piwik no script img

Die Geste des Jahres

Politische Gesten sagen oft mehr als tausend Analysen. Der Blumenstrauß, den Susanne Hennig-Wellsow vor die Füße des neuen Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich fallen ließ, gehört dazu. Am 25. April wird sie Gast auf dem taz lab sein – und auch über die Tage von Erfurt berichten

Ein Blumenstrauß sagt manchmal mehr als tausend Analysen Foto: reuters/Hannibal Hanschke

Von Jan Feddersen

Politische Kontrahenten gratulieren einander, etwa wenn eine demokratische Wahl zulasten des einen und zugunsten des anderen verläuft. Helmut Schmidt, SPD, gab am 1. Oktober 1982 dem Unionskandidaten wider seine Kanzlerschaft, Helmut Kohl, die Hand. Das ist für den Unterlegenen nicht schön, aber so ist der Komment demokratischen Miteinanders. So war es immer, so hätte es auch in Thüringen sein können.

Aber als am Mittwoch im Erfurter Landtag durch einen AfD-gestützten Coup plötzlich der FDP-Mann Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt worden war und der Liberale zumindest so tat, als sei er selbst überrascht, ging ­Susanne ­Hennig-Wellsow, Linke-Chefin in Thüringen wie auch Chefin der Landtagsfraktion der Partei, auf Kemmerich zu, hielt einen Blumenstrauß in Händen (der eigentlich dem beliebtesten Politiker des Bundeslands, Bodo Ramelow, zugeeignet werden sollte) – und ließ ihn vor ihm zu Boden fallen. Gestisch abgerundet durch ein knappes Kopfnicken.

Kein Signal schlechter Verlierer

Der feinmotorische Verzicht auf den ­Aplomb macht hier die Pointe: Sie hätte das Bouquet ja auch auf die Auslegeware werfen können – nein, sie ließ das Gebinde einfach nur fallen, wie vor einem gefallenen Mann, der vor kaum verhüllter Selbsttrunkenheit nur dastand und zu Recht beschämt werden musste. Kemmerich sollte spüren, dass jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergegangen werden kann. Es hätte leicht als peinlich empfunden werden können, als Signal schlechter Verlierer, aber Hennig-Wellsow erwies sich mit dieser Performance als nachgerade verfassungspatriotisch vorbildliche Politikerin: Verachtung ausdrückend vor einem offenbar historisch und geistig überhaupt Minderbemittelten, der kein Problem damit hat, die Voten der völkischen AfD in Kauf zu nehmen, nur um eine populäre (recht eigentlich sozialdemokratische) Politik zu verhindern – aus Hass auf Linke, aus Liebe zum (recht eigentlich Pseudo-)Bürgerlichen der FDP und der CDU.

Susanne Hennig-Wellsow ist Landes­vorsitzende der Thüringer Linken und Fraktions­vorsitzende im Landtag. Foto: imago/Ipon

Hennig-Wellsow mag auch historisch gedacht haben, um zu empfinden und zu tun, was sie tat. Aber wenn nicht, dann sei es so formuliert: Es waren hauptsächlich bürgerliche Kräfte im Deutschland der Weimarer Republik, die den Aufstieg der Nationalsozialisten beförderten, und es waren die Liberalen im Reichstag, die dem Ermächtigungsgesetz der NSDAP zustimmten; einer dieser Zustimmenden war im Übrigen Theodor Heuss, später in der Bundesrepublik ihr erster Präsident. Und die AfD, da hat ihr faktischer Vorsitzender Alexander Gauland völlig recht, ist so bürgerlich wie eben FDP und CDU in Thüringen, in einem schlechten Sinne: einander nahestehend im Hass auf alles, was wirklich liberal und sozial ist.

Susanne Hennig-Wellsow hat sich mit ihrer Geste ins Gedächtnis echter Verfassungspatrioten eingeschrieben: als eine, die die wahren Gefährder der Republik mit dem strafen, was in einer protokollarischen Pflichtsekunde angemessen ist: Verachtung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen