piwik no script img

Gesetzentwurf zur GrundrenteZu wenig für zu wenige

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Ganze 75 Euro würden arme Rentner mehr bekommen im Monat. Die Fehler der Vergangenheit korrigiert das nicht.

Zu wenig Geld für viele Rentner Foto: Jens Wolf/dpa

E s ist eine Binsenweisheit: Jede Grundrente ist besser als keine Grundrente. Daher kann die Große Koalition auch kleine Verbesserungen als bedeutsamen Fortschritt verkaufen. Doch nüchtern betrachtet ist nicht viel passiert. Etwa 1,3 Millionen arme Rentner werden ab 2021 pro Monat durchschnittlich 75 Euro zusätzlich erhalten. Das ist fast nichts. Zudem haben die jahrelangen Diskussionen über die Grundrente den Blick aufs Wesentliche verstellt:

Wie kann es eigentlich sein, dass im reichen Deutschland so viele Rentner arm sind? Diese Debatte wird kaum geführt, stattdessen lieber auf die Demografie verwiesen. Es wird suggeriert, dass Deutschland „vergreisen“ würde und die Renten zwangsweise niedrig sein müssten. Nach dem Motto: Wie sollen die wenigen Jugendlichen denn die vielen Alten finanzieren?! Der Topos von der „Vergreisung“ hat sich derart ins öffentliche Bewusstsein gefressen, dass gar nicht mehr auffällt, dass es diese „Überalterung“ bisher nicht gab:

Momentan arbeiten so viele Menschen wie noch nie. Der große Schwung der Rentner kommt erst noch. Diese Zukunft kann aber nicht erklären, warum die Alten schon in der Gegenwart darben. Die Armut der Rentner spiegelt die schweren Fehler der Vergangenheit wider. Vor allem von Rot-Grün. Denn die Schröder-Regierung hat alles getan, um die Rentenkassen in eine Krise zu stürzen. Der erste Fehler: Es wurde systematisch dafür gesorgt, dass die Löhne kaum steigen konnten.

Ob Hartz IV, Leiharbeit, vereinfachte Befristung, Minijobs als Nebenerwerb oder ein Mindestlohn, der viel zu niedrig ist: Wenn die Gehälter dümpeln, dann legen auch die Rentenbeiträge nicht zu. Das ist pure Logik. Genauso wahnsinnig war es, die private Riester-Rente einzuführen. Diese Gelder fehlen jetzt in der gesetzlichen Rentenversicherung – und die Arbeitgeber müssen nichts dazu beitragen. Solange diese Fehler nicht behoben sind, werden viele Rentner weiter darben. Die Grundrente hilft nur wenigen – und zu wenig.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Hervorragend zusammengefasst. Rot-Grün hat ohne jede Not die Löhne und die Renten gekürzt, und Schwarz-Gelb und Schwarz-Rot haben den Kurs einfach weitergefahren. Kurzfristige Profiteure sind die Unternehmen, Verlierer sind alle. “Wie kann es eigentlich sein, dass im reichen Deutschland so viele Rentner arm sind? Diese Debatte wird kaum geführt, stattdessen lieber auf die Demografie verwiesen. Es wird suggeriert, dass Deutschland „vergreisen“ würde und die Renten zwangsweise niedrig sein müssten. Nach dem Motto: Wie sollen die wenigen Jugendlichen denn die vielen Alten finanzieren?! Der Topos von der „Vergreisung“ hat sich derart ins öffentliche Bewusstsein gefressen, dass gar nicht mehr auffällt, dass es diese „Überalterung“ bisher nicht gab.” Genau so ist es. Die Ausgaben für die Renten, als Anteil am Bruttosozialprodukt, sind ja sogar gesunken trotz tatsächlich gestiegener Anzahl an Rentnern, und die Ausgaben für die Rente liegen ca. 1 Prozentpunkt unter dem Durchschnitt aller EU-Staaten. Mit Zahlen und Fakten hat die ganze Diskussion gerade nichts zu tun.Quelle Nachdenkseiten

  • Frau Herrmann kritisiert zu Recht Fehler in der Vergangenheit, nur kritisiert sie hierbei die falschen Fehler.

    Der größte Fehler ist der angebliche Generationenvertrag. Hätten wir eine kapitalgedeckte Rentenversicherung mittels Staatsfonds, wäre alles halb so wild.

    Fehler Nr. 2: Griff in die Rentenkasse zur Aufbesserung der Staatsfinanzen

    Fehler Nr. 3: Ungedeckte Kostenbelastungen (Einheit, Mütterrente).

    Ein Prosit auf die beruflichen Versorgungswerke.

    • @DiMa:

      Lieber Dima, was bei einer kapitalgedeckten Rente passiert, können Sie in Chile bewundern, oder in Griechenland. Die kapitalgedeckte Rente ist immer schlechter als der "Generationenvertrag", da hier 15% Kosten anfallen (Vertreter, Verwaltung, Aktionäre) und dort nicht mal 1%. Noch eins: es hat Frau Schmidt aus Aachen nur einen Federstrich gekostet, den in eine Kapitalversicherung einzahlenden Leutchen 20% ihres Angesparten wegzunehmen: Stichwort Zahlung Arbeitgeber und Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung bei Kapitalrenten, die formal über den Arbeitgeber laufen.

  • "Ob Hartz IV, Leiharbeit, vereinfachte Befristung, Minijobs als Nebenerwerb oder ein Mindestlohn (...)":

    bitte nicht vergessen: dazu noch viele Selbständige und Freiberufler die 35 Jahre und mehr gearbeitet aber nicht in die Rentenkasse eingezahlt haben. Und da reden wir nicht von Anwälten und Ärzten, sondern vom kleinen Handwerker, Kneipenwirt, Gemüsehändler und Kioskbetreiber, etc.

  • Das Kriterium für die Auszahlung der Grundrente ist nicht Armut, sondern 35 Beitragsjahre. Die Allermeisten von altersarmut Betroffenen sind aber genau deswegen arm, weil sie eben nicht lange genug in die Rente eingezahlt haben.

    Der Anteil der auf Grundsicherung angewiesenen Rentner, die auf 35 Beitragsjahre kommen liegt meines Wissens bei 2%.

    Kurzum: Die Grundrente tut nichts für arme Rentner, weil das von vor herein nicht ihr Zweck war.

  • Der Fehler liegt im Sammelbegriff Arbeitgeber. Die Minijobber, Mindestlohnverdiener etc. sind alle in Klein und Kleinstbetrieben beschäftigt.Da wird schlicht das Geld nicht generiert. Aber bevor das zwischen den Ohren ankommt, fließt eher der Rhein rückwärts.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Reinhard Roller:

      Unser Mann für das Skurrile ...

      Sie werden gebraucht. Bei den Beiträgen über Musk und Bezos. Ich denke, da wird "das Geld generiert".

      Bei manch einem wäre es klüger, wenn statt "generiert" sich "geniert" würde.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Die neueste Mogelpackung aus dem Mutterland des Zockens. Entfesselte Taschenspielertricks der professionellen Hütchenspieler. Ein ums andere Mal: Widerlich. Einfach nur widerlich.

    Selbst Wut und Zorn lohnen da nicht.