Corona-Krisengebiet Südtirol: Die letzten Gäste
In Südtirol vertreibt das Coronavirus den Tourismus. Eine Woche in in der nun abgeschotteten italienischen Provinz.
Drei Dörfer, zwei Kirchen, ein paar verstreut liegende Höfe, rundherum hohe Berge. An den Hängen klebt eine Handvoll bewirtschafteter Almen. Forstwege und schmale Pfade finden sich hinauf. Das Gsieser Tal in Südtirol, ein Seitental des Pustertales, geht noch gerade so als sogenannter touristischer Geheimtipp durch. Knapp 2.200 Menschen siedeln hier. Sie leben von der Landwirtschaft und ein bisschen vom Tourismus. Urlauber kommen vor allem zum Wandern und zum Skilanglauf her. Am Ende des Tals, auf 1.500 Metern Höhe, liegt das Hotel Magdalenahof.
Dienstag, 3. März.
Der Eurocity 89 der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) verbindet im Zweistundentakt München und Bologna. Ab Innsbruck ist der Nachmittagszug so gut wie leer. Der Grenzbahnhof Brenner, wo er planmäßig eine viertel Stunde Aufenthalt hat, wirkt verwaist. Kein Mensch ist auf den Bahnsteigen zu sehen. Zwei Männer mit Atemschutzmasken und Sprühflaschen marschieren durch die Waggons und bespritzen die Sitze mit einem Desinfektionsmittel.*
Mittwoch, 4. März.
Maßnahmen
In ganz Italien wurden mit dem Dekret vom 12. März weitere Maßnahmen zur Eindämmung und Bekämpfung der Verbreitung des Coronavirus erlassen. Alle Schank- und/oder Speisebetriebe müssen bis zum 25. März geschlossen halten. Ebenso sind Friseure, Pubs, Museen und Geschäfte im gesamten Staatsgebiet geschlossen. Offen sind nach wie vor Apotheken und Lebensmittelgeschäfte.
Information
Für Anrufer aus Italien, die medizinische und organisatorische Fragen haben: Die Grüne Nummer 8 00 75 17 51 ist täglich zwischen 8 und 20 Uhr erreichbar.
Für Gästeinformation, die sich auf keine medizinischen Fragen beziehen: Tel. +39 0471 999 999 (von Montag bis Freitag: 9.00–12.30 Uhr und 14.00–18.00 Uhr. Samstag: 9.30–12.30 Uhr und 14.00–18.00 Uhr).
Einreisestopp
Er betrifft sowohl den Individualverkehr als auch den öffentlichen Nahverkehr. So verkehren aktuell keine Regional- und Fernzüge sowie Fernbusse zwischen Südtirol und Österreich.
Hotelchef Josef Burger, selbst begeisterter Wanderer, führt neun Gäste auf einer Schneeschuhtour in das nahe Pragsertal. Durch Tiefschnee geht es hinauf zum 2.300 Meter hohen Strudelkopf, vom Gipfel bietet sich ein fantastischer Blick auf die sonnenbeschienenen Drei Zinnen, einen der markantesten Gebirgsstöcke in den Dolomiten. Wir sind die einzige Gruppe am Gipfelkreuz. „Es ist wegen des Virus“, sagt Burger. „Sonst sind bei solchem Wetter hier oben Hunderte zum Schauen.“ Abends gehen an der Hotelrezeption telefonische Stornierungen ein. Mehrere deutsche Gäste werden vorzeitig, schon morgen, abreisen.
Donnerstag, 5. März.
Die Süddeutsche Zeitung, die an den Vortagen im Hotel auslag, wird nicht mehr geliefert. Aktuelle Lektüre bieten nur noch Lokalblätter und, na klar, die Gazetta dello Sport. Das Blättchen Dolomiten listet die Maßnahmen der Südtiroler Provinzregierung auf, mit denen die Verbreitung des Coronavirus gebremst werden sollen, unter anderem bleiben Schulen und Unis bis auf Weiteres geschlossen. Das deutsche Robert-Koch-Institut hat Südtirol zum Risikogebiet erklärt, die deutsche Bundesregierung warnt vor Reisen dorthin. Begründet wird das mit der „Anzahl der Infektionen und der Dynamik der Ausbreitung“ des Virus in der Provinz. Dabei gibt es in der Region bislang nur vier bestätigte Coronafälle. Die letzten deutschen Gäste im Hotel packen ihre Koffer und fahren zurück.
Freitag, 6. März.
Karin Burger, Hotelchefin
Die mehr als 40 Kilometer lange Gsieser-Tal-Loipe, eine der beliebtesten Langlaufstrecken in Südtirol, haben wir fast für uns alleine. Auch im Bus zurück vom Brückenwirt nach St. Magdalena gibt es keine weiteren Fahrgäste. In der Dolomiten kritisieren Südtiroler Ärzte die Reisewarnung aus Deutschland: „In Südtirol gibt es nur eine Handvoll Fälle, in Nordrhein-Westfalen mehrere Hundert. Eher sollten wir also eine Warnung für Nordrhein-Westfalen aussprechen.“
Michi Ebner, Chef der Industrie- und Handelskammer Bozen, schimpft: Die Einstufung Südtirols als Risikogebiet entbehre jeder Grundlage und sei ein schwerer Schlag für die Wirtschaft. Die meisten Hotels und Gasthöfe im Gsieser Tal schließen. Auch die Kneipe Talschlusshütte, sonst beliebtester Treff im Tal von Wanderern und Langläufern, hat zugesperrt. Am Telefon an der Hotelrezeption verhandelt Chefin Karin Burger mit absagenden Gästen über die Konditionen der Stornierung. „So eine Stornierungswelle hatten wir noch nie“, sagt sie.
Sonnabend, 7. März.
Der Südtiroler Sanitätsbetrieb, die oberste Gesundheitsbehörde der Provinz, teilt mit: Es gibt fünf weitere positiv getestete Patienten, insgesamt nun also neun bestätigte Fälle. Zweihundert Südtiroler und Südtirolerinnen wurden insgesamt getestet. Vor den Krankenhäusern in Bozen und Brixen haben der Sanitätsbetrieb und das Rote Kreuz sogenannte Pre-Trihage-Zelte zur Sortierung und Einteilung möglicher Coronapatienten aufgestellt. Die Kliniken selbst sollen so Corona-frei bleiben.
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz kündigt an, dass an der Grenze zu Italien Gesundheitschecks gemacht werden. Reisende aus Italien würden stichsprobenartig kontrolliert. Die ÖBB stellen die Nachtverbindungen nach Oberitalien ein.
Sonntag, 8. März.
Die Skisaison wird wegen des Coronavirus vorzeitig beendet, erklärt der Hotel- und Gastwirteverband Südtirol. „Unseren Betrieben empfehlen wir, sich zu bemühen, den Gästen im Rahmen ihrer Möglichkeiten Ausweichtermine anzubieten und bei Stornierungen möglichst kulant entgegenzukommen.“ Alle Skilifte und Seilbahnen werden den Betrieb einstellen.
Normalverweise endet die Wintersaison in den Skigebieten an Ostern. In dem kleinen Städtchen Welsberg am Eingang des Gsieser Tals haben mehrere Geschäfte geschlossen. Die Apotheke ist aber noch geöffnet. Schutzmasken und Desinfiziermittel gebe es nicht, sagt die Apothekerin, sie würden aber auch kaum nachgefragt.
Montag, 9. März.
Die Stumpfalm liegt auf 2.000 Metern, zwei Stunden dauert der Fußweg vom Hotel. Der alte Hüttenwirt schreckt hoch, als wir die kleine Stube betreten, er hat auf einer der Bänke ein Nickerchen gemacht. „Hab nicht gedacht, dass heute überhaupt wer kommt“, brummt er. Im Herd bollert ein Holzfeuer, auf den beiden grob zusammengezimmerten Tischen liegen Plastiktischdecken. „Die andern Tage war auch nix hier oben“, sagt der Alte. In der Ecke sitzt seine Tochter und faltet Servietten für die Gäste, die wohl nicht mehr kommen. Am Abend weitet die italienische Regierung das bisher aus mehreren Nordprovinzen bestehende Sperrgebiet aus, das ganze Land ist nun Rote Zone, also auch Südtirol. Höchste Zeit, abzuhauen.
Dienstag, 10. März.
Hinter dem Brenner stoppt der Eurocity 88 auf dem Weg nach München. Und zwar „aufgrund einer behördlichen Anordnung“, wie der Zugchef durchsagt. „Das wird einige Zeit dauern. Bitte, bleiben Sie auf Ihren Plätzen und bewahren Sie Ruhe.“ Kanzler Kurz hat am Vorabend erklärt, die Grenzen Österreichs für Reisende aus Italien zu schließen. Eine Gruppe von Polizisten streift durch die Waggons, rüttelt auch an verschlossenen Toilettentüren. Im Gefolge der Beamten laufen zwei Sanitäter mit Masken und dicken Schutzanzügen. Sie messen mit taschenlampenähnlichen Instrumenten, die vor die Stirn gehalten werden, bei allen Passagieren Fieber. Offenbar gibt es keine Auffälligkeiten. Nach einer Stunde kann der Zug weiterfahren. Bis Innsbruck, dort müssen alle aussteigen.
Mittwoch, 11. März.
Österreich stellt den Personenzugverkehr von und nach Italien ganz ein. Als vorläufig letzter Zug passiert am Vormittag der Eurocity 88 aus Bologna die Grenze in Richtung Innsbruck und München.
Donnerstag, 12. März.
Bekannte, die in Südtirol festhängen, berichten am Telefon von 50 Kilometer langen Lkw-Schlangen am Brenner. Der Verkehr staut sich ab Brixen bis zur Landesgrenze nach Österreich.
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