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Deutscher Vorentscheid für den ESCAufregung um fast gar nichts

Jan Feddersen
Kommentar von Jan Feddersen

Die Kritik an den Vorentscheidung im Hinblick auf den ESC im Mai ist unberechtigt. Und das Gerücht, Helene Fischer könnte antreten, ist pure PR.

Der NDR folgt dem Motto: Hauptsache, im Gespräch bleiben – Duncan Laurence gewann im vergangenen Jahr Foto: Vyacheslav Prokofyev/imago

N a, das ist aber empörend: Dass der NDR, in der ARD verantwortlicher Sender für die Belange des Eurovision Song Contest, dieses Jahr auf eine öffentliche Vorentscheidung im Hinblick auf den ESC am 16. Mai in Rotterdam verzichtet. Das sei undemokratisch – und es klang, als sei dies noch nie dagewesen. Das ist allerdings irrig. Die knapp vier Dutzend Länder der Eurovision entsenden ihre Kandidat:innen für diesen Popwettbewerb – das erfolgreichste Entertainmentformat der öffentlichen-rechtlichen Sender – mal nach Vorentscheiden, dann wieder nach internen, in der Regel kaum transparenten Kriterien.

Einen direkten Zusammenhang zwischen vorauswahlermittelten ESC-Acts und Erfolg beim ESC selbst gibt es jedoch nicht. Worauf es freilich ankommt, ist, dass für den ESC rein werblich vor dem Finale im Mai öffentlich getrommelt wird – Klappern gehört eben zum Handwerk aller Performances, das geht von Flyern für Off-Off-Bühnen in Neukölln bis eben zur gestrigen Oscar-Verleihung, die medial viele Wochen vor der Nacht der Nacht aus Los Angeles in den Diskurs gebracht wird – womit das öffentliche Interesse markiert ist.

Dass der NDR auf eine interne, jurygestützte Auswahl setzt, ist verständlich. Voriges Jahr gewann ein Frauenduo die deutsche Vorauswahl – und endete in Tel Aviv auf dem vorletzten Platz. Insofern: Der NDR hat – auch durch diese Zeilen – Aufmerksamkeit für eine Show errungen, die erst im Mai stattfindet und somit für diese Promotion gestiftet.

Gerüchte, es könnte bei dem Verfahren hinter den Kulissen plötzlich Helene Fischer (mit Florian Silbereisen womöglich als Backing Vocal) nominiert werden, tragen zu dieser PR bei. Dabei hat noch keine Künstlerin, die es längst in höchste Pophöhen geschafft hat, je beim ESC mitgemacht: Weniger als ein erster Platz ist für diese immer karriereschädigend.

Aber schon die Vermutung, es könnte die Eiserne Helene sein, ist wiederum ein Mosaiksteinchen in dem Spiel, das nichts will als – Aufmerksamkeit.

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
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