Wohnraum für Obdachlose in Hamburg: „Immer Partei ergriffen“
Das Bündnis Stadtherz fordert voraussetzungslosen Wohnraum für Obdachlose. Im Münzviertel setzen sich die AnwohnerInnen selbst dafür ein.
taz: Das Bündnis Stadtherz fordert „Housing first“, also voraussetzungsloses Wohnen für Obdachlose – auch, aber nicht nur im Münzviertel. Wie kam es dazu, Herr Westphal?
Günter Westphal: Wir haben uns vor zwei Jahren in der kritischen Auseinandersetzung mit der Neubebauung des City-Hofs, der in unmittelbarer Nähe des Münzviertels liegt, gegründet. Wir hatten festgestellt, dass beim Verkauf des Geländes eine soziale Stadtplanung überhaupt nicht berücksichtigt wurde. Es gab dort etwa eine niedrigschwellige Anlaufstelle in den City-Hochhäusern, die ihren Platz verlassen musste. Meine Frage war: Warum dort nicht eine Herberge für Obdachlose errichten statt ein Vier-Sterne-Hotel?
Ist dieser Kampf durch den Abriss und die Vergabe an einen Investor inzwischen gescheitert?
Das ist noch nicht ganz geklärt. Es gibt noch keine Baugenehmigung für den Neubau. Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir jetzt Duftmarken setzen und sagen: Beim Wohnungsbau sollen auch Wohnungen für Obdachlose bereitgestellt werden. Die Politik fängt immer erst im Nachhinein an, nach Lösungen zu fragen, anstatt sich beim Verkauf darum zu kümmern. Hinterher ist man dann erstaunt, keine Plätze zu finden.
Es ist ungewöhnlich, dass AnwohnerInnen nicht nur in Kauf nehmen, dass Obdachlose ihre Nachbarn sind, sondern es sogar aktiv einfordern.
Am 11.12. veranstaltet Bündnis Stadtherz um 19 Uhr eine Podiumsdiskussion zum Thema unter dem Titel "Housing first. Jetzt sofort!" im Herz As, Norderstraße 50, 20097 Hamburg.
Da kommt das Münzviertel ins Spiel. Dadurch, dass man oben in St. Georg alles saniert hat, sind die Sozialeinrichtungen zu uns gezogen, etwa die Stadtmission, die jetzt „Hoffnungsorte“ heißt oder das Drob Inn für Drogenabhängige. Unser Selbstverständnis ist, dass wir alle gut miteinander auskommen und jedem zugestehen, ein Individuum mit eigenen Wünschen und Schwächen zu sein. Deswegen haben wir immer Partei ergriffen, damit es uns gut geht – und den anderen auch. Deswegen haben wir auch das Werkhaus gegründet, als künstlerisches Lernangebot für obdachlose und asylsuchende Jugendliche.
Sowohl bei den InitiatorInnen des Werkhauses als auch beim Bündnis Stadtherz ist die Trägerschaft ungewöhnlich breit: Da treffen sich Studierende, KünstlerInnen und Engagierte aus dem Sozialbereich. Woher kommt diese Mischung?
Das sind die Säulen: Kunst und Soziales zusammenzubringen. Ich zum Beispiel bin Künstler, nicht Sozialarbeiter. Ich gehe davon aus, dass man künstlerische Kriterien, die Überzeugung, dass zuerst das Individuum kommt, auch im sozialen und politischen Raum nutzt. Wir haben immer Verbündete gesucht und versucht, über den Tellerrand zu gucken.
77, ist bildender Künstler und Mitbegründer des Bündnis Stadtherz.
Wie ist die Resonanz der Politik auf die Initiative?
CDU, FDP und Linke haben sich alle gegen den Abriss ausgesprochen. Die Grünen haben nicht den Mut gehabt, dagegen zu sprechen. Deswegen ist es auch interessant, wie das nach der Wahl weitergeht. Was mir noch wichtig ist: Es geht nicht nur um die City-Häuser, sondern auch um das ehemalige Grundstück der Gehörlosenschule. Das war öffentliches Grundstück, auch da hat man beim Verkauf nicht darauf geachtet, dass soziale Einrichtungen auf den Platz kommen, etwa Wohnungen für unsere Werkhäusler. Der Projektentwickler hat sich sehr dagegen gesträubt und gesagt, er könne das dann nicht an Investoren verkaufen. Dann gab es einen Investoren-Wechsel und nun wird es eine Einrichtung der Diakonie für Obdachlose geben.
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