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Das Nachbeben von Thüringen bleibt aus

Erst im dritten Wahlgang wird Bodo Ramelow von der Linken zum Minister­präsidenten gewählt. Gegenkandidat in den ersten Wahlgängen ist AfD-Landeschef Björn Höcke

Der Krimi von Thüringen ist beendet: Diese Episode zeigt Bodo Ramelow (M.) und Landes­­chefin Susanne Hennig-Wellsow (r.) nach dem ersten Wahlgang Foto: Martin Schutt/dpa

Aus Erfurt Sabine am Orde und Michael Bartsch

Im Thüringer Landtag ist an diesem Mittwochmittag vieles wie vier Wochen zuvor, als zum ersten Mal in dieser Legislaturperiode die Wahl des Ministerpräsidenten auf der Tagesordnung stand. Rot-Rot-Grün will regieren, obwohl das Bündnis keine Mehrheit hat. Vier Stimmen fehlen, man hofft auf die CDU. Linkspartei, SPD und Grüne schicken gemeinsam den Linken Bodo Ramelow ins Rennen. Gegen ihn tritt ein Mann von der AfD an. Und: Die Spannung im Plenarsaal ist mit den Händen zu greifen.

Doch es ist auch alles anders seit dem 5. Februar, als FDP-Mann Thomas Kemmerich nicht nur mit den Stimmen von FDP und CDU, sondern auch mit denen der AfD zum Thüringer Ministerpräsidenten gewählt wurde. Ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik, viele sagen: ein Dammbruch. Die Wahl hat ein politisches Beben ausgelöst, nicht nur in Thüringen.

Kemmerich trat zurück, er ist nur noch geschäftsführend im Amt. Die CDU, die Neuwahlen unbedingt verhindern will, hat mit Rot-Rot-Grün einen „Stabilitätsmechanismus“ ausgehandelt, das Protokoll ist am Morgen um neun Uhr im Landtag unterzeichnet worden. Die Vereinbarung, die mit Rücksicht auf die CDU nicht „Tolerierung“ heißen darf, soll bis kommenden April halten. Dann sollen die ThüringerInnen den Landtag neu ­wählen.

Auch anders als vor vier Wochen: Für die AfD tritt nicht irgendein Strohmann, sondern Landes- und Fraktionschef Björn Höcke an. Mehr rechts außen geht in der AfD kaum.

Es ist Viertel nach zwei, als Landtagspräsidentin Birgit Keller die Wahl eröffnet, an deren Ende nach zwei Stunden Bodo Ramelow wieder Thüringer Ministerpräsident sein wird. Zuvor hat Keller der Opfer des rechtsextremen und rassistischen Anschlags gedacht und gemahnt: „Rechtsextremismus und Fremdenhass haben in unserer Gesellschaft keinen Platz.“ Dann bittet sie die Abgeordneten, sich für einen Moment der Stille zu erheben.

Als Keller danach den ersten Wahlgang aufruft, bleiben die FDPler sitzen. Das ist überraschend, da sie angekündigt hatten, bei der Wahl den Plenarsaal zu verlassen. Dafür aber hatten sie scharfe Kritik kassiert. Doch sie stimmen nicht ab.

Die CDU, die in Thüringen, aber auch seitens der Bundespartei unter starkem Druck steht, hatte bereits vor der Sitzung mittels Presseerklärung kundgetan, wie die Fraktion sich zu verhalten gedenkt: mit Enthaltung. Die hat der neue Fraktionschef Mario Voigt seinen Abgeordneten empfohlen, bei einer Probeabstimmung haben sich alle Anwesenden daran gehalten. „Wir werden uns an die parlamentarischen Verhaltensregeln halten, damit auch in einem Landtag ohne Regierungsmehrheit die politische Stabilität gewahrt wird und zentrale Aufgaben erledigt werden können“, so Voigt.

Als Keller dann wenig später das Ergebnis des ersten Wahlgangs verkündet, wird deutlich: Die CDU hat sich an ihre Absprache gehalten. Es gibt genau 21 Enthaltungen. Klar war das nicht, Geschlossenheit war zuletzt nicht unbedingt die Kernkompetenz der Thüringer Christdemokraten. Ramelow erhält 42 Stimmen, das sind die von Rot-Rot-Grün; Höcke 22, was den Sitzen seiner Partei entspricht. Die Linke beantragt eine Unterbrechung.

Ramelow hatte am Morgen für diesen Ausgang des ersten Wahlgangs vorgebaut. Der Linke, der zuletzt immer darauf gepocht hatte, im ersten Wahlgang – also mit vier Stimmen der CDU – gewählt zu werden, rückte davon ab. „Ich habe mich gestern mit dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Mario Voigt ausgetauscht und ihm mitgeteilt, dass ich erforderlichenfalls in allen drei Wahlgängen antreten werde“, sagte Ramelow dem Spiegel. Es sei nicht der Tag für „parteipolitische Prinzipienreiterei, sondern der erste Tag, an dem wieder verlässlich regiert werden kann in Thüringen“. Er bitte deshalb die CDU um konsequente Enthaltung.

Der zweite Wahlgang bringt haargenau das gleiche Ergebnis. Keine ausreichende Mehrheit für Ramelow, schon gar nicht für Höcke. Jetzt ist es die AfD, die eine Sitzungspause beantragt. Von draußen hört man Trillerpfeifen von DemonstrantInnen.

Kemmerichs Blumenstrauß nimmt Ramelow an. Als Höcke an der Reihe ist, verweigert er diesem den Handschlag

Die Linke geht einigermaßen gelassen in die Sitzungspause. „Es läuft alles bislang nach Plan A“, sagt André Blechschmidt, ihr parlamentarischer Geschäftsführer, als er den Plenarsaal verlässt „Die AfD hat im dritten Wahlgang keinen Spielraum mehr, sie wird nicht mehr gebraucht.“ Denn im dritten Wahlgang ist keine absolute Mehrheit mehr vonnöten. Laut Landesverfassung ist gewählt, wer „die meisten Stimmen“ erhält. Dafür dürften, so die Einschätzung, die 42 Stimmen von Rot-Rot-Grün reichen.

Als Keller den dritten Wahlgang aufruft, verkündet die AfD, dass Höcke nicht wieder antrete. Torben Braga, der parlamentarische Geschäftsführer, spricht dabei so leise, dass man es kaum versteht. Glaubwürdiger macht das die vorherige Kandidatur nicht. Um 16.14 Uhr aber ist klar: Bodo Ramelow ist als Ministerpräsident erneut gewählt. Mit den Stimmen von Rot-Rot-Grün und bei deutlich mehr Ja- als Neinstimmen, was verfassungsrechtlich von Bedeutung sein könnte.

Nach der Vereidigung stellen sich die Abgeordneten zum Beglückwünschen an. Kemmerichs Blumenstrauß nimmt Ramelow an. Als aber Höcke an der Reihe ist, verweigert Ramelow diesem den Handschlag. Applaus brandet auf – bei den Linken und auch auf der Besuchertribüne. Höcke redet intensiv auf Ramelow ein und bleibt viel länger vor diesem stehen, als das in dieser Situation angemessen erscheint.

Als Ramelow in seiner Antrittsrede auf die Verweigerung des Handschlags zu sprechen kommt, gibt es Zwischenrufe aus den Reihen der AfD „Das ist anstandlos“, brüllt einer. Da geht Ramelow die AfD an. Diese habe in jede Kamera gesagt, man habe Kemmerich bei der Wahl eine Falle gestellt. „Wer so über die Wahl eines Verfassungsorgans spricht, der hat was zu klären“, sagt Ramelow. Wenn bei der AfD die Demokratie im Vordergrund stehe, dann sei er auch bereit, Höcke die Hand zu geben. Dann dankt er allen Demokraten, die CDU-Fraktion wird extra erwähnt. Gemeinsam werde man darauf hinarbeiten, dass es im Landtag keine „destruktiven Mehrheiten“ gebe und man sich „von einer Fraktion, die Fallen stellt und Leimruten legt“ nicht treiben lasse. Am Mittwoch hat das ganz gut geklappt.

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