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Bündnis fürs BoxenWeniger Kohle – besserer Sport

Um das Boxen wieder attraktiv zu machen, haben die Boxställe Universum und Sauerland am Hamburger Fischmarkt einen gemeinsamen Wettkampf veranstaltet.

Aus mehreren Gründen zufrieden über seinen schnellen Sieg: der Hamburger Artem Harutyunyan Foto: Miguel Ferraz

Hamburg taz | „Dänisch müsste man können“, raunt Markus Schwer in tiefstem Schwäbisch, während neben ihm die Betreuer des Schwergewichtlers Kem Ljungquist ihren Schützling lautstark anfeuern. Seinen Job kann der Cutman auch ohne sprachliche Verständigung machen. Jeder Griff sitzt. Mit dem Pausengong balanciert er Sitzhocker und Wassereimer durch die Seile, seine eigenen zwei Meter hinterher und macht sich an die Körperpflege.

Feinfühlig reibt er den Oberkörper des Kämpfers ab, trägt eine dünne Schicht Vaseline auf die Augenbrauen und erfrischt den Nacken mit einem Kühlpack. Die kleinen Wattestäbchen, mit denen die Mikro-Risse an den der Brauen verklebt werden, kommen bei Ljungquist kaum zum Einsatz – zu überlegen boxt er gegen den Ukrainer German Skobenko.

„Hoffentlich leg ich mich nicht noch auf die Schnauze“, schwäbelt Schwer, als er über einen wackligen Plastikstuhl wieder den Boden erreicht. Er arbeitet hier, im „Work Your Champ“-Gym am Hamburger Fischmarkt, auf ungewohntem Terrain. Er ist als Cutman für das in Berlin ansässige Team Sauerland tätig, das heute erstmals mit dem hier beheimateten Hamburger Universum-Boxstall einen gemeinsamen Kampfabend veranstaltet. „Vereinte Kräfte“ heißt das Motto der Kooperation, die als eigentliche Sensation dieser Box-Gala in Szene gesetzt wird.

Vor zehn Jahren hätte man von einer „Elefantenhochzeit“ sprechen können. Aber der Boxsport ist vom der Prime-Time-Event zum Randphänomen geschrumpft. Die großen Fernsehanstalten stiegen aus, der Geldstrom versiegte, aktuell gibt es keinen deutschen Boxer in den Spitzenrängen der Weltranglisten.

Wie ein Kostümfest

Zu der Zeit, als die Klitschkos, die Rocchigianis, Axel Schulz oder Regina Halmich noch die großen Hallen füllten und die Patriarchen Klaus-Peter Kohl (Universum) und Wilfried Sauerland die Strippen zogen, wäre dieser gemeinsame Kampfabend in etwa so gewesen, als bäten die aus dem Drama Romeo und Julia bekannten Veroneser Familien Capulet und Montague gemeinsam zum Kostümfest.

Einem Kostümfest gleicht natürlich auch heute die Szenerie am Ring – die boxtypische Mixtur aus Sportfans, Semiprominenz, Poser*innen und den Familien der Boxer aus zehn Ländern. Eine Glanz- und Glitzerwelt mit viel Aufstiegshoffnung, die den engen Raum gelassener und respektvoller miteinander teilt, als man es von manch bildungsbürgerlichem Kulturevent kennt.

Selbst in der Chefreihe, wo die Sauerland-Söhne Kalle und Nisse sowie Universum-Boss Ismail Özen-Otto sitzen, gibt es permanentes Stühlerücken, wenn ein neuer Gast erscheint, dem Tribut zu zollen ist.

Ex-Boxer Özen-Otto, der Schwiegersohn des Versandhaus-Chefs Michael Otto, ist angetreten, den 2013 in Konkurs gegangen Universum-Stall wieder zur Blüte zu bringen. Gegen das ramponierte Image des Boxens will er ein sauberes Boxen setzen. Ohne Absprachen über Kampfausgänge – dafür mit freiwilligen Dopingkontrollen. Das Fehlen großer Stars sieht er als Chance für „Kämpfe auf Augenhöhe“. Verbundenheit zur Basis demonstriert er durch das Projekt „Kampf deines Lebens“, das Jugendliche und Profis im Gym zusammenbringt.

Zehn Kämpfe sind heute angesetzt, um mit vereinten Kräften den Sport wieder attraktiv für größere Fernsehsender zu machen. Heute überträgt der Spartenkanal Sport1 ab 21 Uhr die letzten vier Kämpfe. Die entspannte, sportlich geprägte Stimmung unter den 450 Zuschauer*innen zeigt, dass es dem Boxen ganz guttut, dass im Augenblick weniger Geld im Spiel ist.

Jürgen Blin boxte gegen Muhammad Ali

In einer der hinteren Reihen sitzen zwei junge Leute, die zufällig hier sind, weil sie über ihre Firma Karten bekommen haben. „Es ist fesselnd zu sehen, wie konzentriert und mit dem Herzen dabei die Boxer sind“, sagt Tim Kramer. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal fürs Boxen interessieren würde, aber das ist wirklich schön anzusehen“, meint Aylin Hornung.

Ein paar Reihen weiter erzählt der 15-jährige Luciano, dass er seit einem Jahr selbst hier im Gym boxt und sich in den Sport verliebt hat. Als er sagt, dass sein großes Vorbild Muhammad Ali ist, weiß er nicht, dass ein paar Meter vor ihm Jürgen Blin sitzt, einer von nur zwei Deutschen, die gegen Ali gekämpft haben. Als der taz-Reporter beide bekannt macht, kommen sie ins Gespräch.

Als Hauptkämpfer haben beide Ställe ihre aktuellen Nachwuchshoffnungen an den Start gebracht. Zuerst ist Lokalmatador Artem Harutyunyan im Super-Leichtgewicht gegen den Argentinier Miguel Cesario Antín dran. Der 29-jährige Harutyunyan ist Bronzemedaillengewinner der Olympischen Spiele von Rio und kam als Kleinkind mit seinem Bruder Robert und den Eltern als Asylbewerber aus Armenien nach Hamburg.

Nach verhaltenem Beginn dreht der technisch sauber boxende Harutyunyan in Runde drei plötzlich auf und schlägt seinen Gegner mit einer schnellen Kombination zu Boden. Eine Runde hält Antín noch durch, bevor seine Ecke ihn vorsorglich aus dem Kampf nimmt. „Ich habe mich schon in der ersten Runde am Daumen verletzt“, erklärt Harutyunyan nach dem Kampf sein plötzliches Eiltempo.

Tod im Ring

Die frühe Aufgabe seines angeschlagenen Gegners dürfte ihn auch aus einem anderen Grund beruhigt haben. Es ist ein Riesenproblem, dass Ringrichter und Ringärzte Kämpfe zu lange laufen lassen“, hatte er im Sommer vorigen Jahres gesagt, nachdem ein anderer argentinischer Boxer, den er Mitte Juli in Hamburg besiegt hatte, fünf Wochen darauf trotz Schutzsperre wieder geboxt hatte und dabei ums Leben gekommen war.

Kurz vor dem letzten Kampf des Abends nimmt Markus Schwer seinen Platz in der Ecke wieder ein. Diesmal kennt er den Boxer nicht nur, er schwärmt regelrecht von der Sauerland-Hoffnung Abass Baraou. „Da stimmt das Gesamtpaket“, sagt er über den im schwäbischen Aalen geborenen jungen Mann, dessen Familie aus Togo kommt. „Das isch kein Proll. Der boxt nicht nur gut, sondern benimmt sich auch anständig und gibt gute Interviews.“

Kampfpause: In der Ringecke gibt es Tipps und eine Notversorgung. Foto: Miguel Ferraz

Obwohl sein Coach Ulli Wegner wegen eines Oberschenkelhalsbruches nicht dabei ist, geht der Superweltergewichtler selbstsicher und dynamisch in den Kampf, der ebenfalls schon nach der vierten Runde zu seinen Gunsten abgebrochen wird. Geschliffen, wie von Schwer prophezeit, analysiert Baraou den Kampf noch im Ring selbst.

Ich bin gut reingekommen und wollte den schnellen K. o.“, sagt er übers Hallenmikrofon. „Anschließend habe ich ein wenig cleverer geboxt und wollte es zunächst taktischer angehen lassen. Als er mich dann aber getroffen hat, war ich sauer und habe stark gekontert.“ Als Schwer unfallfrei über den klapprigen Stuhl wieder den Boden erreicht, blinzelt er listig und fragt: „Weischt jetzt, was ich meine?“

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