piwik no script img

Markthalle Neun in KreuzbergMan darf noch Wünsche äußern

Was braucht es im Kiez? In einem Nachbarschaftsforum können noch bis Samstag Wünsche geäußert werden. Besonders umstritten: der Aldi.

Demo für den Discounter: der Aldi in der Markthalle Neun hat seine Freund:innen Foto: dpa

Tannenzweige und rote Weihnachtskugeln zieren noch den Eingang der Markthalle Neun in Kreuzberg, drinnen sind die Biertische an diesem Mittwoch zur Mittagszeit eng besetzt. Ein unscheinbarer Zettel macht in vier Sprachen auf das Nachbarschaftsforum des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg aufmerksam. Es geht um die Gestaltung der Markthalle und die Zukunft des Kiezes im Allgemeinen: Mit der angekündigten Schließung des Aldi in der Markthalle hatte die Debatte über Verdrängung zuletzt an Fahrt aufgenommen.

Seit Anfang dieser Woche sind Nach­ba­r:in­nen und Markt­hallen­besu­che­r:in­nen eingeladen, in der Halle „ihren Standpunkt und ihre Bedarfe bzw. Wünsche zu äußern“. Doris Wietfeldt leitet das Dialogverfahren im Auftrag des Bezirksamts. Der Andrang sei groß, über 140 Leute hätten in den letzten zwei Tagen bereits teilgenommen – „mit viel Herzblut, Interesse und Detail“, so Wietfeldt.

Direkt vor dem blau leuchtenden Aldi-Zeichen stehen ein paar gepolsterte Holzstühle, auf denen die Anwohnerin Getrud Trisolini konzentriert die bereitliegenden Bögen ausfüllt. Da sie seit 1981 im Kiez lebt, könnte sie stundenlang über Gentrifizierung reden. „Natürlich gibt es massenhaft Verdrängung, und das ist eine große Scheiße. Aber die Betreiber der Markthalle sind dafür nicht verantwortlich.“ Sie schätze, dass diese sich der Diskussion stellen.

2011 hat Trisolini nach eigenen Angaben dafür gestimmt, dass es keinen Discounter in der Markthalle gibt – und dabei bleibt sie auch heute. Die Markthalle habe einen Auftrag in Punkto Ernährungswende: „Regional, saisonal, ohne Gift – und das für alle!“

Am Käsestand „Alte Milch“ beschreibt sich der Händler Matthias Becker angesichts der verschiedenen Konfliktlinien als „maßlos überfordert“. Ratlos steht er vor seinen Käselaiben. Als im vergangenen Jahr die Debatte Fahrt aufnahm, habe er auf einem Schild neben der Kasse den Kund:innen mitgeteilt, dass Empfänger:innen von Sozialleistungen bei ihm 20 Prozent weniger bezahlen. Ihm sei bewusst, dass es sich dabei in erster Linie um eine Geste handelt – bisher hätten das Angebot nur drei bis vier Stammkunden in Anspruch genommen.

Sicher ist er sich nur in einem: „Ich wünsche mir, dass die Markthalle ein Ort der Begegnung bleibt und Reiche und Arme hier keine Angst voreinander haben.“

Das Nachbarschaftsforum findet noch bis Ende der Woche von 11 bis 19 Uhr und am Samstag von 9 bis 15 Uhr statt. Es ist Teil eines Dialogverfahrens für die Markthalle Neun rund um den Planungs- und Sozialraum Lausitzer Platz. In einer ersten Phase fanden seit September 2019 Bür­ge­r*in­nenbefragungen an verschiedenen Orten statt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • 2G
    2830 (Profil gelöscht)

    Den Preis für das 'authentische' Ideal, the perfect furture, können oder wollen nicht alle bezahlen. Was nicht heißt, dass diejenigen, die es tun mit Argwohn zu gelegen sind. Ohne Geschäftemacherei läuft es weder bei Mulitmilliardäresabzocker-Aldi mit Knebelverträgen noch Markthalle-Betreibern dank Beutezug mittels falschen Versprechungen. Beide sind Profiteure von der Naivität der sich ins passende Licht Stellenden. Beide treiben ihr Spiel mit den Bedürfnissen der Hungrigen, egal ob nach Lebensqualität oder Sattheit. Daher nicht: Aldi bleibt! oder Pro-MH9 sondern: Markthalle zu Kiezgewächshaus! Um sich frei von Konsum und grenzenlos begegnen zu können – ganz ohne Lehnsherren mit Weltverbessungsgeschmäckle.

  • "Dass die Markthalle ein Ort der Begegnung bleibt....." ich weiss ja nicht woher die Autorin diese Information hat, aber ein Ort der Begnung ist die Markthalle schon lange nicht mehr, außer vielleicht es wird gerade gegen die Betreiber demonstriert. Die Betreiber zeigen keinerlei wirkliches Interesse an einem Dialog, sie machen es nur wenn sie müssen. Im übrigen ist der wurde die Gentrifizierung in der Gegend durch Events für potentielle Immobilienkäufer sehr wohl befeuert. Die Betreiber der Markthalle gehen von einer Klientel aus, die 500 Euro im Monat "Spielgeld" zur Verfügung hat, nachdem alles Bezahlt ist -Miete, Lebensunterhalt etc.-, das ist eine utopische Summe für die meisten BewohnerInnnen in der Gegend.

  • Für Alteingesessene ist die Schließung einer Aldi-Filiale schlecht. Aber die Hipster freuen sich. So geht der Kietz weiter auf dem Weg der Gentrifizierung.