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Fragwürdiges Urteil in G20-ProzessIm Zeichen des Fischerhuts

Ein Kieler wurde wegen eines Flaschenwurfs beim G20-Gipfel zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt. Ein Hut soll ihn belastet haben.

Finden Sie den Anglerhut! Foto: Sebastian Willnow/dpa

Hamburg taz | Noch ist er frei, weil das Urteil nicht rechtskräftig ist: Der 31-jährige Kieler Toto, so lautet sein Spitzname, wurde zu einem Jahr und vier Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Nach Meinung des Hamburger Amtsgerichts soll er beim G20-Gipfel eine Flasche auf Polizist*innen geworfen, sie jedoch verfehlt haben.

Die Strafe ist hoch – was allerdings laut dem Hamburger Gerichtssprecher Kai Wantzen daran liegt, dass Toto zum Zeitpunkt der Tat unter laufender Bewährung stand. 2015 war er wegen eines Betäubungsmitteldelikts zu neun Monaten Strafe auf Bewährung verurteilt worden.

Allerdings tauchten in dem G20-Prozess nach Schilderungen von Beobachter*innen einige Merkwürdigkeiten auf. Im Zentrum stehen dabei unglaubwürdige Aussagen von Polizeibeamt*innen und ein Fischerhut, der zum Symbol des Widerstands wurde.

Am Vorabend des G20-Gipfels, kurz nachdem die autonome Welcome-to-Hell-Demo gewaltsam von der Polizei zerschlagen worden war, war Toto wie viele andere in Altona unterwegs, um in kleineren Gruppen weiter zu demonstrieren. „Auf der Höhe Altonaer Straße, Ecke Schulterblatt, sind plötzlich Polizist*innen auf die Kreuzung gestürmt“, sagt Toto.

Viele Demonstrant*innen seien geflohen, aber ein Polizist habe sich auf den Kieler geschmissen und ihn zu Boden gebracht. Ein Beamter habe ihn im Schwitzkasten gehalten, zwei andere hätten je einen seiner Arme fixiert. Dann sei er in einen Gefangenentransporter gebracht und durchsucht worden. Kurz darauf seien die Insassen in einer Seitenstraße wieder freigelassen worden.

Ich glaube, dass alle G20-Urteile mit so hohen Strafen unter Eindruck des Gipfels gefällt wurden

Kristin Pietrzyk, Verteidigerin des Angeklagten Toto

Im März erreichte ihn die Anklage: Widerstand, tätlicher Angriff, Landfriedensbruch und versuchte schwere Körperverletzung wirft die Staatsanwaltschaft Toto vor. Eine Soli-Gruppe schreibt auf dem Blog „Free Toto“: „Da die Anklage sich recht schwammig anhörte und es laut dieser eigentlich keinen richtigen Beweis für die Tat gab, gingen wir erst mal positiv an den Prozess heran.“

In den ersten Verhandlungen im Mai 2019 zeigte die Staatsanwaltschaft mehrere Videos, aber auf keinem sei Toto zu erkennen gewesen, sagen Prozessbeobachter*innen der Soligruppe. Das bestätigt auch Gerichtssprecher Wantzen. Ein Polizist sagte aus, er habe den Angeklagten anhand seines schwarzen Fischerhutes identifiziert. Nur war davon in den Berichten, die der Polizist angefertigt hatte, nichts zu lesen.

Zwei Protokolle hat der Beamte, der Toto festgenommen hatte, über den Vorgang verfasst – eines direkt nach der Untersuchung des Festgenommenen im Gefangenentransporter, eins später auf dem Präsidium. Im Prozess sagte er aus, er habe den Angeklagten auf der Kreuzung, bevor es zur Festnahme kam, die ganze Zeit im Auge gehabt und ihn anhand seines Fischerhuts identifiziert.

„Warum steht das dann nicht in den Protokollen?“, fragt Totos Verteidigerin Kristin Pietrzyk. Dafür taucht das belastende Kleidungsstück an einer ganz anderen Stelle auf: In einer Dienstbesprechung der Polizei vor dem G20-Einsatz sei vor Menschen mit Fischerhüten gewarnt worden, weil diese besonders gewalttätig seien. Das steht laut Pietrzyk in der Akte eines anderen Verfahrens. Pietrzyk beantragte, sie als Beweismittel im Prozess gegen Toto heranzuziehen, doch der Richter Martin Hinkelmann lehnte das ab.

Die Prozessbeobachter*innen der Soligruppe beschreiben die Beweisführung der Staatsanwaltschaft als äußerst zweifelhaft. Auch Pietrzyk sagt, die Aussagen der beiden Polizisten hätten überhaupt nicht zu den Videoaufnahmen gepasst. Zudem hätten sich die Zeugen bis auf den Fischerhut nicht erinnern können, wie der Flaschenwerfer aussah.

Aus dem Hut gezaubert

Dem Richter reichte das aber. Am neunten Verhandlungstag verurteilte er Toto zu einem Jahr und vier Monaten Haft. „Ich bin vom Glauben abgefallen“, sagt Pietrzyk. Wie das Gericht trotz der Videos und der dazu widersprüchlichen Aussagen der Polizei, trotz des plötzlich als Identifikationsmerkmal aus dem Hut gezauberten Fischerhuts und der insgesamt dünnen Beweislage den Vorwürfen folgen könne, sei ihr unverständlich.

Ein politischer Richterspruch? „Ich glaube, dass alle G20-Urteile mit so hohen Strafen unter Eindruck des Gipfels gefällt wurden“, sagt sie. Dass damit Exempel statuiert werden sollen, sei offensichtlich.

Toto und seine Verteidigerin haben mittlerweile Berufung eingelegt. Auch die Staatsanwaltschaft ihrerseits hat Berufung eingelegt. Die Soligruppe erklärt unterdessen den Fischerhut zum Symbol des Widerstands: „Der Fischerhut ist das Symbol für die Absurdität des Prozesses gegen Toto“, steht auf dem Blog. Und: „Dieser Prozess ist genau wie die anderen G20-Prozesse und die extreme Polizeigewalt während der Proteste ein Mittel der Repression und Abschreckung gegenüber linken Aktivist*innen. Kampf ihrer Klassenjustiz!“

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2 Kommentare

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  • 8G
    84935 (Profil gelöscht)

    Liegt es vielleicht daran, dass eher Menschen mit rechter als mit linker Einstellung die Polizei als Beruf wählen?



    Dass an den Gerichten ein langer brauner Schatten herrscht, weiß man auch schon seit den Sechzigern. Und angesichts unseres Seilschaftensystem bei Einstellungen und vor allem Beförderungen, wird sich das auch noch nicht wirklich geändert haben.

  • Ein Gerichtssprecher kommt indirekt zu Wort? Toll! Zusammen mit den vielen Zitaten der "Prozessbeobachter*innen der Soligruppe" und der Anwältin ergibt das ja eine fast schon ausgewogene Berichterstattung.