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Maßnahmen für EU-WirtschaftDeutschland muss ran

Sind die EU-Staaten finanziell stark genug, um die Corona-Krise zu meistern? Möglich ist, dass Deutschland andere Länder mit absichern muss.

In Spanien macht Ikea derzeit null Umsatz Foto: Bernat Armangue/ap

BERLIN taz | Der DAX brach am Montag um 5 Prozent ein, mal wieder. Am Dienstag wieder eine leichte Erholung auf dem Ritt nach unten. Was sonst ein Crash wäre, ist das neue Normal. Die Finanzmärkte preisen die allgemeinen Erwartungen ein: ein Absturz der Realwirtschaft. Am Montag rief mit den drei Luftfahrt-Bündnissen Star Alliance, Skyteam und Oneworld die erste globale Branche nach Staatshilfen, viele stellten den Flugverkehr ein. Nun verkündet VW, die Produktion auszusetzen.

Zuvor senkte die US-Notenbank Fed die Zinsen fast auf null und koordinierte sich mit der Europäischen Zentralbank und den Notenbanken Kanadas, Großbritanniens, Japans und der Schweiz wie schon während der Weltfinanzkrise 2008. Am Freitag vergangener Woche hatten Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) angekündigt, die Wirtschaft mit Krediten in unbegrenzter Höhe stützen zu wollen. Italien will seine Hilfen von 25 Milliarden Euro aufstocken, Frankreich hat ein Paket von 45 Milliarden Euro für seine Unternehmen angekündigt. Die EU-Staaten stützen ihre Wirtschaft also primär auf nationaler Ebene.

“Liquiditätshilfen“ ist das Wort der Stunde. Was im Prinzip heißt, dass Staaten die Rolle von Banken übernehmen und dafür sorgen, dass Unternehmen flüssig, also liquide bleiben, Rechnungen bezahlen können und später nahtlos den Betrieb wiederaufnehmen können. Doch viele Banken strauchelten bereits vor der Krise und sind in Europa kaum in der Lage, das Risiko zu tragen, selbst gesunden Unternehmen Kredite zur Krisenfinanzierung zu geben.

Was bleibt, sind Staaten. Doch die stehen in der EU finanziell sehr unterschiedlich da. Die Folge ist, dass Italien derzeit Zinsen zahlen muss, wenn es sich Geld leiht, um seine Hilfen zu ermöglichen. Deutschland dagegen gilt als so sicher, dass Investoren dem Land eine Prämie dafür zahlen, wenn sie ihm Geld leihen dürfen. Die Frage ist, ob es deshalb europäische Lösungen geben muss, um die Wirtschaft zu sichern. Sonst retten überschuldete Staaten überschuldete Banken in einer überschuldeten Wirtschaft. Ein Teufelskreis, der zu einer Krise der gesamten Währung führen könnte.

Der ESM soll einspringen

Ein positiver Effekt der vergangenen Krise ist, dass es bereits Institutionen gibt, die gemeinsame Finanzhilfen in die Wege leiten können. Der ESM, der Europäische Stabilitätsmechanismus mit Sitz in Luxemburg, ist eine solche. Er kann zahlungsunfähige Eurostaaten mit Krediten stützen, im Gegenzug müssen Sparmaßnahmen versprochen werden. „Die Zinssätze für Italien gehen hoch, dagegen sollte man das Land jetzt absichern“, sagt deshalb der grüne Finanzexperte Sven Giegold. Er fordert, ESM-Kredite ohne komplizierte Sparauflagen zu gewähren. Schon allein die Ankündigung könnte dafür sorgen, dass Länder wie Italien auch am freien Markt günstiger an Geld kommen.

Weil der ESM von allen Euro-Staaten finanziert wird, hieße das nichts anderes als: Der Euroraum handelt gemeinsam gegen die Krise, auch finanziell. Das wäre vor allem ein politisches Signal, denn derzeit hat Italien noch keine Probleme, sich Geld zur Krisenbekämpfung zu leihen. Das aber könnte sich mittelfristig ändern. Auch der Ökonom Markus Brunnermeier von der Princeton University stützt die Forderung, den ESM entsprechend einzusetzen, und fordert europäische Solidarität. “Wenn sie nicht kommt, werden sich die Bürger fragen, ob wir Europa wirklich brauchen, wenn die EU in einer solchen Krise die Auswirkungen nicht abfedert“, schreibt er der taz.

Das würde auch nicht zu Anreizverzerrungen führen. Während der Eurokrise herrschte bei der Bundesregierung die Meinung vor, wenn Länder wie Italien schlampig haushalten, dürfte man ihnen danach nicht die Schulden abnehmen. Solche falschen Anreize würden nur erneut zu schlechtem Haushalten führen. Brunnermeier hält das Argument nun für überholt: Die Coronavirus-Krise habe niemand durch schlechte Haushaltsführung verschuldet.

Der Ökonom Peter Bofinger geht sogar noch einen Schritt weiter. Er fordert, die EU sollte zur Bekämpfung der Krise gemeinsame Anleihen ausgeben. Also als Gemeinschaft kollektiv Schulden aufnehmen, in Form einer Corona-Anleihe. Während der Eurokrise ist das bereits unter dem Stichwort Eurobonds diskutiert worden, fand aber nie eine Mehrheit. „Viele argumentierten damals, gemeinsame Anleihen würden Schlendrian und Reformmüdigkeit belohnen“, sagte Bofinger er taz. Das sei aber nun obsolet. „Es wäre vollkommen gerechtfertigt, die Risiken jetzt gemeinsam abzusichern“, sagte er.

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5 Kommentare

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  • Danke Herr Arzt!

    "Gestern": ca. 9 Mio. Hungerstote pro Jahr, weltweit. Millionen Tote durch leicht heilbare Krankheiten weltweit. Interessiert außer Jean Ziegler nur Wenige.

    Heute: Corona-Virus. Bei uns.

    "Alle denken immer nur an sich, nur ich nicht, ich denke an mich."

    Aber: Solidarität ist möglich und wünschenswert.

  • Versteh ich jetzt nicht als Nicht-Volksökonomin, wo das Problem mit dem Geld liegt: die EU soll einfach mal die Druckpressen anwerfen und 3-Schichten fahren bzw. elektronisch geht das Giralgeld doch noch schneller und es den Firmen überweisen (nach bestimmten Kriterien unterschiedliche Beträge). Der sogenannte "freie Finanzmarkt" kann sich seine Gelder sonstwohin stecken, wenn sie z.B. von Italien Zinsen verlangen, wenn sich dieser Staat 100 Milliarden EUR besorgen will.

  • Das, was Ingo Arzt beschreibt im Text, ist m. E. eine Darstellung dessen.... wie das menschliche Sein nahezu hoffnungslos instrumentalisiert ist... als ein Werkzeug des Industriealismus, der Ideologien der Boersen, des Profits, des ueberdrehten Konsums von umweltbelastenden 'Schrott'! Konsum als Freiheits*Ideal der wildgewordenen, der entfesselten Oekonomie!



    Das tueckische, lebensbedrohende Corona Virus, das die Gesundheit Aller Menschen mit Angst erfuellt... erzeugt in den Ideologen der Profitoekonomie des Industriealismus apokalyptische Panik!



    Erfreulich ist, dass die "Humanistische Grundsubstanz" der Moderne' der Profitoekonomie Grenzen setzt : das SOZIALE Gesundheitssystem erzwingt, durch Quarantaene und Begrenzung des Konsums und der Bewegungsfreiheit eine Bremsung der Ausbreitung des Virus. Die bisherige oekonomisch/ideologische Determinierung des menschlichen SEINs (die Instrumentalisierung..) ist gestoppt. Die eingetretene Stille erlaubt (hoffentlich!) Selbstreflektion... ein 'hin zu mehr oekologisch, globalvertraeglicher' oekonomischer Kultur und ein 'weg' vom Menschen als oekonomisch instrumentalisiertem Kyborg? JA zu "Fridays for Future".. und "JA" zu 'demilitarisierter' Oekonomie?

  • Grausig mit anzusehen, dass jetzt die alten Mittel schmackhaft gemacht werden sollen.

    Es geht nicht darum, wer was wie verschuldet hat. Es geht alleine darum, dass es keine Querfinanzierung (sagen wir mal eine Art EU Länderfinanzausgleich) geben darf, ganz egal wie diese aussieht.

    Das Problem an der jetzigen Krise ist, dass die möglichen Mittel durch die letze vollkommen ausgereizt sind, Staatsanleihenkäufe und Nullzinspolitik. Wenn das nicht ausreichen sollte, dann sollte man einzelne Länder ausscheiden lassen oder die gemeinsame Währung abwickeln - ganz egal, was die Ursache ist.

  • Jetzt warte ich auf alle Mini-Luckes (die ja bekanntlich die Wegbereiter der Mini-Höckes sind): "wir haben was geleistet, wir wollen es uns nicht von 'denen da unten', die nur feiern und Wein trinken..." undso weiter und so fort.

    Zitiere den Artikel:

    "Während der Eurokrise herrschte bei der Bundesregierung die Meinung vor, wenn Länder wie Italien schlampig haushalten [...]"

    Genau diese "Meinung". Sie ist krank, sie ist falsch und sie führt die EU ad absurdum. Den Schäubles ist nicht ganz klar, welchen Anteil sie an den Luckes und später an den Höckes haben.