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Organspenderegelungen in EuropaFünf Prozent weniger

Die Widerspruchsregelung kommt nicht. Dabei gehen andere Länder ganz pragmatisch damit um. Die „Spendererkennung“ zählt.

In Österreich ist das Spendenaufkommen sehr viel höher als in Deutschland Illustration: Katja Gendikova

Berlin taz | „Wir haben monatelang, manche jahrelang für die Widerspruchsregelung gekämpft. Heute ist ein trauriger Tag“, sagte Lorena von Gordon. Die 33-Jährige lebt in Frankfurt und leidet an Mukoviszidose. Ihr wurde 2015 eine Lunge transplantiert. Gemeinsam mit anderen Betroffenen verfolgte sie am Donnerstag die Debatte um eine Reform des Transplantationsgesetzes.

Der Entwurf für eine doppelte Widerspruchslösung wurde im Bundestag abgelehnt, zum Leidwesen zweier PetitionsstarterInnen, darunter Gordon, die mit anderen Betroffeneninitiativen auf eine Reform des Gesetzes gehofft hatten.

Die Widerspruchslösung kommt nun nicht, aus Statistiken der Deutschen Gesellschaft für Organtransplantation (DSO) lässt sich ungefähr ermessen, was es bedeutet hätte, wäre der Gesetzentwurf durchgekommen. Die Widerspruchslösung sieht vor, dass Menschen, deren Willen zur Organspende nicht bekannt und auch nicht irgendwo dokumentiert ist, auch nicht bei den Angehörigen, automatisch als Organspender gegolten hätten.

Nach einer Statistik der DSO kamen im Jahre 2018 nur 1.377 Menschen als potenzielle, von den Krankenhäusern gemeldete Organspender infrage. Was daran liegt, dass nur weniger als 1 Prozent der Todesfälle als „hirntot“ registriert werden, dieses Stadium des „Hirntodes“ im Sterbevorgang ist selten und wird auch oft nicht erkannt. Für 25 Prozent dieser gemeldeten potenziellen SpenderInnen gab es keine Zustimmung zur Spende, meist weil die Angehörigen von einer ablehnenden Haltung des Verstorbenen wussten oder dies so vermuteten.

Nur für einen Bruchteil der potenziellen SpenderInnen, nämlich 5 Prozent, wurde die Zustimmung deswegen nicht erteilt, weil den Angehörigen die Haltung des Verstorbenen unbekannt war und es auch sonst keine Information dazu gab. Nur dieses Segment der „Informationslosen“ hätte künftig automatisch als OrganspenderIn gegolten, wäre die doppelte Widerspruchslösung gekommen.

Die Zahlen entsprechen etwa den Erfahrungen aus Österreich, wo schon seit vielen Jahren die Widerspruchsregelung gilt. Hier sind nicht mal 1 Prozent der Bevölkerung im offiziellen Widerspruchsregister erfasst. Wird bei einem Menschen der Hirntod festgestellt und liegen keine schriftlichen Willensbekundungen vor, werden immer die Angehörigen gefragt nach der Haltung des Verstorbenen zur Organspende.

Diagnose Hirntod

Nach Informationen der DSO wird in Österreich in etwa 20 Prozent der Fälle eine Organspende von den Angehörigen abgelehnt. Trotzdem ist das Spendenaufkommen in Österreich, gemessen an der Bevölkerungszahl, sehr viel höher als in Deutschland.

Es liegt also auch an der Infrastruktur in den Krankenhäusern und vor allem daran, ob bei den Sterbenden die Phase des „Hirntodes“ diagnostiziert wird. In Spanien zum Beispiel gilt auch die Widerspruchsregelung, entscheidend aber ist die dortige „Spendenkultur“, die Spendenquote ist viermal so hoch wie in Deutschland.

Eine staatliche Behörde verwaltet in Spanien die Warteliste für EmpfängerInnen. In den Krankenhäusern wird das medizinische Personal motiviert, sterbende Menschen als mögliche OrganspenderInnen zu identifizieren und zu diagnostizieren, das wird auch extra vergütet. Die Koordinatoren für Organspenden führen Gespräche mit den Angehörigen, die Ablehnungsquote durch die Angehörigen liegt in Spanien laut DSO nur bei 15 Prozent.

In Deutschland kommt es darauf an, mehr Sterbende als „Hirntote“ zu erkennen und damit als potenzielle Spender an die DSO zu melden. Die Diagnostik des Hirntodes ist aufwendig, man prüft zum Beispiel die Hirnstamm­reflexe, den Atemstillstand, an der Prüfung muss eine NeurologIn beteiligt sein. Der Hirntod kann entweder vor oder kurz nach dem Herztod eintreten, als OrganspenderIn kommt in Deutschland nur infrage, wer noch keinen Herztod erlitten hat.

Immerhin: Die Spendermeldungen der Krankenhäuser nehmen zu, hat die DSO kürzlich verkündet. Ob dann allerdings tatsächlich Organe transplantiert werden können, hängt auch vom Zustand der Organe ab. Eine Transplantation ist nicht möglich, wenn etwa Infektionen vorliegen oder das Organ geschädigt ist.

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12 Kommentare

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  • "Es liegt also auch... daran, ob bei den Sterbenden die Phase des „Hirntodes“ diagnostiziert wird."

    Ein sehr spannender Satz, beginnt doch der rückseitige Text auf den Spendeausweisen mit der Lüge: "Für den Fall, dass nach meinem Tod...", wohlwissend, dass ein toter Mensch nicht mehr spenden kann... .

    Es sind diese tatsächlichen Unsauberkeiten in der Aufklärung, die ich für ethisch hochproblematisch halte. Wer sich dafür entscheidet, Spender*in zu sen, sollte das nach umfänglicher Aufklärung tun dürfen.

    Abgesehen davon kann ich die Haltung, dass mein Leben höher steht, als das eines Mitmenschen und der jetzt bitteschön für mich pünktlich sterben soll (er ist ja vor der Organentnahme noch nicht tot, danach jedoch schon) nicht teilen. Und so habe ich seit vielen Jahren einen Ausweis mit einem Nein. Sollte ein Organ versagen, so sterbe ich, weil ein mein Körper den Dienst versagt und mehr auch nicht.

    Genauso, wie ich das Recht haben möchte, friedlich zu Ende zu sterben, gestehe ich das meinen Mitmenschen zu.

    Und zu Spahn: Eine Spende ist eine Freiwilligkeit. Hier jedoch wird sie eingefordert, was denn Sinn einer Spende ad absurdum führt.

  • Im Stadium des Hirntodes zeigen Menschen noch Reflexe, verziehen, wenn ihnen ohne Betäubung, weil sie ja "tot" sind, Organe entnommen werden, das Gesicht, als hätten sie Schmerzen, schwangere Hirntote gebären gesunde Kinder. Ich würde das nicht als tot definieren und hätte ziemlich Angst davor, dass mir soetwas passieren könnte. Und wenn ich gerade dabei wäre, hinüberzudämmern, gerade versuchen würde zu sterben, würde nochmal der Kreislauf angekurbelt, damit die Organe gut durchblutet sind.

    Ich bin heilfroh, dass die Widerspruchslösung abgelehnt wurde, weil sonst Menschen unfreiwillig "gespendet" hätten und vielleicht Schmerzen am Ende ihres Lebens haben müssen.

    Die "Aufklärungsarbeit" zur Organspende in Deutschland ist keine Aufklärungsarbeit, in der Pro und Contra beleuchtet wird, sodass Menschen gut informierte Entscheidungen treffen können, sondern eine reine Werbemaßnahme "Mach das". Und so klingt das auch in diesem Artikel.

    Heribert Prantl hat einen guten Artikel dazu geschrieben. Auch in der Wissenschaft wird das Kriterium des Hirntods als Todeszeitpunkt viel kontroverser diskutiert.

    • RS
      Ria Sauter
      @Solli:

      Das habe ich auch in einem Bericht gesehen. Sieht nicht wirklich nach verstorben aus.



      Jetzt noch eine Prämie zu zahlen, für das "sammeln"von Hirntoten ist....mir fehlen die Worte dafür.

  • 8G
    83492 (Profil gelöscht)

    Danke für diesen Artikel.

    Der zeigt, wie unfähig der Politikbetrieb ist, Lösungen zu finden. Problem erkannt, messerscharf an den Ursachen vorbei analysiert und dann mit viel Medientheater um "Lösungen" gerungen, die keine sind.

    Mir wird ganz übel, wenn ich an die großen Probleme wie Klimawandel denke ...

    en.wikipedia.org/wiki/Law_of_triviality

  • Bei der Organspende alles korrekt und da wäre die Lösung durchaus sinnvoll.



    Nur ist da noch die Gewebespende, und die Widerspruchslösung hätte alle zu potentiellen Gewebespendern gemacht. Der menschliche Körper als yRessource für Arzneimittel.

  • "In Deutschland kommt es darauf an, mehr Sterbende als „Hirntote“ zu erkennen und damit als potenzielle Spender an die DSO zu melden".

    Der Satz liest sich ja ganz gruselig.

    • @APO Pluto:

      Bisweilen könnte man meinen, es gäbe sogar wesentlich mehr Hirntote als Sterbende. Aber das ist eine andere Geschichte.

    • RS
      Ria Sauter
      @APO Pluto:

      Ja, da bin ich völlig Ihrer Meinung.



      Das ist gruselig und zeigt das Denken Mancher an.

    • @APO Pluto:

      Nur, wenn man ihn falsch herum versteht: "Als Hirntote zu erkennen" bedeutet, die Geräte nicht abzuschalten, sondern weiter zu diagnostizieren und die Organe solange am Leben zu halten. Klar, das kann mit einer Patientenverfügung im Widerspruch stehen, die einen schnellen Cut verlangt. Dann geht die Verfügung vor.

    • @APO Pluto:

      Ich fand auch den noch gruselig:



      "In den Krankenhäusern wird das medizinische Personal motiviert, sterbende Menschen als mögliche OrganspenderInnen zu identifizieren und zu diagnostizieren, das wird auch extra vergütet."

      • @rero:

        Wieso? In Krankenhäusern wird man so präzise für jeden Handgriff vergütet. Wäre die Vorsorge von Spenderorgane, sprich die Befragung potentieller Spender, nicht in den Leistungskatalog enthalten, würde man es schlicht nicht machen. Es gibt ja kaum Freiräume um so etwas aus freien Stücken ideeller Besinnung zu tun. Mit „extra“ vergütet heißt es einfach nur: „es wird vergütet“. Wenn man am Sterbebett liegt (oder die Verwandten) hat man andere Gedanken. Da muss ein Arzt sich Zeit nehmen und zu einem kommen und erklären, dass die Nieren oder was auch immer ich bald nicht mehr brauche und bei mir schlecht wird, jemanden anderen zum Leben helfen würden.

        Lieber die Milch schlecht werden lassen wenn man in Urlaub geht statt einen hungrigen Nachbarn zu schenken, wo man die selbst nicht trinken kann?

      • @rero:

        Wie finden Sie denn die Information, dass alleine das Schweizer Pharmaunternehmen Novartis an den Medikamenten, die nach einer Organtransplantation nötig werden, im Jahr 900 Mio € verdient?

        Zahlen, was das für ein Wirtschaftsfaktor für die gesamte Pharmabranche ist, sind leider keine zu bekommen.