich hier eben Menschen versammeln“. So schwankt das Duo zwischen dem kreativen Reiz der Herausforderung und tiefen Zweifeln: „Was soll man denn tun, wenn es länger dauert? Ich kann ja nur Theater“, bringt Nele Stuhler es auf den Punkt.
Auch She She Pop, eines der bekanntesten Performancekollektive Deutschlands, sucht in diesen Tagen nach Alternativen. Viele seiner Gastspiele wurden bereits abgesagt. „Die Situation ist sehr unklar“, erzählt Johanna Freiburg von She She Pop. „Wir versuchen mit den Veranstaltern, national wie international Lösungen zu finden. Viele bemühen sich zu ermöglichen, dass die Gelder nach wie vor fließen können, aber es kommt voraussichtlich zu ziemlich hohen Ausfällen.“ Von diesen seien nicht nur die Performer*innen betroffen, sondern auch all die freien Mitarbeiter*innen, die nicht bezahlt werden können, wenn es keine Ausfallhonorare gibt – freie Techniker*innen beispielsweise oder Garderobieren. „Das ist für viele existenziell“, stellt Freiburg klar. Die Folgen des Coronavirus machen auch die Fragilität eines Wirtschaftssystems sichtbar, das immer mehr Verantwortung an Einzelne delegiert. Gerade hat der Bund Soforthilfen von bis zu 50 Milliarden Euro für kleine Unternehmen und Solo-Selbstständige zugesagt, Details der Vergabe sind noch keine bekannt.
Es müsse aber, findet Freiburg, nicht nur darum gehen, den Notstand zu überbrücken – sondern auch darum, eine Zukunft möglich zu machen. Theater müssten handlungsfähig bleiben, um beispielsweise Verträge für den Herbst abzuschließen. Denn so schnell die Theater geschlossen wurden, von einem Tag auf den anderen, so schnell werden sie nicht wieder öffnen können. Das derzeit vielzitierte Fahren auf Sicht mag für den Moment das Richtige sein. Planbarkeit aber darf es nicht ausschließen.
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