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Streit um Feriendorf an SchutzgebietVogelfan bestraft

Im Dithmarscher Speicherkoog sollen Touristen neben einem Naturschutzgebiet übernachten. Naturschützer wollen das verhindern – und kassieren Bußgeld.

Lebt im Speicherkoog: Der Austernfischer Foto: Harro Müller/dpa

Rendsburg taz | Auf der Nordsee dümpeln Vögel, davor liegt ein grünes Ufer mit scheinbar unberührter Natur. Der Speicherkoog nahe Meldorf in Dithmarschen bietet bedrohten Arten wie Uferschnepfe und Kiebitz ein Rast- und Brutrevier. Dieser Koog, also ein flaches Marschland, ist nun Schauplatz eines ungewöhnlichen Streits zwischen Naturschützer*innen und der Kommune.

Teile des Speicherkoogs stehen unter Naturschutz. Doch auf den angrenzenden Flächen planen die Umlandgemeinden eine Ferienhaussiedlung und Wohnmobilstellplätze für mehr Tourismus. Eine Gruppe Naturschützer*innen will das nicht hinnehmen.

Die Aktivist*innen gründeten eine Bürgerinitiative, sammelten 3.000 Unterschriften und brachten den Fall vor den Petitionsausschuss des Landtags. Zuständig ist jedoch der Kreis Dithmarschen und der geht nun gegen eine der Naturschützer*innen vor: Er verhängte ein Bußgeld in Höhe von 896 Euro gegen die Sprecherin der Bürgerinitiative, weil sie sich beim Betreten des Naturschutzgebietes filmen ließ.

Als Mitglied des Naturschutzbundes Nabu war Tanja Matthies, heute Sprecherin der Bürgerinitiative für Naturschutz im Speicherkoog (Bins), als ehrenamtliche Aufpasserin im Koog unterwegs. Was sie erlebte, habe sie geschockt und geärgert: „Es wird trotz der Verbote gebadet und gesurft, Autos parken im Vogelschutzgebiet, daneben wird gegrillt, Kinder spielen Fußball“, berichtete die Juristin vor dem Petitionsausschuss. All das werde noch viel schlimmer werden, wenn die Pläne der angrenzenden Gemeinden in die Tat umgesetzt werden, fürchtet Matthies.

Wohnmobilstellplätze und Häuschen

Mehr Menschen bedeuten mehr Verkehr, mehr Lärm, mehr Müll

Tanja Matthies, Bürgerini Bins

Denn „der Speicherkoog soll sich zu einer beliebten Destination für naturnahen und nachhaltigen Tourismus entwickeln“, heißt es auf der Homepage der Tourismusförderung Speicherkoog. Hinter den Plänen steht ein Kommunalunternehmen, das von drei Gemeinden gegründet wurde, darunter die Stadt Meldorf. Seit fast einem Jahrzehnt laufen die Planungen.

Entstehen sollen ein Ferienhausgebiet mit 70 Parzellen, Flächen für Wohnmobile und ein „Nationalparkhaus“, in dem auch die Verwaltung der Ferienhäuser und ein Lokal untergebracht werden soll. „Allen Beteiligten ist die Berücksichtigung von Naturschutzaspekten ein großes Anliegen“, verspricht die Tourismusplanung.

Die Planungen entsprächen den Gesetzen, darauf verwies auch der Vertreter des Umweltministeriums vor dem Petitionsausschuss: „Ich habe keinen Punkt gefunden, an dem ich fachaufsichtlich einschreiten muss.“ Denn die Neubauten sollen nicht im Natur- und Vogelschutzgebiet entstehen, sondern auf angrenzenden Flächen.

Schon heute liegt in unmittelbarer Nähe zu den Schutzzonen der Meldorfer Sportboothafen, eine Gemeindestraße führt zwischen den Naturschutzgebieten hindurch. Tourismus ist und war erwünscht: Der Nabu, der die Aufsicht über das Gebiet hat, errichtete 2007 die Nationalparkstation „Wattwurm“, in deren Ausstellung es Informationen über den Nationalpark auf der anderen Seite des Deiches, aber auch über die Schutzgebiete binnendeichs gibt. Der Nabu tritt nicht gegen das Feriendorf ein. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) schon.

„Ich gebe ja zu: Total blöd, dass kurz vor Schluss der Planungen auf einmal viele Leute was dagegen haben“, sagt Naturschützerin Matthies. „Aber die Zeiten haben sich geändert.“ So seien Probleme wie Lebensraumverlust für bedrohte Arten und Bodenversiegelung nah am Wasser angesichts des Klimawandels stärker im Bewusstsein als zu Beginn der Planungen vor einem Jahrzehnt. Entsprechend verändere sich die Stimmung in Meldorf und Umgebung.

Erste Grüne trat zurück

Und dieser Streit um den Koog hat auch die Gemeindepolitik erreicht: Die frühere grüne Meldorfer Bürgermeisterin Anke Cornelius-Heide verließ die Partei, nachdem der Ortsverband für einen Planungsstopp gestimmt hatte. In einem Schreiben, das die Dithmarscher Landeszeitung zitiert, klagt sie über ein zerrüttetes Vertrauensverhältnis: „Mir und dem Kommunalunternehmen wird unterstellt, ein Gefälligkeitsgutachten in Auftrag gegeben zu haben.“

Dabei geht es um eine Verträglichkeitsprüfung nach den Regeln der Flora-Fauna-Habitate (FFH). Auch gegenüber der taz verweist Bins-Sprecherin Matthies darauf, dass dieses Gutachten von den Kommunen in Auftrag gegeben wird und daher mutmaßlich nicht neutral sei. Noch liegt es nicht vor.

Der Petitionsausschuss des Landtages berät den Fall zurzeit intern. Doch der Vorsitzende Hauke Göttsch (CDU) hat schon eine Richtung gewiesen: Unter anderem könnten neue Besucherlenkungskonzepte und der Einsatz von Rangern helfen, die Menschen auf den Wegen zu halten.

Matthies sieht trotz solcher Verbesserungsvorschläge weiter ein Grundproblem: „Mehr Menschen bedeuten mehr Verkehr, mehr Lärm, mehr Müll, mehr Licht.“ Die scheuen Bodenbrüter flögen bereits auf, wenn ein Mensch sich im Umkreis von einigen Hundert Metern bewegt.

Eben das wollte die Bins-Sprecherin zeigen, als sie vor einer Fernsehkamera des NDR an einem Verbots-Schild vorbei einen ausgetretenen Pfad zum Ufer hinunter betrat und damit eine Schar Enten auffliegen ließ. Für diese Störung der Tiere verhängte der Kreis das Bußgeld von knapp 900 Euro – mehr als etwa für das Verschütten von Altöl oder den illegalen Bau eines Fischteiches fällig würde. Auch die Behörden scheinen keine Lust auf Frieden zu haben.

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1 Kommentar

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  • Tanja Matthies kann mit Sicherheit eine Küstenseeschwalbe von einem Austernfischer unterscheiden. Einem Großteil ihrer Unterstützer traue ich das nicht zu. Hier herrscht viel gedanklicher Wirrwarr.



    Klären wir ein paar Basics: Der Speicherkoog ist ein von Menschen geschaffenes Gebiet, das den hier zu schützenden Tierarten nur durch ständige Eingriffe wie Büscheroden und Beweiden ein entsprechendes Umfeld sichert. Vorhandene Störungen (wildes Campen, Surfen auf nicht zugelassenen Flächen oder mit nicht zugelassenem Gerät) werden nicht genug bekämpft. Es fehlen die Mittel. Durch naturnahe Tourismusangebote wie der Ferienhaussiedlung bekommt die Kommunalpolitik aber neue Argumente und Chancen in die Hand, den touristischen Wildwuchs zu stoppen.



    Und zum Klimaschutz-Argument: Besser in Dithmarschen Natur erleben als nach dem Flug ans Mittelmeer.