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Foto: EBM Papst

Unternehmen in Corona-KriseDie schaffen das

Mundschutz auf und Temperatur messen. Lieferketten sichern, Konferenzen canceln: Wie der Mittelständler EBM-Papst die Corona-Krise wuppt.

Benno Stieber
Fabian Kretschmer
Von Benno Stieber und Fabian Kretschmer aus Karlsruhe/peking

E in Unternehmer heißt so, weil er was unternimmt. Es gehört zum Selbstverständnis der Tüftler und Manager, gerade im Südwesten Deutschlands, auf veränderte Situationen schnell zu reagieren. Neue Technik, neue, veränderte Kundenwünsche, das kennt man. Auch Konjunkturflauten und Finanzkrisen hat man schon überlebt. Aber eine globale Krise, die so tief in den Alltag jedes Einzelnen eingreift? Angst um die Mitarbeiter, Umsatzausfälle, Quarantäne, drohende Lieferausfälle, Reisestopp? Das ist alles ein bisschen viel für ein mittelständisches Unternehmen, wenn auch ein großes.

Na ja, eigentlich seien da ganz ähnliche Unternehmer-Tugenden gefragt, findet Hauke Hannig. Man müsse alle wichtigen Informationen beschaffen, die Situation richtig bewerten und rational handeln, sagt der Mann am Telefon in jovialem Ton mit norddeutschem Einschlag.

Seit Januar schon steuert das Unternehmen, für das Hannig als Pressesprecher Auskunft gibt, im Krisenmodus, aber die Laune hat es dem gebürtigen Bremer aus rätselhaften Gründen nicht verhagelt. Immerhin hatten sie bisher nur zwei Corona-Fälle bei 15.000 Mitarbeitern weltweit. Mehr als 10 Prozent der Belegschaft ist in China beschäftigt.

EBM Papst heißt das Unternehmen, für das Hauke Hannig spricht. Ein Familienbetrieb, von dem wohl jeder schon einmal durchgepustet wurde, den aber nur kennt, wer mit Klimaanlagen und Lüftungen aller Art zu tun hat. Oder wer in Hohenlohe wohnt, wo EBM-Papst einer der großen Arbeitgeber ist.

Mulfingen, am nordöstlichen Zipfel von Baden-Württemberg gelegen, hat gut dreieinhalbtausend Einwohner, eine Wallfahrtskapelle, einen Stausee und eine der ältesten Dorflinden im Südwesten. EBM-Papst ist hier der größte Arbeitgeber. 2.500 Menschen schaffen in den modernen Flachdachgebäuden in der hügeligen Landschaft. Hier liegen die Glasfaserkabel schon seit zehn Jahren im Boden und sorgen für schnelles Internet.

Mit Maske: Mitarbeiter im Warenlager im baden-württembergischen Mulfingen Foto: EBM Papst

Das Unternehmen ist Weltmarktführer bei Ventilatoren, die bei Klimaanlagen oder Haushaltsgeräten zum Einsatz kommen. Aber auch bei Beatmungsgeräten, wie sie auf Intensivstationen gebraucht werden.

Kein Treffen im Werk

Ein Treffen in den Werkshallen lehnt Hannig schon Anfang letzter Woche ab. Auf das Werksgelände komme seit Ende Februar nur noch, wer wirklich muss. Und auch nur dann, wenn er schriftlich bestätigt, in den vergangenen Wochen nicht in einem Risikogebiet gewesen zu sein. Die eigenen Mitarbeiter sollen jeden Morgen ihre Temperatur messen und lieber einmal zu Hause bleiben, wenn das Thermometer über 38 Grad zeigt. Das sei in der Region mit seiner ­ziemlich ­rigiden schwäbischen Arbeitsmoral gar nicht so einfach durchzusetzen gewesen, sagt Hannig.

Inzwischen ist die Verwaltung von EBM-Papst längst ins Homeoffice abgewandert, die Stühle für die verbliebenen Mitarbeiter in der Kantine wurden auseinandergerückt. Die Kolleginnen und Kollegen in der Produktion werden von einem Fahrer mit Mundschutz im Werksbus zu den Montagehallen gefahren.

Business as unusual also, Weiterarbeiten im Krisenmodus. In Mulfingen läuft das schon etwas länger als in vielen anderen Unternehmen. Denn hier waren sie früh gewarnt.

Es war Mitte Januar, da hatte der Geschäftsführer von EBM-Papst-China, Thomas Nürnberger, in seinem Büro nahe Schanghai das erste Mal von einem Virus in der Provinz Hubai in Zentralchina gehört – eine rein lokale Nachricht, dachte er sich damals. Der 51-Jährige lebt seit 15 Jahren in China und glaubte die Situation einschätzen zu können. Doch in wenigen Tagen überschlugen sich die Ereignisse: Die chinesische Regierung stellte das Zentrum der Epidemie Wuhan – eine Metropole von 11 Millionen Menschen – unter Quarantäne.

Anstatt die Ferien in Kanada zu verbringen, fand sich Nürnberger am chinesischen Neujahrsfest in seiner Wohnung wieder: „Wir sind maximal zum Einkaufen von Lebensmitteln rausgegangen – mit Gesichtsmasken und Plastikhandschuhen. Alle waren wir verunsichert, weil ja selbst die Personen, die das Virus in sich trugen, davon nicht wussten“, sagt er. Damals hatte er die Zentrale in Mulfingen schon gewarnt, dass es Probleme geben könnte.

Weiter schaffen: Mitarbeiterin in der Produktion Foto: EBM Papst

Die Kommunistische Partei in China reagierte spät, startete dann aber entschlossen ein soziales Experiment von bisher nie da gewesenem Ausmaß: Im Kampf gegen das Virus legte sie die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt bis auf essenzielle Bereiche wie die Lebensmittelproduktion und den medizinischen Sektor lahm. Rund die Hälfte der 1,4 Milliarden Chinesen lebten in Quarantäne mit unterschiedlichen Auflagen. Fabrikarbeiter saßen aufgrund von Reisebeschränkungen über Wochen fernab ihrer Arbeitsplätze fest, Warencontainer blieben in den Häfen des Landes stecken. Fast sämtliche Geschäfte in den Städten wurden geschlossen, die Bevölkerung blieb in ihren eigenen vier Wänden.

„Das Schwierigste in der ganzen Zeit war, dass jede Stadt und jede Provinz, ja teilweise jeder Wohnkomplex seine eigenen Quarantäne-Regeln aufgestellt hat“, erinnert sich Nürnberger.

Bis Mitte Februar sei es nicht möglich gewesen, Waren über eine Stadtgrenze hinaus zu schicken. Teilweise verhinderten das schon die gesperrten Autobahnen. Ausnahmegenehmigungen hat EBM-Papst nur für seine Medizintechnik bekommen: So haben sie unter anderem Lüfter für Atemgeräte in die Krankenhäuser von Wuhan geliefert.

„Lieferketten-Tetris“ beginnt

„Bei uns ging zu dieser Zeit das Lieferketten-Tetris los“, sagt Hauke Hannig in Mulfingen. Wie kann das Unternehmen sicherstellen, dass die zur Produktion wichtigen Teile ins Werk nach China kommen und wie von dort wichtige Teile in den Werken in Europa ankommen? Ein Team aus Logistikern arbeitet unter Hochdruck. Das Unternehmen richtet bereichsübergreifende Arbeitsgruppen ein, die sich mit China eng abstimmen. Es gibt jetzt eine tägliche Telefonkonferenz mit allen Produktionsstandorten weltweit.

„Wir haben das Glück, dass die chinesischen Werke vor allem den asiatischen Markt beliefern“, sagt Hauke Hannig. Deshalb konnten die anderen Produktionsstandorte auf der Welt zu diesem Zeitpunkt noch wenig eingeschränkt von der Entwicklung in China weiterarbeiten. Doch ganz ohne China geht es nicht, so kommen Magnete und Rohleiterplatten aus Fernost. Normalerweise wird das Gros dieser Bauteile zwischen China und Deutschland mit Containerschiffen geliefert.

Seit der Virus-Epidemie setzt EBM-Papst wieder verstärkt auf die Bahn. Ein Expresszug vom zen­tral­chinesischen Xian bis nach Mannheim braucht nur mehr 13 Tage. Drei- bis viermal pro Woche schickt die Firma einen Container hin und her. Dazu kommt die Luftfracht, die sich in dieser Zeit allerdings um das Zehnfache verteuert hat. Insgesamt sind die Lieferkosten in der Corona-Krise um ein Vielfaches angestiegen.

Zunächst blieb das Werk in Schanghai nach den Neujahrsferien geschlossen. In der zweiten Februarwoche nahm es mit der Hälfte seiner Belegschaft die Produktion wieder auf. Die andere Hälfte stand zu diesem Zeitpunkt unter Quarantäne.

Wir haben das Glück, dass die chinesischen Werke vor allem den asiatischen Markt beliefern

Hauke Hannig, Pressesprecher

Nürnberger und sein Team haben ihre eigenen, umfassenden Corona-Richtlinien für die Werke in Schanghai, Xian und Suzhou entwickelt: Jeder der 2.200 Angestellten – ganz gleich ob Vorstand oder Fabrikarbeiter –, der aus einer anderen Provinz anreist, muss sich vor Arbeitsbeginn für 14 Tage unter Quarantäne begeben. Daran hat sich auch der Chef gehalten: „Ich habe seit dem 20. Januar den Bezirk Pudong in Schanghai nicht mehr verlassen“, sagt Nürnberger, „ich will einfach keine Mitarbeiter gefährden.“

Jeder aus der Belegschaft in China musste einen der drei Standorte wählen und in diesem Standort nur ein Gebäude, in dem er ausschließlich arbeiten durfte – dabei mussten alle eine Gesichtsmaske tragen. Die Produktionsgebäude wurden ebenfalls in Zonen mit fünf Metern Abstand definiert. In den Kantinen hat das Personal zwischen jedem Platz zwei Stühle herausgenommen, um einen sicheren Abstand zu wahren. Die drastischen Social-Distancing-Maßnahmen haben auch damit zu tun, dass die chinesische Regierung die Verantwortung zu großen Teilen an den Privatsektor abgeschoben hat. Wenn sich ein Infektionsstrang in einem Werk von EBM-Papst ausbreitet hätte, dann hätte die Firma genauestens nachweisen müssen, dass sie nicht gegen Quarantäne-Regeln verstoßen hat. Bislang, und darauf ist Nürnberger stolz, sei das Unternehmen in China ohne Coronavirus-Fall durch die Krise gekommen.

Die täglichen Telefonkonferenzen der Zentrale in Mulfingen mit dem Rest der EBM-Papst-Welt haben sich inzwischen verändert. Längst ist das Virus in Europa angekommen. Die Zahlen steigen beängstigend schnell. In den Telefoncalls geht es längst nicht mehr nur um Lieferketten. China-Chef Thomas Nürnberger wird zum Berater der anderen Standorte in Quarantäne- und Hygienefragen. Man solle die Abteilungen möglichst voneinander isolieren, rät er. Auch in der Kantine solle lieber abteilungsweise gegessen werden.

Längst sind alle Dienstreisen der Mitarbeiter gestoppt. Auch in der Zentrale in Mulfingen gibt es jetzt keine Konferenzen mehr, in denen mehr als zehn Leute um einen Tisch saßen. Das regelmäßige Meeting mit dem Werk im Nachbarort wird über den Computer absolviert. Die Vorbereitungen für Homeoffice laufen auf Hochtouren. Mit all diesen in China erprobten Maßnahmen konnte die Produktion auch im Werk in der Lombardei aufrechterhalten werden, selbst als sich die Region zum ersten Corona-Brennpunkt in Europa entwickelte. Auch in Italien hat EBM-Papst bisher keine Krankheitsfälle zu vermelden.

Anfangs haben wir Masken aus Deutschland geliefert bekommen. Jetzt versuchen wir umgekehrt Masken aus China nach Deutschland zu schicken

Thomas Nürnberger, Geschäftsführer

Jetzt Mitte März scheint China das schlimmste überstanden zu haben. Thomas Nürnberger in Schanghai blickt mit Erstaunen auf die Entwicklungen in Europa, in der sich zu wiederholen scheint, was China fürs Erste überstanden haben könnte. „In der Anfangsphase des Ausbruchs haben wir Masken aus Deutschland geliefert bekommen. Jetzt versuchen wir umgekehrt Masken aus China nach Deutschland zu schicken“, sagt er.

Am Montag veröffentlichte das Statistikamt in Peking die verheerenden Wirtschaftszahlen für das erste Quartal 2020: Um über 20,5 Prozent ist der Umsatz im Einzelhandel eingebrochen, bei Anlageinvestitionen sind es fast 25 Prozent. Das bisherige Wirtschaftswachstum in China wurde vom Virus fürs Erste vernichtet. Die noch am optimistischsten stimmende Zahl: Die Industrieproduktion ist mit einem Rückgang von 13,5 Prozent vergleichsweise gut weggekommen.

Im Vergleich zu anderen Branchen – etwa der Autoindustrie – ist EBM-Papst bisher glimpflich durch die Krise gekommen. Es kam nur zu einer etwa zehntägigen Betriebsunterbrechung in China, Lieferverzögerungen von über einer Woche blieben die Ausnahme. Bei Raumlüftern etwa ist die Anfrage gar durch die Krise gestiegen. „Wir haben im Februar mehr Umsatz gemacht, als es unser vor einem Jahr erstellter Plan vorsieht“, sagt Nürnberger. Als Krisengewinner möchte er sich jedoch nicht bezeichnen.

Die Produktion nicht gedrosselt

Heute in Krisenwoche zehn seit dem Ausbruch in Wuhan kann Hannig vermelden, dass EBM-Papst die Produktion bisher noch nicht drosseln musste. Rückstände während der Werksschließungen in China konnten wieder aufgeholt werden. Kluge Lagerhaltung hilft weiterhin Lieferengpässe zu überbrücken. Aber über das Betriebsergebnis für 2020 will der Unternehmenssprecher, jetzt wo der Höhepunkt der Krise in Europa und den USA noch bevorsteht, nicht spekulieren. Es gehe darum, den Betrieb überhaupt am Laufen zu halten.

Jetzt hofft Hannig erst einmal, dass die beiden in Mulfingen positiv getesteten Mitarbeiter bald wieder gesund sind. Sie standen immerhin schon vor ihrer Erkrankung wegen Kontakten zu Österreich-Urlaubern unter Quarantäne. Das zeigt: Die Maßnahmen greifen, jedenfalls bisher. Auch in China sei die Gefahr noch nicht vorüber, sagt Thomas Nürnberger in Schanghai: „Wirklichen Normalbetrieb werden wir eigentlich erst wieder haben, wenn ein Impfstoff da ist“.

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