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Gespaltene LinksparteiVernunft statt Ideologie

Anna Lehmann
Kommentar von Anna Lehmann

An überzeugenden Zukunftsvisionen für die großen Fragen fehlt es der Linkspartei derzeit. Dazu bräuchte sie eine neue Streitkultur.

Richtmikrofone hat die Linkspartei zwar. In welche Richtung es gehen soll, weiß sie trotzdem nicht Foto: Stratenschulte/picture alliance

A n kritischer Analyse herrscht bei der Linkspartei kein Mangel. Partei und Fraktion haben gleich mehrere Wissenschaftler zu ihren Klausuren zum Jahresbeginn eingeladen, die den GenossInnen fundiert darlegen werden, warum die Gesellschaft sich weiter spaltet, die Arbeitskämpfe härter werden und die Lage im Nahen und Mittleren Osten eskaliert.

Am Ende werden die Linken wieder genau wissen, was alles schiefläuft in der Welt, und davon reden, dass es jetzt darauf ankomme, die Gesellschaft zu einen und Hass und Gewalt zu bekämpfen.

Stimmt. Allerdings kriegt das die Linkspartei nicht mal in ihren eigenen Reihen hin – Ideal und Wirklichkeit klaffen auseinander. In der Fraktion sind die Gräben derzeit so tief, dass es nicht gelingt, langweilige Formalien wie die Wahl des Vorstands geräuschlos und unspektakulär zu regeln. Abgebrühte werden sagen, so sei das nun mal bei Linken, sollen sie halt ihre Ansprüche runterschrauben. Aber so einfach ist es nicht.

Ja, die Linkspartei hat in den vergangen zweieinhalb Jahren nach außen vor allem ein Bild der Zerstrittenheit abgegeben. Katja Kipping stritt mit Sahra Wagenknecht und mit den beiden Spitzenfrauen: AktivistInnen, die offene Grenzen für alle fordern, mit jenen, die heimische Arbeitsmärkte gegen Konkurrenz schützen wollen, EU-Fans versus -KritikerInnen und nun eben radikale KlimaschützerInnen mit motorisierten ArbeitnehmervertreterInnen.

Zu wenige praktische Antworten

Aber das sind keine urlinken Auseinandersetzungen, sondern die großen Fragen, die gerade die Gesellschaft bewegen, die am Abendbrottisch und in der Kantine diskutiert werden und die eben auch im Kosmos einer kleinen Partei wie der Linkspartei toben. Es spricht also grundsätzlich für ihre heterogene Zusammensetzung, wenn sie gesellschaftliche Debatten widerspiegelt. Aufgabe von Parteien ist es aber auch, aus solchen Debatten und widerstreitenden Positionen Antworten und Visionen zu extrahieren und damit Politik zu machen.

Aber an überzeugenden Zukunftsvisionen für die großen Fragen fehlt es der Linkspartei derzeit – eine Leerstelle, die sie im Übrigen mit den SozialdemokratInnen teilt. Die Linken können so ziemlich alles fundiert kritisieren – aber sie geben zu wenige praktische Antworten.

Die EU finden sie undemokratisch, aber wie sie sie besser machen wollen, darauf können sie sich leider nicht einigen. Offene Grenzen sind super – aber wie man Zuwanderung organisieren soll, ist eine so heikle Frage, dass sie lieber nicht ausdiskutiert wird. Und nun die Klimafrage – wie passen weniger CO2 und der Schutz von Arbeitsplätzen in Auto- und Kohleindustrie zusammen?

Eine überzeugende Antwort von links steht noch aus. Um sie zu finden, müsste die Linke aber zu einer Streitkultur zurückfinden, bei der nicht die FragestellerInnen, sondern die Fragen im Mittelpunkt stehen. Und das ist eine klassische Führungsaufgabe.

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Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.
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9 Kommentare

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  • 0G
    08391 (Profil gelöscht)

    "Offene Grenzen sind super – aber wie man Zuwanderung organisieren soll, ist eine so heikle Frage, dass sie lieber nicht ausdiskutiert wird."

    SPD und Grüne diskutieren das auch nicht aus. Die Grünen diskutieren ja nicht mal die Homöopathie aus.



    Und die anderen Parteien sind nicht für offene Grenzen.

    Die Linkspartei eignet sich doch nur dann zu wählen, wenn ein weiterer Sozialabbau verhindert werden soll und zukünftig kann die Partei in diesem Zusammenhang noch dazu dienen zu verhindern, dass die ökologische Umgestaltung nur einseitig zulasten der mittleren und unteren Einkommensschichten geht. Mehr Anspruch habe ich als Wählerin gar nicht!

    • 9G
      90618 (Profil gelöscht)
      @08391 (Profil gelöscht):

      Wenn die Grünen die Homöopathie ausdiskutierten, so wäre das Ergebnis klar: Distanzierung. Nur wäre damit automatisch auch die Steiner-Sekte getroffen, deren Esoterik ganz ähnlich gestrickt ist. Und grüne Eltern lassen ihren Nachwuchs nur zu gern Waldorfsalat essen.

  • Nun, die Kapitalismuskritik ist die Erklärung für die Enttäuschungen die Fridays for Future erleben - und die Kritik zielt auf die Veränderung dieser Verhältnisse. Das ist doch klar.

  • Danke für den Artikel - ja, es braucht eine Linke, die wieder reale Ideen hat, wohin und wie die Reise geht.

    Es ist gut gegen Kapitalismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit zu sein und das "Wir und Die" zu überwinden und gegen alle zu sein, die "Wir und Die" denken. Aber reichen tut das nicht. Dazu ist die Welt zu bunt, widersprüchlich und hat zuviele verschiedene "Wirs", die man nicht einfach alle als Faschisten und Kapitalisten abtun kann und fertig. Das ist zu einfach.

    Dazu noch eine Anmerkung: Zitat: "AktivistInnen, die offene Grenzen für alle fordern, mit jenen, die heimische Arbeitsmärkte gegen Konkurrenz schützen wollen". Ja, aber auch hier ist es nicht so einfach, dass "heroische?" Universalisten gegen Besitzstandswahrer kämpfen. Hier kämpfen z.B. auch Leute, die nur noch ein "Wir" kennen (ihr eigenes, das sie als universell erklärt haben) gegen alle anderen "Wirs".

    Neue Ideen und ein neues Streiten sind sehr gefragt.

  • Eine überzeugende Antwort von links gibt man nur durch linke Politik und nicht durch eine andere streitkultur und beim Blick in Kommunen und Länder ist da von der Linken gar nichts zu sehen, denn die asoziale Politik der Vorgänger weiter zu verwalten ist keine linke Politik.

    • 0G
      08391 (Profil gelöscht)
      @Duckunwech:

      Welche Partei macht denn linke Politik und setzt diese auch um?

  • Frau Lehmann, auch Sie möchten doch keine sozial- und gesellschaftskritische Streitkultur in den Taz.-Kommentarspalten.

  • Die Parteiführung ist ihrer Aufgabe zu keinem Zeitpunkt gerecht geworden, sie hat versagt. Die Linke ist derzeit ein Trümmerhaufe. Sie ist quasi zerbrochen an der "Vergrünung" der Linken durch Kipping/Riexinger. Hier ist eindeutig das Original, die Grünen besser. Dafür haben die Grünen die soziale Frage beständig vernachlässigt und Kipping/Riexinger haben im Kampf gegen Wagenknecht versucht, auch die sozialen Fragen in den Hintergrund zu drängen.



    Ein Teil dieser Partei wäre eindeutig bei den Grünen besser aufgehoben. Dann könnte sich wieder eine Linke entwickeln, die genau dort ansetzt, wo auch eine zeitgemäße linke Politik ansetzen muss. Nämlich beim Antagonismus dieser Klassengesellschaft. Das würde zwar in der hippen Berliner Polit- und Medienblase auf wenig Gegenliebe stoßen, denn immerhin befindet sich unser Land in einer beängstigenden konservativen Rückentwicklung mit all den spießigen Unerträglichkeiten vergangener Zeiten einschließlich der Militarisierung des Denkens.

    Eine moderne Linke müsste wieder an klassische Stärken anknüpfen und politische Ideen FÜR die Menschen entwickeln. Wer will denn in Deutschland z.B. diesen neuen kalten Krieg? Das sind doch ausschließlich Reaktionäre. Und wer will die Schere zwischen Armen und Reichen weiter vergrößern? Das sind doch ebenfalls ausschließlich diese neoliberalen Verfechter einer CO2 Steuer, die nur Arme sanktioniert. Es wäre ziemlich leicht, eine gute linke Politik zu machen, wenn es diese Parteiführung nicht gäbe.

    • 0G
      08439 (Profil gelöscht)
      @Rolf B.:

      Welche Partei von heute wäre denn kein Trümmerhaufen? Oder finden Sie den Zustand von CDU, SPD und FDP irgendwie zukunftsträchtig?

      Die Grünen, ebenso wie die AfD, profitieren von den Hoffnungen, die das Wahlvolk von den restlichen Parteien abgewendet hat. Grundsätzlich haben sie aber auch nichts zu bieten, als stets dieselbe Leier, die bei den Grünen ein bisschen sozial, bei der AfD "völkisch" verbrämt wird.

      Diese moderne Linke, die wieder an klassische Stärken anknüpfte, gibt es nicht. Sie ist in ihrer alten Form allenfalls noch in marxistischen Randparteien ansatzweise wiederzufinden. Der Rest traut sich nicht mehr, wider den neoliberalen oder kriegstreiberischen Stachel zu löcken, weil man heute ja gleich out ist, wenn man Positionen vertritt, die nicht zum (mehr als mediokren) Mainstream passen.