Nötige Neuregelung der Organspende: Deutsches Organversagen
Drei Menschen sterben täglich in Deutschland, weil sie kein Spenderorgan erhalten. Die Widerspruchslösung wäre einen Versuch wert.
E ndlich kommt das Thema Organspende auf die Tagesordnung: Im Januar soll der Bundestag über ein neues Transplantationsgesetz abstimmen. Derzeit sterben in Deutschland drei Menschen pro Tag, weil sie keine Niere, Bauchspeicheldrüse oder Lunge erhalten haben.
Andere EU-Länder sind längst weiter: Dort gilt die Widerspruchslösung. Alle BürgerInnen sind Organspender – falls sie keinen Einspruch einlegen. Diese Regelung soll auch in Deutschland greifen, wenn es nach CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn und SPD-Experte Karl Lauterbach geht.
Leider ist keineswegs gesichert, dass sich ihr Konzept durchsetzt. Nicht nur viele Grüne und Linke sind dagegen – auch die Kirchen machen mobil. So hat der evangelische Prälat Martin Dutzmann alle Bundestagsabgeordneten angeschrieben, weil er findet: Wann immer persönliche Daten weitergegeben werden, sei ein Einverständnis nötig. „Das darf bei meinem Herzen oder meiner Niere doch nicht andersherum sein.“
Der Prälat irrt. Es trifft schlicht nicht zu, dass die BürgerInnen stets gefragt würden, wenn ihre Daten verwendet werden. Sonst könnte die Polizei ihre Ermittlungsarbeit sofort einstellen. Beim Datenschutz werden individuelle Rechte und soziale Kosten pragmatisch gegeneinander abgewogen.
Diesen Pragmatismus würde man sich auch in der Organdebatte wünschen. Denn Umfragen ergeben ein bizarres Bild: 84 Prozent der Deutschen finden Organspenden richtig – aber nur 36 Prozent haben einen Ausweis.
Diese Diskrepanz dürfte dadurch zu erklären sein, dass viele Menschen ungern über Krankheit und Tod nachdenken. Ein Organspendeausweis im Portemonnaie würde sie täglich daran erinnern, dass ihr Leben endlich ist – also haben sie lieber keinen. Die Widerspruchslösung ist daher elegant: Organspenden bleiben freiwillig, erfordern aber nicht mehr, dass man sich mit der eigenen Vergänglichkeit beschäftigen muss.
Trotzdem setzen viele GegnerInnen lieber auf die mündige BürgerIn statt auf die Widerspruchslösung: Wer einen Personalausweis beantragt, soll künftig auch gefragt werden, wie er zur Organspende steht. Viele Menschen dürften jedoch instinktiv auf Abwehr schalten, wenn plötzlich, mitten in einer Amtstube, das leidige Thema des eigenen Todes verhandelt würde. Spontan dürften viele Nein sagen, obwohl sie nichts gegen eine Organspende hätten.
Verbale Aufklärung hat manchmal Grenzen. Man sollte es mit der Widerspruchslösung versuchen – allein, weil 2.000 Menschen im Jahr sterben, für die es keine Spenderorgane gibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“