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Nordrhein-Westfalen kürzt bei Hartz IVHärte gegen Bedürftige

Arbeitsminister Laumann (CDU) will Hartz-IV-Empfängern bei Sanktionen komplett das Geld streichen. Kritischen Initiativen dreht er den Hahn zu.

Hart bei Hartz: NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) Foto: dpa

Bochum taz | Nordrhein-Westfalens CDU-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann will Hartz-IV-Empfängern, die sich nicht den Anweisungen von Arbeitsagenturen und Jobcentern beugen, die Unterstützung komplett streichen – trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom November, das Kürzungen von maximal 30 Prozent für menschenwürdig hält.

„Wenn eine verweigerte Mitwirkung keine Folgen hat, läuft das System leer“, tönte Laumann, der auch Vorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) ist, Anfang Februar in Düsseldorf. Er will der Arbeitsverwaltung deshalb erneut die Möglichkeit geben, die sowieso schon geringen Hartz-IV-Sätze von 432 Euro nicht nur auf 302 Euro zusammenzustreichen – sondern auf null.

Ein Ärgernis dürften für den Minister deshalb die 79 selbstverwalteten Arbeitslosenzentren in Nordrhein-Westfalen sein. Denn diese bieten Menschen, denen ohne Job und Geld die soziale Isolation droht, nicht nur bezahlbare Treffpunkte wie Cafés: Im Kampf gegen fehlerhafte Bescheide von Arbeitsagenturen und Jobcentern helfen sie Arbeitssuchenden auch mit qualifizierter Beratung durch oft ehrenamtlich arbeitende Ju­ris­t*innen, Sozialarbeiter*innen und Ak­ti­vist*innen.

Geht es nach Laumann, soll damit Ende des Jahres Schluss sein. Bisher erhalten die Arbeitslosenzentren, die oft aus Selbsthilfe-Initiativen entstanden sind, eine Landesförderung von 1,2 Millionen Euro. Ab Januar 2021 aber soll das Geld stattdessen an die zusätzlich bestehenden 73 Erwerbslosenberatungsstellen gehen, die bisher schon mit 5,6 Millionen Euro unterstützt wurden und deren Schwerpunkt auf Qualifizierung und Jobsuche liegt.

Diese Beratungsstellen sollen nicht nur die Aufgabe der Zentren übernehmen, Treffpunkte für Arbeitssuchende zu bieten – sondern auch noch Menschen helfen, die in prekären, mies bezahlten Jobs, etwa in der Fleischindustrie oder bei Paketversanddiensten, ausgebeutet werden.

Allerdings sind die Träger der Erwerbslosenberatungsstellen oft auch in der Beschäftigungsförderung aktiv. Damit sind sie finanziell eng mit der staatlichen Arbeitsverwaltung verwoben – also den Arbeitsagenturen und Jobcentern, die nach Laumanns Willen Arbeitssuchende bald wieder zu 100 Prozent „sanktionieren“ sollen.

Bundesweit bekanntes Engagement

„Ziel ist die Zerschlagung von behördenunabhängigen Beratungsstrukturen“, kritisiert deshalb Harald Thomé vom Wuppertaler Arbeitslosen­zen­trum Tacheles, das durch sein Engagement für die Rechte von Hartz-IV-Em­pfän­ger*innen bundesweit bekannt ist.

„Das NRW-Arbeitsministerium zerstört Hilfsangebote, die Arbeitssuchende jahrzehntelang unterstützt haben“, sagt auch Christian Woltering, Landesgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. „Arbeitslosenzentren wie das Tacheles sind natürlich politisch unbequem“, erklärt Woltering.

Immer wieder wird das Tacheles sozialpolitisch aktiv, schreibt Fachstellungnahmen, wird zu Anhörungen eingeladen, beteiligt sich an Gesetzgebungsverfahren. Beim Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht war Harald Thomé als Sachverständiger dabei – und lieferte auf Grundlage einer Onlinebefragung von über 21.000 Menschen eine 80-seitige Expertise.

Diese zeigte, wie bedrohlich die Sanktionen des Hartz-Regimes wirken: Betroffene klagten nicht nur über Energiearmut durch abgeschalteten Strom. „Wer Hilfsbedürftige auf null sanktioniert, schickt sie in die existenzielle Armut bis hin zur Obdachlosigkeit“, konkretisiert Christian Woltering vom Paritätischen. „Die von Arbeitsminister Laumann geforderten harten Sanktionen gegen Hartz-IV-­Em­pfän­ge­r*innen lehnen wir völlig und strikt ab.“

40 Prozent aller Klage erfolgreich

Allein im Tacheles suchen täglich rund 20 Menschen Hilfe bei Anträgen und Widersprüchen. Die handele „in hohem Maße rechtswidrig“, sagt Thomé – 2019 seien selbst laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit 34 Prozent aller Widersprüche und 40 Prozent aller Klagen gegen Hartz-IV-Entscheidungen erfolgreich gewesen. Umso wichtiger sei unabhängige Beratung, so Thomé.

Gegen die Kürzungspläne will das Tacheles Protest organisieren – und bekommt Unterstützung von Grünen und Sozialdemokraten. Mehrdad Mostofizadeh, arbeitspolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, warnt bereits vor einem „so­zia­len Kahlschlag“, SPD-Fraktionsvize Lisa-Kristin Kapteinat vor dem Ende der „flächendeckenden Beratung“.

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15 Kommentare

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  • Naja, dass CDU/CSU ein bedenkliches Verhältnis zur Verfassung und Justiz haben, ist schon länger klar. Es wird jedoch immer offensichtlicher, dass sie sich im Grunde garnicht rechtmäßig verhalten wollen, wenn es um ihre neoliberale Ideologie geht. Spendenaffairen, Maut und diese Position zu H-IV zeigen einfach ein desaströses Demokratie- und Rechtsverständnis fast auf AfD-Niveau.

  • Bei dem Herrn Laumann `piepts´ wohl?

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Unsozialpolitik à la CDU.

    Nicht-Betroffene dürfen Herrn Laumann (schöner Name) dankbar sein. Er gibt einen Vorgeschmack darauf, was unter einem Kanzler Merz zu erwarten ist: Forcierung der Umverteilung von unten nach oben.

    Ich wünsche den Grünen in diesen Tagen ein hohes Maß an Achtsamkeit. Damit sie frühzeitig erkennen können, mit wem sie sich ggf. ins politische Bettchen legen.

    Glückauf, HB & Friends! Manchmal dauern Lernprozesse etwas länger. Hauptsache, sie finden statt.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Laumann agiert unter Laschet, den sie uns als 'soziale Alternative' zu Merz kredenzen werden.

  • Karl Josef Laumann ist bestimmt ein heimlicher Unterstützer der AFD.

    Wie dämlich muss man sein, um die sozialen Verhältnisse für die Abgehängten noch schlimmer zu machen??!!

    Im Osten werden jetzt Arbeitslose, die kein Auto besitzen mit Bussen in den Westen gekarrt, um zu putzen. Taz, könnt ihr mal recherchieren dazu?

    Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde die braune Gefahr absolut schwächen, da bin ich sicher. Aber mit solchen Vorstößen, die immer noch die Ärmsten in Deutschland treffen, stärkt man sie.

    Wen wundert es, dass das Vertrauen in die angebliche politische "MITTE" weg ist? Die angebliche Mitte diskriminiert, beschränkt Grundrechte und spaltet.

    Juchuh! Die CDU schafft sich ab!!

  • Das die CDU kein schlechtes Gewissen hat, glaube ich. Vom Mindesten zum Leben noch 130 abzuziehen macht Hunger. Richtig wäre den Harzern 500 Monat zu zahlen, was nur die Linkspartei durchsetzen kann. Vielleicht sollten wir dafür den Spitzensteuersatz auf internationalen Durchschnitt hochsetzen.

  • Da kann man Laumann doch nur wünschen das er mal Leistungsempfänger wird (OK ist er ja schon), und jeden noch so schlimmen Job annehmen muss...

  • Da freut sich die AfD. Nicht, dass sie das anders machen würde. Aber das kapieren die Unzufriedenen sowieso erst zu spät.

  • taz-Zitat: “(...) Wenn eine verweigerte Mitwirkung keine Folgen hat, läuft das System leer“, tönte Laumann, der auch Vorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) ist, Anfang Februar in Düsseldorf. (...)“



    Ich stelle mir gerade vor, was dann wohl in Hartz IV-Hochburgen, z.B. Gelsenkirchen, los ist wenn die Laumann'schen Pläne so kommen sollten. Wie hoch werden wohl die gegenübergestellten Folgekosten sein die sich daraus ergeben werden? Mit einem “System das (diesbezüglich) leer läuft“ fährt die Bundesrepublik vielleicht am Ende besser als mit den Laumann-Plänen. Und ja, auch hieran zeigt sich deutlich wie unchristlich die Union hierzulande tickt!

  • Teil 1:



    Da wird einmal mehr deutlich wie 'christlich' die sog. unions-christen tatsächlich sind.



    In ihren gläubigen augen ist ein gekürzter hartz-IV-satz von 302 euro pro monat unerhört



    „Wenn eine verweigerte Mitwirkung keine Folgen hat, läuft das System leer“, tönte Laumann. Mich erinnert dies an Kästners „Salto mortale“:

    „Ich wollte Arbeit. Doch ihr gabt sie nicht.



    Ihr habt mich kalt und böse angeblickt.



    Ihr spracht mit mir, wie man mit Dieben spricht.“

    Zum thema „verweigerte mitwirkung“ fällt mir ein prominentes beispiel ein, das für den verweigerer bis zuletzt folgenlos blieb.Helmut Kohl, der 1958 zur Nachkriegsgeschichte der CDU in Rheinland-Pfalz promoviert hatte wurde 1959 Referent beim Verband der Chemischen Industrie und Abgeordneter im Landtag von Rheinland-Pfalz. Eckhard Henscheid bezeichnete Kohls Doktorarbeit als "brunzdoof" . Seine Verstrickung in die Flick-Affäre, die Tatsache, dass er zwischen 1974 und 1980 für die CDU 565.000 DM erhalten hatte und im Untersuchungsausschuss des Bundestags und des Mainzer Landtags gelogen hatte – all‘ das ist hinlänglich bekannt.

  • Teil 2:



    Bis zuletzt blieb er ein Politiker der Schande, der z. B. seit den 1970er Jahren ein System geheimer Kassen betrieben hatte deren Umfang nie genau geklärt werden konnte. Allein über die Schweiz waren rund 200 Millionen Euro gewaschen worden. Summen über die Helmut Kohl frei verfügte. 2015 bestätigte Wolfgang Schäuble dies in einem Interview dem Südwestrundfunk. Bis zuletzt verweigerte Kohl jegliche Aufklärung über die Herkunft der Gelder. Er berief sich dabei in übelster Mafiamanier auf ein „Ehrenwort“ welches er den angeblich vier bis fünf Spendern gegen habe. Schon die geringe Zahl war eine Lüge. Das es die CDU unterließ Kohl durch Beugehaft zur Aussage zu zwingen wird niemanden überraschen. Das Kohl trotz fortdauernder Weigerung seine üppige Pension ausbezahlt wurde hat jedenfalls keinen unions-christen gestört. Schließlich gelten seit jeher unterschiedliche maßstäbe: die strengen, unbarmherzigen für arme, kranke, bedürftige und christliche nächstenliebe und wohlwollende vergebung für die großkopferten.

  • Das wäre einer von vielen Rechtsbrechern bei der CDU. Dann gibt es noch die Unfähigen in Form von AKK und Mohring z. B.. Jeder weiß, dass bei den Großen viel mehr zu holen ist: Google, IKEA, AMAZON, APPLE, um nur wenige mit viel mehr Geld zu nennen..

  • Wo kann man Tacheles finanziell mit Spenden unterstützen? Muss ja nicht mal steuerlich absetzbar sein.

  • Laumann - noch einer, der am Aste der CDU sägt, auf dem er sitzt. Merke: Auch die Hartz-IV-ler sind Wähler, und nicht gerade wenige!