Dokumentarfilm „Butenland“: Der Gegenentwurf
Jan Gerdes und Karin Mück begleiten auf ihrem Hof alte und kranke Rinder in den Tod. Der Dokumentarfilm „Butenland“ erzählt von ihrem Alltag.
Auf so einem Lebenshof mit alten und kranken Tieren wie Paul wird eben auch viel gestorben. Damit müssen die Betreiber des Hofes Butenland, Jan Gerdes und Karin Mück, leben. Auch damit, dass Paul nach seinem Tod mehr wie ein Ding, denn wie ein Geschöpf behandelt wird. Gerdes und Mück dürfen ihn nicht beerdigen. Er wird in der Tierkörperbeseitigungsanstalt „entsorgt“, wie das heißt, also verbrannt oder zu Tiermehl verarbeitet.
Im Dokumentarfilm „Butenland“ folgt, unmittelbar auf die berührende Sterbeszene, die Szene, wie der Kadaver von Paul mit Hilfe eines Krans in einen Lastwagen gehievt wird. Jan Gerdes und Karin Mück haben zwar versucht, anders mit den Rindern umzugehen, sind aber an den seuchenhygienischen Bestimmungen gescheitert. „Uns hat eine Amtsveterinärin mal gesagt: Ja, eigentlich haben sie ja recht, aber das ist in diesem System nicht vorgesehen“, sagt Karin Mück direkt in die Kamera.
Das Konzept des Hofs Butenland ist ein Gegenentwurf zum herrschenden System. Zwei Jahre hat der Filmemacher Marc Pierschel auf dem Hof gedreht, hat Jan Gerdes und Karin Mück in den sich abwechselnden Jahreszeiten über die Schultern geblickt und war immer dabei, wenn etwas Entscheidendes, wie etwas Einschneidendes wie der Tod von Paul passierte.
Meist arbeitete er als Einmann-Team, war für die Kamera und den Ton verantwortlich. Und so vertrauten ihm die Menschen, aber vor allem auch die Tiere mit der Zeit. Nur selten entsteht der Eindruck, etwas geschieht bloß, weil gerade die Kamera dabei ist. Dieser zugleich intime und unaufdringliche Zugang ist eine Qualität des Films.
Der Hof Butenland liegt im niedersächsischen Butjadingen und wird als Stiftung betrieben. Durch Spenden und Schenkungen bringen Gerdes und Mück jedes Jahr etwa 150.000 Euro auf, die sie brauchen, um die rund 40 Rinder bis zu ihrem Tod zu versorgen.
Filmemacher Marc Pierschel nimmt die Rinder als Persönlichkeiten genauso ernst wie die Menschen, und so erzählt er auch die Geschichten von Lillja, die nach einem Kaiserschnitt keine Kälber mehr bekommen konnte oder die Geschichte von Uschi, die sich beim Bauern nicht melken lassen wollte. Eine Melkerin drohte zu kündigen, sollte Uschi wegen ihrer Melkunwilligkeit auf dem Schlachthof enden. So landete Uschi im Kuh-Altersheim.
Die entscheidende Frage, um die der Dokumentarfilm kreist, ist, wie Jan Gerdes und Karin Mück zu ihrem Hofprojekt kamen. Pierschel lässt die beiden meist gemeinsam vor der Kamera ihre Geschichten erzählen. Gerdes wuchs auf dem Hof auf, erbte ihn von seinem Vater und machte einen Biohof draus. Aber er litt immer darunter, dass er die Kühe „als Produktionsmittel“ und „wie Maschinen“ behandelte. Nach einer schweren familiären und gesundheitlichen Krise wollte er den Hof aufgeben. Doch als er seine letzten zwölf Rinder zum Schlachthof hätte schicken müssen, entschied er sich, sie zu behalten. Seine Lebenspartnerin Karin Mück, deren Lebensgeschichte alleine für einen Dokumentarfilm reichen würde, unterstützte ihn.
Anfang der 1980er-Jahre war Mück eine der ersten Tierschutzaktivistinnen, die mit ihrer Gruppe „Anonyme Tierschützer“ in Tierversuchslabore einbrach und dort Hunde, Katzen, Affen und andere Tiere rettete. Bei einem versuchten Sprengstoffanschlag auf ein noch im Bau befindliches Institut für Tierversuche wurden sie und ihre Gruppe verhaftet, und der damalige Generalbundesanwalt Kurt Rebmann sagte ihr ins Gesicht, so wie bei ihr habe es auch „mit Ulrike Meinhof angefangen“. Mück wurde als Mitglied einer terroristischen Vereinigung angeklagt, kam für fünf Wochen in Isolationshaft, wurde aber später nur zu einer einjährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.
Dieses Kapitel seines Films hat Marc Pierschel in einem anderen Stil erzählt als den Rest. Er führte Gespräche mit Mücks damaligen MitstreiterInnen, verwendete Archivmaterial und ließ Nachrichtentexte aus jener Zeit nachsprechen. Ansonsten verlässt der Film den Hof selten. Pierschel besucht nur kurz den Nachbarn, der seinen Hof traditionell betreibt und den Mück in aller Freundschaft am Küchentisch als „Kinderräuber“ bezeichnet, weil er Kälber verkauft und abtransportieren lässt. Doch den eindrucksvollsten Kontrapunkt setzt Pierschel mit Aufnahmen von einer Tierleistungsschau, bei der Kühe mit gigantischen Eutern stolz von ihren Züchtern auf dem Laufsteg präsentiert werden.
„Butenland“. Regie: Marc Pierschel. Mit Jan Gerdes, Karin Mück und andere. Deutschland 2020, 82 Min.
Pierschel verzichtet auf jeden Kommentar, seine Haltung wird aber auch so deutlich. In diesem Sinne ist „Butenland“ durchaus ein Kampagnenfilm; der Filmemacher versteht sich als Mitstreiter seiner Protagonisten.
Pierschel hat mit „Butenland“ eine Trilogie beendet. Im Jahr 2013 brachte er seine Dokumentation „Live and Let Live“ über das Mensch-Tier-Verhältnis in die Kinos und zwei Jahre später „The End of Meat“ über seine Vision von einer Welt, in der kein Tierfleisch mehr gegessen wird. Pierschel erzählt von einer ländlichen Idylle, in der Menschen und Tiere in Harmonie miteinander leben. In diesem Sinne zeigt „Butenland“ die Verwirklichung einer Utopie.
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